Manfred Stangl hat mir zur MeToo-Debatte einen Text zugeschickt, der in ungekürzter Form in der Frühjahrausgabe des Pappelblattes, der in Wien erscheinenden »Zeitschrift für Literatur, Menschenrechte und Spiritualität« erscheint, zum Thema »Der Wieder-Verlust des Körpers«.
Wir kennen uns seit er in den 90er Jahren einmal im Connectionhaus Niedertaufkirchen an einem meiner »Kreativ Schreiben« Kurse teilgenommen hat. Seitdem haben wir gegenseitig unsere Newsletter abonniert und schreiben uns gelegentlich Emails. Gerade haben wir uns auf La Palma auch mal face-to-face wiedergetroffen. Er ist der Herausgeber des Pappelblattes und engagiert sich dort für sexuelle und spirituelle Freiheiten und gegen die Restauration der Werte von ehedem.
Französinnen gegen MeToo-Hexenjagd
Im Zuge der Metoo-Debatte kritisierten zahlreiche Frauen in den französischen Medien die ihrer Meinung nach stattfindende Hexenjagd gegen Männer.
Die »Freiheit zu belästigen« sei »unerlässlich für die sexuelle Freiheit«. Den Text haben fünf Schriftstellerinnen verfasst, darunter auch Catherine Millet, die mit dem freizügigen Buch »Das sexuelle Leben der Catherine M.« von 2001 bekannt wurde. Unterschrieben ist der Aufruf von rund hundert Frauen, unter ihnen auch Schauspielstar Catherine Deneuve.
Die Antwort von Feministinnen kam prompt: Sie werfen den Verfasserinnen des Textes vor, bewusst die Grenzen zwischen Verführung und Übergriffen zu verwischen und »die Millionen von Frauen zu verachten, die Gewalt erleiden«. Das entnehme ich dem Internet.
Ich denke, dass obige Feministinnen selbst dazu neigen, die Grenzen zu relativieren: Das glaube ich, nachdem mir klar wurde, dass tatsächlich eine Retrobewegung bezüglich sexueller Freiheiten im Gang ist.
Höchst befremdlich mutet es an, wenn ich in der österreichischen Tageszeitung Kurier lesen muss, dass eine Machtmanagerin aktuell erotisch engere Zeiten verortet als jene in denen die heute 60-Jährigen aufwuchsen. Schneller fühle sich eine Frau belästigt als ehedem, weniger ist Offenheit bezüglich Sexualität gefragt als unmittelbar nach den Zeiten der sexuellen Revolution. An US-amerikanischen Unis scheint es gar unzumutbar, dass ein männlicher Dozent das Wort »Brüste« in den Mund nimmt – befinden wir uns vor einer konservativen Wende?
Männer ticken anders als Frauen
Sexuelle Übergriffe – vor allem durch Vorgesetzte – müssen geahndet werden. Die Zeit ist reif dafür; gleichzeitig scheint eine Stimmung sich breitzumachen, die suggeriert, dass die fordernde, drängende Sexualität der Männer etwas Garstiges, Unreines, Schlechtes sei. Voll Aggression und unkontrollierbar. Ich vermute, ein Problem dieser Sichtweise liegt darin, dass im aktuellen politisch korrekten Feminismus nicht gegendert wird, d.h. nicht unterschieden wird, dass Männer und Frauen anders ticken. Die bewusste Gleichmacherei, der ein ehrenwertes Ziel zugrunde liegt, nämlich Frauen und Männern gleichen Wert zuzuerkennen, übersieht die verschiedenen Wirkungsweisen des männlichen und weiblichen Prinzips. Ich schätze in den postmodern abstrakten Zeiten die Qualitäten des weiblichen Prinzips wie Mitgefühl, Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Liebe, Anteilnahme, Gemeinschaftsgeist, Solidarität höher ein, als die männlichen des Wettbewerbs und des Kampfes. Statt diese Prinzipien überhaupt als existent anzuerkennen, agiert ein kampfbereiter unsensibler Feminismus nach den Regeln der männlichen Konkurrenzwelt und denunziert augenscheinlich die Männer – auch wenn die französischen Feministinnen den Generalverdacht zurückweisen.
Konterrevolution gegen den Körper?
Die Frage drängt sich auf, ob der aktuelle Zeitgeist nicht wieder zur Unterdrückung der Sexualität führt, zur Verdrängung von Bewusstseinsinhalten, die unter dem zugeschütteten und zugeknöpften Leib gar nicht ins Bewusstsein rücken können: was wiederum zur Gefahr der Manipulation führt, zu Erlässen einer Hierarchie, die erlaubt, wer Sex haben darf wer nicht, wie er auszuschauen hat und wie nicht. Als gelte es die Sechziger abzuschaffen, die Befreiung der Sexualität und dabei auch die der Frauen, zurückzunehmen. Dämmert hierbei nicht unter dem Deckmantel der politischen Korrektheit die Gefahr einer Konterrevolution gegen die Befreiung der Körper am Horizont? Natürlich führte die sexuelle Revolution auch in Sackgassen. In die Betten älterer Männer etwa in der Mühlkommune, die Mädchen einredeten, sexuell frei sein zu sollen. Aber die sexuelle Revolution brachte auch die Pille, das Selbstverständnis von Frauen, mit einem Mann sich einlassen zu können, ohne ihn gleich mittels Hochzeit an sich binden zu müssen. Dass diese Errungenschaften in Gefahr sind, dafür sei der Blick geschärft.
Zeiten des Narzissmus
Vielleicht liegt ein Teil des Problems darin, dass wir in extrem narzisstischen Zeiten leben. Narzissten brauchen eine einfache, polare Welt, in der sie deutlich die Guten und die Bösen zuordnen können. Zumal es in der Geschäftswelt zunehmend ums Sieger-, Erster-, Bester-Sein geht. »Verpfeif dein Schwein«, wie in Frankreich gegenüber Belästigern gefordert, weist auf einen kruden Narzissmus hin, der eine Mann/Frau-Dichotomie herstellen will und die Frauen als die Guten, Männer als die Bösen definiert. Eine schwer narzisstische Frau mag schon deshalb Männer entwerten wollen, um damit die einzig Beste, die Siegerin, die Überlegene zu sein. Das scheint, nach der Vorgeschichte unseres Patriarchats, auch nachvollziehbar. Allerdings wird ein derart befeuerter Geschlechterkampf in unversöhnliche Positionen ausufern, die Isolation und Vereinsamung in unseren westlichen Gesellschaften nur erhöhen. Ich wende mich damit nicht gegen die Bestrafung sexueller Übergriffe oder gar Vergewaltigungen, ganz im Gegenteil: In der Bewusstmachung, wie unglaublich vielen Frauen solche Verbrechen widerfahren, sehe ich eine große Chance auf Veränderung.
Wo bleibt die Eigenverantwortung?
Ganzheitlich spirituelle Menschen werden sich eine weitere wichtige Frage stellen. Wo bleibt die Eigenverantwortung? Diese Debatte wird in den politisch korrekten Medien vor allem unter dem Aspekt geführt, ob Frauen wieder als Opfer hingestellt werden, die ununterbrochen von Männern Missbrauchsversuchen ausgesetzt sind, oder als starke, selbstbestimmte Wesen, die auch so laut Nein sagen können, dass wiederholte Belästigung unterbleibt. Es gibt jedoch noch eine Ebene dazwischen. Wobei mit Eigen-Verantwortung natürlich nicht Schuld gemeint ist: Schuld hieße, die unzähligen missbrauchten Frauen auch noch fürs Vorgefallene schief anzustarren. Eine solche Täter-Opfer-Umkehr ist glücklicherweise tatsächlich ein Relikt vorfeministischer Zeiten.
Macht und Sexualität
Als Beispiel: Eine junge Schauspielerin gab an, von Steven Seagal vergewaltigt worden zu sein. Er habe sie zu einer Party eingeladen. Als sie läutete, sagte er, alle Gäste seien schon gegangen. Er führte sie auf ein Zimmer, dort entkleidete er sie und vergewaltigte sie dann. Dann versuchte er tagelang sie anzurufen. Mir erscheint die Darstellung dieses Vorfalles in den obigen Worten der Betroffenen höchst bemerkenswert: Macht und Sexualität führen seit jeher ein dubiöses Wechselspiel. Die junge Schauspielerin will zur Party des berühmten und einflussreichen Mannes. Sie erwartet sich wohl vorteilhafte Bekanntschaften, vielleicht sogar Seagals persönliches Engagement. Das ist legitim. Vielleicht schätzt er sie ja wegen ihrer schauspielerischen Qualitäten. Nun teilt er ihr an der Tür mit, alle anderen Gäste seien schon gegangen. Ein alter Schmäh, der normalerweise keine noch so naive Jungfrau mehr ins Vorzimmer lockt. Sie tritt trotzdem ein. Dann führt er sie auf ein Zimmer. Zerrt er sie an den Haaren hin? Nein. Warum geht sie mit? Er entkleidet sie. Tat er ihr dabei Gewalt an? Davon wird nichts berichtet. Dann vergewaltigt er sie, sagt sie.
War das jetzt tatsächlich eine Vergewaltigung, oder ist das eine Verleumdung? Er versucht tagelang sie anzurufen: eindeutig sexuelle Belästigung… Nein, ich will nicht höhnisch werden. Aber die junge Frau hätte mehrmals die Möglichkeit gehabt, einfach zu gehen, auch wenn zugegebenermaßen gerade in Abhängigkeitsverhältnisses das nicht immer ganz so leicht scheint. Am unverfänglichsten wäre alles geblieben, hätte sie gleich nach dem Schmäh »Die andern sind schon gegangen« auf dem Absatz kehrtgemacht. Wer zwang sie, einzutreten?
»Gehässig geführte Debatte«
Da ist doch eine Menge Verantwortung bei ihr selbst zu suchen. Warum sie auch immer sich entschied bis zum Entkleiden, bis zum Geschlechtsakt mitzumachen, sie hätte vorher Nein sagen können, ja auch müssen. Vielleicht würde die gegenseitige schriftliche Einverständniserklärung tatsächlich viele einflussreiche Männer schützen. Die Frage ist, ob dann nicht ein gefinkelter Anwalt eine Nötigung feststellen könnte, aufgrund der die Frau unterschrieben hat. Jedenfalls muss jede Frau selber wissen, wie weit sie zu gehen bereit ist und wie weit nicht.
Wird durch die oftmals gehässig geführte Metoo-Debatte solch Bewusstseinsprozess gefördert, hat sie auf jeden Fall Sinn. Dass darauf aufmerksam gemacht wird, welch ungeheure Ausmaße sexuelle Belästigung – gerade am Arbeitsplatz – angenommen hat, dafür ist den Metoo-Begründerinnen auf jeden Fall zu danken.
Wiederverlust des Körpers
Peter Rosegger berichtet in einem seiner Romane von den Knechten, die nicht heiraten durften, weil sie eben bloß Knechte waren. Sex unterm Dach der Bauern war ja verpönt, bzw. es durft keinen solchen geben ohne Ehebund. Die sexuelle Befreiung ist neben der Segnungen der Selbstverständlichkeit im körperlichen Umgang miteinander auch als Emanzipationsschritt unterer sozialer Schichten zu begreifen.
Wenn die staatliche Autorität, wie es in Schweden passiert, definiert, wann Sex legitim ist und wann nicht, dann nähern wir uns rasant dem Wiederverlust des Körpers an. Zukünftig müssen selbst Eheleute vor jedem Geschlechtsakt einander Einwilligung attestieren. Ferner ist sogar eine schriftliche Zustimmung auf vielen US-Colleges Pflicht – sonst würde es sich möglicherweise um Vergewaltigung handeln. Solch angebliche politische Korrektheit scheint mir ein unerhört tiefer Eingriff in die Privatsphäre: der kapitalistische Staat wünscht Kontrolle in den intimsten Lebensbereichen und führt damit immer mehr Unsinnlichkeit herbei. Anscheinend, damit die unsinnlichen, ihres Körpers entfremdeten und sich selbst weniger bewussten Menschen dann leichter zu manipulieren sind. Sie sollen mehr leisten und konsumieren, mehr Ersatzbefriedigung suchen als Partnerschaft und Sex.
Staatliche Einmischung ins Intimste
Wir müssen sehr, sehr vorsichtig sein: am Ende droht uns ein Wiederverlust des Körpers – die staatliche Einmischung ins Intimste sowieso. Solch Einmischung von kirchlicher Seite würden wir uns aufs Schärfste verbitten. Soll denn nun der neoliberale Staat per Gesetz entscheiden, wie Mann und Frau sich anzunähern haben?
Die Postmoderne hat das Patriarchat nicht überwunden. Sie gibt dies nur vor, kraft politisch oder sonstwie korrekter Sprache, was aber die nicht die Probleme behebt, sondern nur ihre Benennung. Im Gegenteil führt das intellektualistische, atheistische Patriarchat zu weiterer Unterdrückung des Körpers vermittels Begriffsverwirrung und somit jener des Bewusstseins. Solche Verdrängungen könnten rigider und gefährlicher ausfallen als religiöser Fundamentalismus, der primär den Körper tabuisierte.
Erst rodete die Zivilisation die Urwälder, dann wurden Schamhaar und körpereigene Duftstoffe als störend abgeholzt und mit Chemie beschmiert, nun soll die Natur zwischen Männern und Frauen noch weiter reglementieret und gestört werden.
Über eines sollten wir uns dabei klar sein: Verwirrte, fehlgeleitete und unterdrückte Menschen werden zu überbordenden sexuellen Übergriffen und anderem Irrsinn neigen.
Der Artikel von Manfred Stangl erscheint in ungekürzter Form in der Frühjahrsausgabe des Pappelblattes.
Eine noch tiefer gehende Untersuchung der Ursachen einer übergriffigen Kultur, der Wirkungen der MeToo-Debatte und der Feinheiten der Übergänge zwischen Flirt und Nötigung in der Begegnung zwischen Mann und Frau zeigen die Blogbeiträge von Saleem Matthias Riek.
Das kann doch nicht wahr sein, #metoo rauf und runter, und hier wagt es weder Männlein noch Weiblein, darauf was zu sagen. Dabei ist der Artikel harmlos kritisch. #Metoo ist es hingegen nicht. Die Kampagne kostete bereits rund zehn Männern das Leben und vernichtete zahlreichen Männern die Existenz, und das alles aufgrund von überwiegend anonymen Vorwürfen und unbelegten Bezichtigungen, die überwiegend Jahrzehnte alt sind und selbst heute noch nicht zur Anzeige gebracht wurden. Das zeigt einmal mehr, wie verlogen unsere politisch korrekte Gesellschaft geworden ist. Eine Gemeinschaft von Duckmäusern und Denunzianten. Hatten wir hier schon mal; hat sich aber offensichtlich… Weiterlesen »