Schon als Kind habe ich mich im warmen Wasser einer Badewanne immer sehr wohl gefühlt. Warum das so ist, wusste ich damals noch nicht. Später sagte mir mein Vater, dass alles Leben auf der Erde aus dem Wasser kommt. Unser salzhaltiges Blut enthält noch heute dieselben 84 Substanzen wie das Meerwasser (wenn auch mit insgesamt geringerem Salzgehalt als die heutigen Weltmeere), denn das Meer ist für uns Tiere wie Pflanzen die Urheimat, auf der wir stammen.
Bei uns Menschentieren ist die Zeit vor unserer Geburt zudem besonders lang: neun Monate. Diese Zeit verbringen wir im warmen Wasser des Bauchs unserer Mutter, umfangen von ihrem Uterus, was uns das Leben lang empfänglich macht für Umarmungen. Was wir Geburt nennen und als Anfang unseres individuellen Lebens betrachten, ist in Wirklichkeit nur der Übergang vom Wasserleben ins Landleben. Den haben unsere tierischen Vorfahren vor etwa 400 Millionen Jahren vollzogen. Als menschliche Individuen vollziehen wir ihn bei der Geburt noch einmal. Wir sind dann also schon neun Monate alt und haben diese Monate im warmen Wasser verbracht, bei ungefähr 38 Grad Celsius, voll versorgt, nicht einmal essen oder atmen mussten wir.
Pränatales Paradies
Die Erinnerung an diesen – für die meisten von uns paradiesischen – Urzustand steckt noch in uns. Jedes Mal, wenn ich in eine warme Badewanne steige oder in einer Therme ins Warmwasserbecken ist dieses Gefühl wieder da: Hier fehlt mir nichts, hier geht’s mir gut, hier bin ich in Mutter Natur geborgen und gut aufgehoben.
Basierend auf dieser Erkenntnis haben sich seit den 80er Jahren in den USA und Europa die Warmwassertherapien entwickelt. Ausgehend von Watsu (Wasser-Shiatsu) entstanden Wassertanzen, Aquabalancing und andere Varianten dieser so heilsamen Methoden der Rückführung in pränatale Zustände. Ich habe diese Methoden in den späten 80er Jahren in München kennengelernt und bald darauf die erste Watsu-Ausbildung in Europa organisiert, für die ich Harold Dull, ihren Gründer und Entwickler, nach Deutschland holte.
Nonsexuelle Intimität
Geeignete Bäder zu finden, um diese Therapien durchzuführen, die auch in mystische Zustände führten, war nicht leicht. In öffentlichen Bädern wurden wir meist vom Badepersonal vertrieben, auch wenn wir uns dort nur paarweise trafen und zärtlich einer den anderen im Wasser hielt. Obwohl diese Berührungen entschieden nonsexuell waren, wirkten wir auf Zuschauer so intim miteinander verbunden, dass sie entweder beschämt wegschauten oder das auch ausprobieren wollten, und für viele im Personal der Bäder waren wir damit ‚zu intim‘. Bis heute ist es schwer, für die Warmwassertherapien geeignete Bäder zu finden. So lange, bis sich ein mutiger Investor findet, der ein speziell dafür geeignetes Bad baut, worauf wir in der Fangemeinde dieser Methoden schon lange warten.
Wurzeln und Wasser
Frühjahr 2024. Auch in Deutschland gilt Kriegstüchtigkeit wieder als etwas Gutes. Trotz aller Warnungen schreitet die Umweltzerstörung weltweit ungebrochen fort, nicht zuletzt auch durch das Militär. Weltliche wie psychische Krisen erreichen Kipppunkte und spitzen sich zu einer Metakrise zu. In diesen Zeiten wäre eine Rückkehr zum Paradies unserer persönlichen und evolutionären Herkunft hilfreicher denn je. Denn unsere Wurzeln sind nicht im Himmel, wie die Religionen uns weismachen wollen, sondern, um bei der Pflanzenmetapher zu bleiben, in der Erde. Genauer: Sie liegen im Wasser. Denn auch der Landgang der Pflanzen, die ja Wurzeln brauchen und die Voraussetzung für tierisches Leben an Land sind, gelang nur in Kooperation mit Algen und Pilzen; erst durch die Myzelien von Pilzen konnten die Landpflanzen Wurzeln entwickelten, mit denen sie Nährstoffe aufnehmen und Wasser trinken.
Warmes Wasser macht friedlich
Von den römischen Thermen über die Hamams des islamischen Kulturraums und die Badehäuser des Mittelalters waren Warmwasserbäder schon immer Stätten der Begegnung, an denen die Menschen friedlicher miteinander umgingen als an Land, denn warmes Wasser macht friedlich. Noch tiefer ist das Einsinken in einen tiefen Frieden mit sich selbst und der Welt für viele im Flotation-Tank, früher Samadhi-Tank genannt, einer Art Meditationsbadewanne, die auf den Delphinforscher John Lilly zurückgeht. Darin lässt sich im körperwarmen Wasser von hohem Salzgehalt schwerelos auf dem Rücken liegen, ohne dass die Nase untertaucht. Es ist dort völlig still und dunkel, eine Rückkehr in den Mutterbauch und Eintauchen in die Zeitlosigkeit jenseits von Geburt und Tod. Friede, Stille, Genuss. Für gestresste Zeitgenossen unvergleichlich heilsam.
Tauchen
Auch das Tauchen in tropischen Gewässern verschafft mir das Gefühl der Rückkehr zu unseren Ursprüngen. Zum längeren Verweilen dort braucht es einen 3 oder 5 mm Neoprenanzug, sonst kühlt der Körper aus. Am schönsten finde ich es an tropischen Riffen, die leider wegen der Erderwärmung nun allmählich absterben. Ein Schnorchel genügt fürs entspannte Schweben im Wasser unter den Fischen. Die technische Ausrüstung des Scuba-Diving erlaubt zwar tiefere und längere Tauchgänge als beim Schnorcheln, aber der technische Aufwand entfremdet auch ein bisschen, und ab ein paar Metern Tiefe sieht man keine bunten Farben mehr.
Das Tao des Wassers
Im Taoismus ist das Wasser Symbol für das Weibliche, Friedliche, Kluge. Immer sucht es den tiefsten Ort, so kann es nicht tiefer fallen. Es durchdringt alles und besiegt durch Ausdauer die Härte des Steins. So gleicht das Tao dem Wasser. Deshalb habe ich eines meiner Bücher Das Tao des Wassers genannt. Dort habe ich die Warmwassertherapien beschrieben, das Tauchen, das sich in seiner Schwerelosigkeit wie Fliegen anfühlt, sowie den Eros und die Weisheit des Elementes, dem wir entstammen.
Infos über die Warmwassertherapien findet ihr bei: https://de.wikipedia.org/wiki/Watsu, https://www.aquamunda.de, https://www.watsu.de
Die Kurzversion dieses Textes ist Ende März auf Manova veröffentlicht worden.
Mehr von mir über uns menschliche Wasserwesen findet ihr in meinem Buch Das Tao des Wassers (Königsfurt 2004).