Der Mensch denkt: Gott lenkt.
An einem schönen Sonntag blätterte Gott in der Chronik seiner Werke, die verschiedene Ghostwriter verfasst hatten. Am erbaulichsten fand er immer noch die Genesis:
„Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und leer. Finsternis lag über dem Abgrund, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Da sprach Gott: ‚Es werde Licht.‘ Gott sah, dass das Licht gut war, und Gott schied zwischen dem Licht und zwischen der Finsternis.“
Das zweite ‚zwischen‘ gehört da weg, dachte Gott und las weiter:
„Gott nannte das Licht Tag, und die Finsternis nannte er Nacht. Es ward Abend, und es ward Morgen: der erste Tag.“
Ja, so hatte es angefangen. Das Schweben über den Wassern war zu langweilig geworden, Abwechslung musste her. Jede Veränderung und Entwicklung hat Gegensätze zur Voraussetzung. Hell – dunkel, nass – trocken, heiß – kalt, unbelebt – belebt, unten und oben. Dann kamen noch frei – unfrei, ich – du, gut – böse dazu, letztere allerdings nicht in der Natur, nur in den Köpfen der Menschen.
Sollte ich einmal genug haben von dieser Schöpfung, überlegte Gott, brauche ich nur die Tage abzuschaffen, und alles bricht zusammen. Ich könnte die Erdrotation anhalten, das würde genügen. Dann wäre eine Seite der Erde immer der Sonne zugewandt, die andere stockdunkel und kalt. Die Sonnenseite würde sich natürlich immer mehr erwärmen und bald verdorren, die Seite der ewigen Nacht würde vereisen und wäre auch unbewohnbar. Am ehesten könnte sich höheres Leben an den Rändern, in der Zone der konstanten Dämmerung, noch eine Weile erhalten. Die Menschen würden ausflippen, bevor sie aussterben, da fiele ihnen nichts mehr ein. Sie würden versuchen, den Tag-Nacht-Rhythmus irgendwie einzuhalten, die Uhren blieben ihnen ja, und die Vorhänge und Rollos. Aber die Tiere würden da nicht mitmachen, die drehen zuerst durch und gehen ein. Dann die Migration der halben Menschheit. Alle wollen ans Licht, bis sie merken, dass das ewige Licht ebenso tödlich ist wie die ewige Finsternis. Das Wetter käme auch bald zum erliegen. Die Erde wäre dann so öde wie ihr Mond, der nur aus der Ferne romantisch leuchtet und ein menschliches Gesicht zu haben scheint.
Die Tage abzuschaffen, das wäre ziemlich gemein von mir, dachte Gott. Interessant wären die Auswirkungen auf den Glauben. Bestimmt würden viele mir ihr Vertrauen entziehen, oder mich verfluchen, aber ebenso viele würden noch frömmer und alle Gotteshäuser füllen.
Nein, ich denke, ich lasse der Welt und den Menschen die Tage. Auch mich freut ja der Tau auf den Gräsern am Morgen, das Vogelgezwitscher in der Dämmerung, die kitschigen Sonnenuntergänge. Wie belebend der Wechsel vonTätigkeit und Ruhe! Wenn die Erdentage der Menschen schon gezählt sind, dann sollen sie sie wenigstens haben und nach Möglichkeit genießen. Hugh, ich habe gesprochen, wie mein Kollege Manitu sagen würde.
[Falls jemand fragt, warum ich mich mit Gott so gut auskenne – ich erschaffe ihn mir natürlich nach meinem Ebenbild, so wie alle Religionsstifter, Theologen, Propheten, Priester und Gläubige das tun.]