zum Thema Emanzipation          Kinostart: 26.5.2016 und 30.6.2016

Viele halten den Feminismus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts schon wieder für „out“, dabei gibt es immer noch reichlich zu tun für eine tatsächliche Gleichberechtigung der Frauen – in unserer mitteleuropäischen Gesellschaft – ganz zu schweigen vom Rest der Welt.

Da ist es sinnvoll, dass Filmemacher sich des Themas annehmen. „Suffragette“ zeigte die empörende Ausbeutung und Rechtlosigkeit der Frauen in England um 1900. Jetzt kommen zwei Filme über einzelne Frauen ins Kino, die es schafften, gegen alle Widerstände ihre Talente zu entfalten und ein weitgehend selbstbestimmtes Leben zu führen.

„Sonita“ ist ein preisgekrönter Dokumentarfilm der Iranerin Rokhsareh Ghaem Maghami mit der Besonderheit, dass der Film nicht nur beobachtet, sondern dank einer eigentlich „unprofessionellen“ Entscheidung direkt in das Geschehen eingreift.

Als kleines Mädchen kam Sonita auf der Flucht vor den Taliban aus Afghanistan in den Iran. Sie lebt unter dürftigen Bedingungen bei Verwandten, verdient etwas Geld mit einfachen Jobs und wird von einer sozialen Einrichtung unterstützt. Sie telefoniert mit den Eltern daheim, aber wenn sie es sich wünschen dürfte, wäre Michael Jackson ihr Vater und Rihanna ihre Mutter. Sonita singt, sie will eine anerkannte Rapperin werden, schreibt nachdenkliche Texte über ihr Leben und unterhält damit die Mädchen, die ein ähnliches Schicksal haben wie sie. Ihr Wunsch ist ein Ding der Unmöglichkeit. Im Iran darf eine Frau nicht als Solo-Sängerin auftreten. Doch das ist ihr egal, sie entwickelt sich weiter, findet auch männliche Musiker, die sie unterstützen. Ein Wunder wird geschehen, glaubt sie.

Doch die Macht der Traditionen ihres Landes holt sie ein. Die Mutter reist an, um sie zurück nach Afghanistan zu holen. Sonita soll verheiratet werden, für 9000 $ . Das Geld wird gebraucht, damit ihr älterer Bruder den Preis für seine Braut zahlen kann. Das ist kein Einzelschicksal, Sonitas Freundinnen, alle noch Teenager, mussten sich dem gleichen Diktat beugen, oder stehen unmittelbar davor.

Die freundliche Sozialarbeiterin kann der minderjährigen Sonita nicht helfen, sich zu wehren oder sich frei zu kaufen, also wendet diese sich an die Regisseurin, die einen Film über ihren Alltag dreht. Maghami lehnt es zunächst ab, in Sonitas Leben einzugreifen, ihre Aufgabe ist das Beobachten und Aufzeichnen. Doch dann lässt sie sich 2000 $ abringen, mit denen sich Sonita eine Galgenfrist von ihrer Familie erkaufen kann.

Diese Zeit nutzt sie, um ein Musikvideo verbotener weise in einem Studio zu produzieren und es auf Youtube zu stellen. Der Aufschrei gegen Zwangsheiraten und für die Selbstbestimmung muslimischer Frauen findet weltweite Aufmerksamkeit. Eine amerikanische Universität bietet ihr ein Stipendium für ein Musikstudium in den USA an. Doch um an einen Pass und ein Visum zu kommen, muss Sonita zurück nach Afghanistan, und sie muss ihre Familie täuschen. Die Regisseurin Maghami unterstützt sie auch auf diesem Weg und dreht einen Film, an den sie nicht im Traum gedacht hatte, als sie damit begann.

Es ist die Geschichte einer Einzelkämpferin unter widrigsten Umständen. Eine junge Frau findet zwischen den Kulturen ihren Weg, geht über emotionale und archaische Grenzen, mit nichts als ihrem Talent, ihrem Willen und der Unterstützung zweier empathischer Frauen, der Sozialarbeiterin und der Filmemacherin.

Der Film „Lou Andreas Salomé“ von Cordula Kablitz-Post ist von einem ganz anderen Kaliber. Mit ausgezeichneten, „unverbrauchten“ Theaterschauspielern (im Mittelpunkz: Katharina Lorenz) wird in sehr präzisen Szenen und Dialogen die Geschichte der Philosophin, Schriftstellerin und Psychoanalytikerin erzählt, 1861 in Sankt Petersburg geboren, Freundin und Förderin unter anderem von Nietzsche und Rilke, Schülerin und Kollegin von Sigmund Freud.

Die 72jährige Lou (Nicole Hesters) beginnt 1933 mit dem Germanisten Ernst Pfeiffer (Mathias Lier), der als Klient zu ihr kommt, ihre Lebensgeschichte aufzuzeichnen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten wirft dunkle Schatten auf diese Zeit, besonders auf das Geistesleben.

Lou Salome (als Jugendliche:Liv Lisa Fries) wurde von ihrem Vater früh gefördert und frei erzogen. Bald war ihr klar, dass sie als (Ehe-) Frau oder Geliebte keine Chance hätte, in der von Männern bestimmten Welt als Ebenbürtige respektiert zu werden. Sie ist entschlossen, keine Liebesbeziehung einzugehen und studiert gegen den Willen ihrer konventionellen Mutter in der Schweiz Philosophie, schreibt Gedichte und Abhandlungen und bewegt sich in intellektuellen Kreisen, wo sie viele Bewunderer hat. Mit den Philosophen Rée (Philipp Hauß) und Nietzsche (Alexander Scheer) plant sie eine Wohngemeinschaft, ein Skandal in damaliger Zeit. Sie geht eine Pro forma-Ehe mit Friedrich Carl Andreas (Merab Ninidze) ein, um unangefochten ihr Leben leben zu können. Lou wird als Femme fatale dämonisiert, dabei ist sie eine gelehrte und geistreiche Frau, die mit den besten Köpfen ihrer Zeit mithalten kann.

Als der junge, noch erfolglose René Maria Rilke (Julius Feldmeier) sie mit Gedichten umwirbt, fördert sie ihn und gibt ihre keuschen Grundsätze auf. Aber als er klammert, befreit sie sich, und sie wird diesem Muster noch öfter folgen.

Im Gegensatz zu Sonita haben wir in Lou Andreas Salome eine Frau aus privilegierten Verhältnissen, die sich aber ebenfalls nicht mit den Regeln und Beschränkungen in einer patriarchalischen Gesellschaft abfinden will. Hier wie da, im 21. wie im 19. Jahrhundert, geht es um persönliche Freiheit, Entfaltung von Potentialen und gleiche Rechte für Frauen und Männer.