Was heißt eigentlich »Meditation«? Der seit ein paar Jahren auch in Europa viel verwendete Begriff hat viele Bedeutungen. »Darüber muss ich mal meditieren« heißt: Ich will mich dem zuwenden, dem meine Aufmerksamkeit geben. Das würde ich Kontemplation nennen. Oder: »Ich setze mich einmal am Tag hin zum Meditieren«. Das würde ich im erweiterten Sinne Meditation nennen: die Übung der Meditation. Ich übe mich dabei, in einen tiefen Zustand der Versenkung zu gelangen, einen Zustand des Einswerdens mit sich selbst und allem, Außen- wie Innenwelt. Dieser Zustand wird in Pali, der Sprache des Buddha, Jhana genannt. Im Sanskrit, der Gelehrtensprache von damals, heißt er Dhyana. Aus dem indischen Wort Dhyana wurde in China später das Chan und dann in Japan der Zen. 

Achtsam morden, geht das?

Achtsamkeit ist etwas Anderes. Das Wort ist eine Übersetzung des Pali-Begriffs Sati. Gemäß Karsten Dusses Buchserie »Achtsam morden« kann man geistesgegenwärtig und hellwach auch Übles tun. Achtsamkeit heißt einfach, dass ich das, was ich gerade tun, nicht in geistiger Umnachtung tue, sondern bewusst. Schlafwandler sind demnach nicht achtsam. Im Affekt Handelnde sind es auch nicht. Das unter uns Menschen übliche Handeln, das innere Figuren auf die Objektwelt projiziert, würde ich nicht voll bewusst nennen und auch nicht tief achtsam, aber es ist doch besser als ein hochgradig besessenes Handeln. Ein bisschen besessen ist unser normalneurotische Verhalten ja immer. Wer besitzt schon Gedanken? Sie besitzen uns, nicht wir sie.

Entspannung, Hingabe, Gnade

Was ich wirkliche Meditation oder Einkehr nennen würde, ist ein Ankommen in der Subjektivität. Dort ist es still. Der Punkt, von dem aus ich wahrnehme, ist unendlich klein und still. Bei der Meditation ist es so, als würde dieser unendlich kleine Punkt des Selbstgewahrseins in alles Wahrgenommene hinein explodieren, sodass ich dann das alles bin. Ich komme an im Offensichtlichen. Keine Trennung mehr. Die Rückenschmerzen beim Sitzen dürfen sein, auch das Hautjucken am rechten Oberschenkel und das nicht nachlassende innere Kino, alles darf sein. Und inmitten von alledem ist es still, weil ich mir all dessen gewahr bin. Will ich dieses Ankommen erreichen, oder wird es mir geschenkt? Nicht dies, nicht das. Ich bin zugleich Schöpfer dieses Zustandes und der hier willenlos hinein Geworfene. Auf einmal ist es da, und ich bin es.

Ex okzidente lux

Grad ist mir ein 12 min Film über einen jungen Mann aus Singapur zugeflogen. In der dort so sehr auf Geld und Erfolg ausgerichteten Gesellschaft war er unglücklich und wurde depressiv. Schließlich brach er auf nach Indien, also von ihm aus nach Westen, und fand dort, im Okzident, das einfache Leben und seine Berufung. Brechen nun auch die Sensibleren der Ostasiaten von Shanghai, Tokio, Seoul und Singapur auf zur spirituellen Suche, der Heldenreise des ‚Wegs nach innen‘, der auch äußerlich so viel ändert? Sei es, dass es sie zu den Gurus und Sadhus von Indien hin zieht, sei es sonst wo hin zu weisen Menschen oder in Klöster oder Berge, für Auszeiten, um Einfachheit und Lebenssinn zu finden. Ein solcher Aufbruch der Jungen, Intelligenten und Sensiblen Ostasiens wäre ein Segen für Gaia und uns alle. 

Hier noch ein weiterer kurzer Film über Millenials aus China, die in die Berge gehen, um dort Stille, die Natur und das einfache Leben zu finden. Das lässt in mir den Wunsch nach einer Erneuerung der spirituellen Bewegung der 70er Jahre aufkommen, die nun endlich alle Weltkulturen übergreifen könnte und so den Boden schaffen für weltweit Frieden und Naturschutz.

Spiritualität und Politik

Während wir versuchen zu meditieren, was passiert ‚da draußen’ in der Welt? Darf ich mir den Zustand der Meditation leisten, wo doch so viele Menschen in der Welt leiden? Zu diesem Thema habe ich im Sommer 2014 in meiner damaligen Zeitschrift Connection ein Editorial geschrieben, signiert auch von Konstantin Wecker, diesem genialen Musiker und unerbittlichen Kampfer gegen politischen Wahnsinn. Es trug die Überschrift »Spiritualität und Politik« und mutet mir heute, die Ukraine und Gaza betreffend, geradezu hellsichtig an. Oder auch wie: Oh mein Gott, immer das Gleiche! Ich zitiere es hier in kursiv: 

Israels Bombardierung des Gaza-Streifens, der Konflikt um die Ukraine und die Kriege und Stellvertreterkriege in Syrien und dem Irak haben dazu geführt, dass nun in Deutschland wieder diskutiert wird, ob man in Kriegsgebiete Waffen liefern sollte, wenn es denn »ein guter Krieg« ist. Ein »guter« Krieg??? Das Thema bewegt uns auch deshalb wie schon lange nicht mehr, weil die Medien uns mit Berichten über den 100 Jahre zurückliegenden, mit so viel Enthusiasmus begonnenen ersten Weltkrieg überschüttet haben, diese Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, in dessen Folge Hitler an die Macht kam, der dann den zweiten, noch schrecklicheren begann, den größten und schlimmsten Krieg aller Zeiten.

»Nie wieder Krieg« war der innere Schwur so vieler von uns nach diesen Katastrophen, doch diese Schwüre erodieren allmählich. »Mit der Yogamatte unterm Arm« würde man den im Irak verfolgten Jesiden nicht helfen können, sagte Cem Özdemir, der Chef der einst strikt pazifistischen Partei der Grünen kürzlich, sondern mit Waffen, und setzt damit Yoga, die populärste der heutigen spirituellen Praktiken, in Gegensatz zu den angeblich realistischeren Befürwortern von Waffen.

Hat die Friedensbewegung nach 6.000 Jahren von Kriegen bestimmter Menschheitsgeschichte überhaupt eine Chance? Ja, meinen wir – wenn die Politik nach Lösungen endlich nicht mehr nur im Kampf sucht oder in der Vorbereitung auf einen solchen, sondern in der Liebe, Menschlichkeit, Weisheit. Und wenn andererseits die den Weisheitswegen verschriebenen, spirituellen Menschen endlich auch den täglichen Einfluss der Außenwelt auf unser Inneres anerkennen: Auch das Sein bestimmt das Bewusstsein, nicht nur umgekehrt. 

Afghanistan

Auch der Krieg in Afghanistan, der unsere Demokratie am Hindukusch verteidigen sollte, war kein guter. Ich kenne das Land von meiner Reise als 18-jähriger Tramper im Sommer 1971, als ich sowohl auf der Südroute über Kandahar wie auch auf der Nordroute von Kabul über Mazar i Sharif bis Herat überall freundliche Menschen traf. Vor allem auf dem Land schienen die meisten Menschen glücklicher zu sein als wir in Deutschland. Durch die folgenden Stellvertreterkriege der Großmächte ist Afghanistan in den Jahrzehnten danach ruiniert worden. Nun wird es von den Taliban regiert, deren Vorläufer von den USA im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion finanziert wurden. Immerhin fühlen sich die Menschen unter den Taliban heute sicherer als noch zu der Zeit, als die Bundeswehr dort stationiert war, las ich kürzlich in einer glaubwürdigen Quelle. 

In seiner Rede vom 20. Dezember 2002 behauptete der damalige deutsche Verteidigungsminister Peter Struck, dass »unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird«. Fakt ist jedoch, dass deutsche Truppen dazu beigetragen haben, das Land unsicherer zu machen und weiter zu zerstören.  Obwohl der Anfang der Zerstörung erst von der Sowjetunion und dann von den USA gelegt wurde. Auch zur deutschen Sicherheit hat dieser Einsatz der Bundeswehr kein bisschen beigetragen, eher im Gegenteil.

Es gibt übrigens ein sehr gutes und zudem sehr schön illustriertes Buch über das Vorkriegsafghanistan von Rahimo Täube, der das Land in jener Zeit viel gründlicher und länger bereist hat als ich. 

Ahnungslos hineingeschliddert

Afghanistan zeigt, wie sehr eine prinzipienlose Realpolitik ein Land zerstören kann, während die Zerstörer sich dabei im Recht und als die Guten wähnen. Ähnliches geschieht nun in der Ukraine. Den Älteren unter uns fällt dabei auch der Vietnamkrieg wieder ein. Seit Oktober lässt die Netanyahu-Regierung Israels ihre Armee den Gazastreifen zerstören, aus historischen Schuldgefühl wird sie dabei unterstützt von Deutschland. Erst allmählich lässt die anfangs fast bedingungslose Unterstützung dieses Genozids von Seiten Deutschlands ein bisschen nach.

Und wie gehen die Medien, die »vierte Macht im Staate«, damit um? Das hat mein Kollege Hans-Willi Weis in seiner Neujahrsbotschaft untersucht: Etwas von allem. Nur nicht Krieg.

Amerikas 9/11 und Israels 7. Oktober 

Hier schreibt Charles Eisenstein sehr luzide über die selbstzerstörerische Eskalation von Rachefeldzügen und den Weg zum Frieden. Amerikas 9/11 und Israels 7. Oktober ähneln sich in der Hinsicht. Beide Ereignisse zeigen, wie sehr nicht geheilte Traumata zur Eskalation der Gewalt führen. Bert Hellinger wurde dafür angefeindet, dass er die Täter/Opfer-Eskalation durch Einsichten in deren Psychodynamik zu verhindern suchte, in dem er sagte: »Wer dem Täter nicht einen Platz in seinem Herzen geben kann, wird so wie er«. Ohne Heilung eines geschehenen Unrechts dreht sich das karmische Rad immer weiter, so könnte man es gemäß der indischen Philosophie darstellen; dort wird diese Ursache/Wirkung-Verknüpfung Bhavacakra genannt. Um dieses Immer-weiter-so zu beenden, muss das Opfer, so schwer das für eine verletzte Seele auch ist, den Täter »in sein Herz aufnehmen«. Meditation, die nicht nur oberflächliche Achtsamkeit ist, macht den Weg frei zu diesem großen Schritt über die Schwelle zur Feindes- bzw. Täterliebe.

P.S. zum vorigen Absatz: Markus Scheuring, Arzt und Psychotherapeut in Zürich und Leser meiner Rundbriefe, wies mich soeben auf Andreas Maercker hin, der an der Uni Zürich zu historischen Traumata forscht und sagt: „In Israel triggert der Angriff der Hamas ein historisches Trauma.“ Und auch zum Ukrainekrieg hat Maercker einiges zu sagen. Es könnte so viel helfen, wenn nicht nur Individuen, sondern auch Ethnien Traumaheilung erführen! Nationen, Völker, soziale Minderheiten – ich nenne sie hier ‚Ethnien‘ oder ’soziale Gruppen‘ –, sind zum Opfer geworden und geben unbewusst sowohl ihr Opfersein wie auch die Täterschaft weiter, weil sie die Zusammenhänge nicht verstehen.

Ist »das Kapital« klüger als unsere Politiker?

Immer mal wieder finde ich auf telepolis.de Wissenswertes, dazu gehören insbesondere die Analysen von David Goeßmann. Hier mal eine gute Nachricht in Sachen Klimawende: Fossiles Divestment funktioniert, schreibt er in diesem lesenswerten Text. Wobei das Vertrauen auch von Goeßmann in den Kapitalismus insgesamt gering ist. Das Erstaunliche an dieser Nachricht ist wohl, dass die Politiker als Ganzes gesehen, was die Zukunft unserer Zivilisation anbelangt, noch dümmer sind als die Inhaber des Kapitals.

Unsere Vorfahren

Und noch eine weitere eine ein bisschen positiv stimmende Nachricht, sie betrifft das Völkchen der ehemals nomadisierenden Ju/’Hoansi im Nordosten von Namibia. Im Vergleich zu vielen anderen Indigenen heute, etwa im Amazonas-Gebiet oder im Nordosten Indiens, geht es ihnen relativ gut. Sie geben uns einen Einblick in das Leben unserer Vorfahren vor Beginn der Landwirtschaft – ein bisschen immerhin, denn das heutige Leben der Ju/’Hoansi ist anders. 

Über den Beginn unseres Lebens als Homo sapiens und die kognitive Revolution vor 70.000 Jahren höre ich gerade nochmal den Anfang von Yuval Hararis »Eine kurze Geschichte der Menschheit«. Wie auch immer man Hararis heutige Kommentare zum Weltgeschehen beurteilt: Dieses Buch von ihm ist genial! Besonders der Anfang, wo er beschreibt, wie wir ‚besonderen Tiere‘ begannen, uns von unseren Verwandten abzuheben, um schließlich die Welt zu beherrschen. Von der wir gewiss schneller wieder verschwinden werden, als die mit uns verwandten Homo erectus, die immerhin zwei Millionen Jahre auf Gaia wandelten; bis »wir« kamen, die Homo sapiens, und alle anderen Menschenarten verdrängen oder vernichteten.

Auch das bin ich

Zurück zum Anfang dieses Blogeintrags: Was mich immer wieder beglückt sind die Texte von Thich Nhat Hanh. Besonders dieser hier: Bitte nenne mich bei meinem wahren Namen. Da beschreibt Thay (so nennen ihn seine Schüler), wie es sich anfühlt, alles das zu sein, was man wahrnimmt, das Schöne ebenso wie das Schreckliche. Ich bin nicht getrennt von der Welt, sondern ein Teil davon. Alles, was um mich herum ist, bin auch ich. Kann man das Mitgefühl nennen? Ja: Mitleid und Mitfreude. Identifikation mit allem, was ich sinnlich oder geistig wahrnehme. Auch mit allem, was ich in meinen Träumen und Befürchtungen wahrnehme, auch das bin ich. In diesem Zustand erlischt jedwede Überheblichkeit. Aus diesem tiefen Zustand der Liebe und des Friedens können Aktionen entstehen, die der Welt wirklich helfen. Handlungen, die nicht nur gut gemeint, sondern wirklich gut sind.

Nur die Stille führt zum Frieden

»Nur wenn Stille uns beständig macht wie Erde, wendig wie Wasser und glühend wie Feuer, werden wir uns der Aufgabe stellen können Frieden zu schaffen, und die Luft um uns wird rauschen von Flügeln helfender Engel. Deshalb wünsche ich euch jene tiefe innere Stille, die allein es uns erlaubt ohne Ironie ‚Frieden auf Erden‘ zu erhoffen und uns ohne Verzweiflung dafür einzusetzen.« Das schrieb einst Bruder David Steindl-Rast.

Was ich sonst noch zu sagen hätte …

Hier ist mal ein Link zu einem Audio: Die Berliner Aktivistin Gisela Kolodziej hat mich im Dezember zu dem Thema Raus aus dem Hamsterrad, rein in die Meditation interviewt. Für KGS Berlin habe ich über das Wiederfinden der eigenen Mitte geschrieben. Für den Zeitpunkt online über Joanna Macys Konzept der Tiefenzeit, und für die Zeitschrift SPUREN (Print) über »Ekstatisch leben«, was auch der Titel meiner Workshops im BeFree ist. 

Auch im gedruckten Zeitpunkt bin ich in den Ausgaben Nr. 174 zu finden (dort mit »Erlaub dir mal, gar nichts zu tun«), in Nr. 175 (mit »Trans ist in«), und auch in der kommenden Ausgabe Nr. 175, in der des um Neutralität geht (mit einem Text über Unparteilichkeit + ein paar satirisch-utopischen Kurzmeldungen). Wer mehr davon will, abonniere am besten gleich den Zeitpunkt. Er erscheint vierteljährlich und kostet so viel, wie du dafür bezahlen willst: »Sparsame helfen der Auflage, Großzügige dem Budget, sehr Großzügige der Informationsarbeit des Zeitpunkt zugunsten von hoffnungsvollen Projekten und kleinen Gruppen«, schreibt der Herausgeber Christoph Pfluger dazu.

Veranstaltungen mit mir 

Das nächste Upleven-Seminar von mir ist das schon erwähnte Aufleben in Absurdistan von 23. bis 25. Februar. Dort geht es um das Aushalten und Verstehen des Absurden, aber auch das sinnvolle Handeln im diesseits davon, dem prinzipiell Verständlichen.

Auch die weiteren Seminare von mir in diesem wunderbaren Kloster-Hotel auf dem Deich an der Nordsee beschäftigen sich mit der Neuausrichtung an einem Wendepunkt im Leben. Sie finden am 19.-21. April, 23.-25. August, 12.-15. Sept und 29. Nov bis 1. Dez statt. Für die Werktätigen habe ich dafür WE gewählt, beginnend jeweils am Freitag Abend. Ich bin dann immer noch Mo und Di danach im Upleven, zum Vertiefen, was ich sehr empfehle. Anreise per Bahn bis Wremen ist gut möglich. 

Am 23. März 2024 gibt es einen Reconnecting-Tag beim Draußenzeit e.V. Nähe Greven im Münsterland. Da geht es um die Wiederverbindung mit der Natur und mit sich selbst nach der Methode von Joanna Macy, die ich hier im Blog schon mehrfach beschrieben habe. Von 10 h bis 17 h in der Jurte auf dem Draußenzeitgelände. Kosten: 90 €. Buchempfehlung hierzu: Active Hope, von Joanna Macy und Chris Johnstone.

Wahrscheinlich bin ich beim BeFree Osterseminar wieder dabei. Noch sicherer ist meine Teilnahme als Kursleiter im BeFree Pfingstseminar, Sommerfestival und Herbstseminar 2024.

Auch bei den Christen gibt es Meditierer. So bin Anfang Juni mal in der Abtei Münsterschwarzach, dem Wirkungsort von Anselm Grün. Sowohl die Kursgebühr wie U/V sind hier besonders günstig: Ich bin angekommen heißt das Seminar. Bei sich selbst ankommen & Heimat finden, darum geht es in diesem 3-Tage-Seminar vom 3. bis 6. Juni 2024 im Gästehaus der Abtei Münsterschwarzach. Es kostet 140 € + 210 € für U&V. Beginn am Mo um 18 h, Ende am Do um 14 h.