1914, 1933, 1939 … als sei diese Vorgeschichte nicht schon genug, wird auch heute wieder von den deutschen Medien und der Politik ein Feindbild im Osten aufgebaut. Putin ist der Böse, und die Russen sind entweder die von seiner Propaganda Verführten, oder eben charakterlich minderwertig im Vergleich mit uns im zivilisierten Westen – an der Gruppe Wagner haben wir es doch gesehen, wie brutal die sind. Historisch war dieses Russlandbild oft verbunden mit der Gier, dieses riesige eurasische Land zu erobern. Das ist Napoleon nicht gelungen, dann auch Hitler nicht, und nun baut sich die NATO auf, Land für Land immer weiter nach Osten vordringend, gegen dieses riesige Land, das doch viel schwächer ist als die mächtige NATO. Eher müsste Russland vor uns Angst haben als umgekehrt. Der noch-immer-Weltmacht USA passt es jedoch recht gut, wenn Westeuropa und Russland im Clinch sind und sich gegenseitig schwächen, denn Russland (vorher die Sowjetunion) und China waren im ausgehenden 20. Jahrhundert die einzigen Mächte, welche die US-Weltherrschaft bedrohen konnten.
Russophie
Urlich Heyden lebt seit 32 Jahren in Moskau und schreibt von dort für deutsche Medien. Kürzlich hat er ein russlandfreundliches Buch geschrieben, reiste damit auf Lesungen durch Deutschland und berichtete auf Globalbridge über die deutsche Russophobie.
Auch die Politikwissenschaftlerin Petra Erler fürchtet, dass wir durch den deutschen Russenhass in einen dritten Weltkrieg geraten könnten. Ein kalter Krieg gegen Russland ist es ja schon, durch weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und die Kriegsbereitschaft der deutschen Wirtschaft könnte er heiß werden, auch weil viele Politiker in der EU (von der Leyen, Michel Charles Michel, Boris Pistorius, Karl Lauterbach) das wollen.
Es gibt jedoch auch in Deutschland noch immer standfeste Pazifisten. Eine von ihnen war Antje Vollmer, deren Todestag sich am 15. März jährte. Sie war Mitgründerin der GRÜNEN und von 1994 bis 2005 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags. Kurz vor ihrem Tod hinterließ sie ein pazifistisches Vermächtnis.
Wir verteidigen uns ja nur
Die Zivilklauseln an den deutschen Universitäten haben bisher weitgehend verhindern können, dass dort fürs Militär geforscht wurde. Solche gut gemeinten Klauseln konnten auch bisher nicht verhindern, dass weltweit mehr als hundertfach mehr fürs Militär geforscht wurde als für den Frieden. Nun sollen jedoch auch diese kleinen Hinternisse einer weiteren Militarisierung beseitigt werden. Wie immer lautet die Rechtfertigung der Militarisierung: Wir bereiten uns ja nicht auf einen Angriff vor, sondern nur auf die Verteidigung! Vorhandene Waffen lassen sich aber immer auch für Angriffe verwenden. Auch als Deutschland am Morgen des 1. September 1939 Polen angriff, hörte ganz Deutschland über den Volksempfänger, dass »wir zurückschlagen«. Und schon lange heißen Kanonen »Geschütze«, als würden sie nur schützen. Sie können aber genauso auch attackieren und tun das auch. Ob die Verwendung einer Waffe als Angriff oder Verteidigung dargestellt wird, ist immer Sache des Framings, und das bestimmen die Medien und die Politik, die jeweils gerade an der Macht sind.
Kurz nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine schrieb die damals 22-jährige Paula Steingäßer am 3. März 2022, warum unsere Welt immer noch dieselbe ist, unsere Möglichkeiten, sie zu verändern, aber heute andere sind.
Die Sanktionen schwächen die EU, nicht Russland
Eine russische Stimme äußert sich hier zur Eskalation des Konfliktes zwischen Russland und der EU: »Jetzt hingegen wird die Entfremdung von der Europäischen Union – die, wie wir betonen möchten, vom Westen initiiert wurde! – die weitere Entwicklung Russlands zwangsläufig fördern.« Der Autor dieser Analyse ist Dmitri Trenin. Er ist Forschungsdirektor des Instituts für Weltmilitärökonomie und -strategie an der Higher School of Economics in Moskau und dort auch leitender Forscher am internationalen Sicherheitszentrum der IMEMO RAS an der russischen Academy of Science.
Kriegswirtschaft
Wer profitiert von alledem? Diese Frage sollte man immer stellen, wenn machtvolle Vorgänge den davon Betroffenen erstmal als unsinnig, ja absurd erscheinen. Die Erkenntnisse, wer finanziell von den Vorgängen profitiert, wird jedoch zu oft als die erschöpfende, alles Erklärende dargestellt. Homo sapiens ist jedoch kein reiner Homo oekonomicus. Auch die Besitzer der großen Vermögen, ihre Fondsmanager und andere Finanzakteure schaufeln sich durch Dummheiten und Angst allzu oft ihr eigenes Grab. Wohin das Geld fließt, erklärt jedoch auch, was die neuerliche Kriegsbereitschaft anbelangt, vieles. Die Zeitschrift Fairconomy vom Feb 24 thematisiert das Gewebe der internationalen Kriegswirtschaft, in dem auch die deutsche ein wichtiger und anwachsender Teil ist. Mit vielen klugen Zusammenfassungen und Analysen von Thomas Kubo, wie das Großkapital von den aktuellen Kriegen profitiert.
Persönlich verbunden
Zur Redaktion der Zeitschrift Fairconomy habe ich einen besonderen Bezug, weil sie viele Jahre lang klug und weitsichtig von Beate Bockting geführt wurde, der Mutter meines nun fast 14-jährigen Kindes, bis sie im Mai vergangenen Jahres starb. Die Ausgabe enthält einen Nachruf auf Beate. Auch außerhalb dieser kleinen Zeitschrift unverdrossener Kämpfer für eine gerechte Geld- und Wirtschaftsordnung hatte sie sich publizistisch betätigt hatte. Als Expertin für Bodenrecht und zinsfreies Wirtschaften schrieb sie auch für den Wirtschaftsteil der Frankfurter Rundschau. (Nicht zu verwechseln mit der FAZ, die neuerdings eine der lautesten bellizistischen Stimmen in Deutschland ist.)
Entfeindet euch!
Zum Abschluss dieses Blogeintrags noch etwas Hoffnungsvolles: die Stimme von Stefan Seidel, der das Buch »Entfeindet euch« geschrieben hat. Stefan Seidel ist Psychologe und Theologe. Als solcher bringt er auch die Feindesliebe von Jesus mit ins Spiel, jedoch ohne ein einfaches Die-andere-Wange-Hinhalten, sondern mit einem ungeschönten Blick auf die Realität und die dort agierenden Aggressoren. Im Gegensatz zur Mehrheit propagiert Seidel kein Zurückschlagen und auch keine Androhung eines solchen, wie die neue deutsche Freude an der Kriegstüchtigkeit es ist. Seidel setzt stattdessen auf Beziehung als Lösung für Konflikte: Raus aus der Verfeindungsfalle! Was für ein hoffnungsvoller, transreligiöser Blick – in diesem Fall von einem christlichen Theologen – auf die Möglichkeit von Frieden auch in so tief verstrickten Situationen wie in Palästina und der Ukraine.
Hallo Wolf Schneider, zu Deinem Buchhinweis auf Stefan Seidel „Entfeindet Euch“ ein Gedicht von mir, das Du auch auf meinem YouTube-Kanal Lasse Los – WISDOM FOR FUTURE anhören kannst: Sei doch nicht nur normal! Sei doch nicht nur normal! Und streichele die Seelen der Gegner und Deiner Feinde auch in Deiner Fantasie, so dass der Hass sich Dir entzieht und ihre Bilder in Dir sich freundlicher gebärden. Denn nur so werden Dir jene Kräfte auch geboren, in denen Du gegoren, verwandelt wirst, dem Gegner und dem Feinde durchlöster zu begegnen, um so vielleicht die Gegner- schaft ein wenig zu entfeinden… Weiterlesen »