Swami Satchidananda eröffnet das Woodstock-Festival im August 1969 in Upstate New York (Foto von Mark Goff, Public Domain, Wikipedia)

 

Ludwig Zaccaro, ein alter Freund von mir, erzählt gerne Geschichten. Von Berufung sei er Geschichtenerzähler, sagt er. Einige davon sind wahr, zum Beispiel die Folgende. Manche davon schreibt er auf und nennt sie »Essays«. Er zeigt sie aber nur im engen Freundeskreis. Warum, habe ich ihn gefragt. Und warum bloggst du nicht? Das tu ich mir nicht an, sagte er, da bin ich zu empfindlich, denn als er einmal etwas über seine Erfahrung mit Corona schrieb, erntete er einen Shitstorm. 

Deshalb veröffentliche nun ich hier nun einen Text von ihm, der mich in mehrerer Hinsicht besonders berührt hat. Er schreibt darin über den Aufbruch der »Jugend von damals«, den er noch sehr gut in Erinnerung hat, manchmal mit Tränen in den Augen ob der Größe der Sehnsucht und der Bereitschaft ‚von uns‘ – auch ich bin einer ‚von ihnen‘ – die Gesellschaft zu verändern. Die ja schon damals vom Kapitalismus geprägt war, von Konsumrausch und Umweltzerstörung, und in der die USA gerade den Vietnamkrieg führten. Ludwig Zaccaro ist 1948 geboren und wird dieser Tage 74 Jahre alt. 

 


Das Cover von „Blows against the Empire“ (1970)

 

Es ist Sonntag morgen. Verzaubert sitze ich da, denn ich habe gerade in mein Schatzkästlein gegriffen und die CD »Blows against the Empire« von Jefferson Starship herausgeholt. Weit weg von hier, in Auroville, habe ich sie zum ersten Mal gehört, so leise, wie es durch den Zwang der Umstände nötig war. Dort war Rockmusik verpönt, und so saßen wir zu dritt um zwei Uhr nachts im Aufenthaltsraum der Siedlung »Aspiration«, wo ich damals wohnte, und lauschten mit Tränen in den Augen verzückt diesen göttlichen Klängen.

Seitdem sind fast 50 Jahre vergangen. Die Ehrfurcht und der leise Hauch von Trauer, die ich damals empfand, sind in dieser langen Zeit jedoch mitnichten vergangen. Das Gefühl vom Überbleibsel einer schöneren Zeit steigt in mir auf, und wirklich, es fällt mir schwer, andere in solche Erlebnisse mit einzubeziehen. 

 

Der Aufschrei nach Freiheit und einer besseren Welt

Stell dir vor, es würde irgendwo gerade Belangloses, Alltägliches geredet, wie es so oft geschieht. Währenddessen wird nebenbei irgendein sinnloser Mist gemacht, und im Hintergrund erklingen diese heiligen sphärischen Töne, die nur ich noch als solche empfinden kann. Bei meinem Versuch, dies anderen Menschen zu erklären, ernte ich nur verständnisloses Schulterzucken. Wie oft habe ich solche Szenen schon erlebt! Der Schmerz geht mir tief ins Herz. Zuweilen lässt mich der Gedanke an ein solches Sakrileg schier rasend werden. Da möchte ich meine Mitmenschen rütteln und aus ganzer Kehle schreien: »Hey du, sag bloß, du hast noch nie etwas von Jefferson Airplane gehört!? Oder vielleicht doch, und bist dir gar nicht bewusst geworden, wen und was du gerade gehört hast!?«

Diese Traumbilder, diese Gefühle, dieser hoffnungsvolle Aufschrei nach Freiheit und einer besseren Welt kann doch nicht einfach vergessen und vorbei sein? Spürt ihr denn nicht, dass dies nicht einfach Hintergrundmusik für Gespräche ist und billiger Kommerzsound? Dass dort ein ehrliches Begehren und Streben nach dem Göttlichen aus jedem Ton und Wort spricht, mit soviel Zärtlichkeit und Liebe erschaffen!? Ja, ich weiß, ihr haltet mich verrückt. Die einen waren zu jung damals, und die anderen wollen nichts mehr davon hören. So wie wir damals nichts mehr vom Adolf und dem Dritten Reich hören wollten. Wir taten sogar als wäre nichts gewesen, was ja auch verständlich ist.

Doch die Zeit von Woodstock ist es wert, auch heute noch gewürdigt und nicht vergessen zu werden. Oh, wie ist die heutige Welt grau und nüchtern geworden! Die Begeisterungsfähigkeit meiner Jugend ist zum Teufel, und ich fühle mich angesteckt, infiziert von mittelmäßiger Belanglosigkeit. So schleppe ich mich, alt geworden, dahin, schmiede Pläne, setzte mir Ziele und packe meine mir noch bleibende Zeit voll mit Dingen, auf dass ich nur wenig Zeit zum Grübeln und Nachdenken habe. Das einzige, was mich am Leben hält, ist der Hoffnungsfunke, dass es so nicht weiter gehen möge, dass das alte, echte Fieber und nicht ein Kommerz-Disco-Fieber a la »Saterday-Night« wieder auf’s Neue ausbrechen und wie eine Seuche um sich greifen möge und die Säulen unserer Gesellschaft und unseres Denken zum Wanken brächte. Ich will noch einmal dabei sein, voll und ganz, nicht nur am Wochenende und bei Festivals, wie das auf Burg Herzberg. Darauf warte ich innerlich, auch wenn mein Verstand mir sagt, dass dies nie der Fall sein wird. 

 

Der Tanz des Wowoka

Wenn ich so sehe, wie der Mensch sich und seine Umwelt systematisch zerstört, entsteht in mir der Funke eines seltsamen Gedankens. Als die Indianer Nordamerikas erkannten, dass ihre Zeit unwiderruflich vorbei war und dass sie den Kampf gegen die weißen Eindringlinge für immer verloren hatten, begann ein gewisser Wowoka eine Art Geistertanz, der um sich griff. Immer mehr seiner Schwestern und Brüder begannen ekstatisch zu tanzen und die beeindruckten und gleichzeitig verwirrten Sieger ließen sie am Leben.

Bin ich ein »Seher« – Risihis wurden sie einst in Indien genannt –, um das Folgende zu sehen? Angesichts einer unabwendbaren, weltweiten Katastrophe flammt heute der Geistertanz Wowokas auf’s Neue auf. Die Menschen beginnen auszuflippen und zu tanzen und damit endlich ganz zu Menschen zu werden. Zu Menschen, die auf ihre Seele hören und nicht mehr nur auf ihren Verstand. 

Wenn die ganze Welt in Flammen aufgeht und es nur dadurch erreicht werden kann, dass der Mensch den Teufelskreis seines destruktiven Handelns durchbricht und die Kluft zwischen seinen Idealen und der Realität aufgehoben wird. Wenn der Mensch nur so zum Menschen werden kann, dann ist das eben so. 

Dann soll die Welt brennen, lichterloh und alles verzehrend. So gewaltig lodernd, dass man es im ganzen Weltall wahrnehmen kann, als Zeichen der gewaltigsten Revolution, die es je gab. Als Zeichen, dass der Mensch es endlich geschafft hat, Mensch zu werden.