Am 2. Juli habe ich im Rahmen des BeFree Sommertreffs einen Vortrag über das Matching gehalten. Wie geschieht unter uns Homo sapiens die Paarbildung? Wie finden wir einander? Für eine Nacht, einen Lebensabschnitt oder bis der Tod uns scheidet. Für eine Freundschaft, Liebesaffäre oder Familiengründung mit legaler Bindung aneinander.
Ich habe den Vortrag als Vorbereitung für ein Abend-Event gehalten, auf dem die etwa 40 Teilnehmer des Sommertreffs ihre eigenen Strategien der Paarbildung, des Findens und gefunden Werdens überprüfen und damit experimentieren konnten, um auch mal was anderes auszuprobieren. Meine Anleitung hierzu habe ich durchweg humorig vorgetragen, weil die Komik unseres menschlichen Verhaltens in der Dichte dieser hier theatralisch inszenierten Bindungen so gut sichtbar wurde. Einerseits umfängt uns bei diesem wichtigen Thema der Ernst des Schicksalhaften: Wie finde ich den/die Richtige/n? Denn die Liebe, das ist doch das, was uns am meisten unter die Haut geht. Was uns glücklich oder eben unglücklich macht. Andererseits … wenn wir uns selbst dabei zusehen, wie wir uns bei dieser Suche anstellen und dem Liebesglück immer wieder ein Bein stellen, sieht das doch in vielen Fällen ziemlich komisch aus.
Finden und gefunden werden
Zur Einstimmung stellte ein paar Fragen an die Teilnehmerinnen des Workshops. Jetzt stelle ich sie an die Leser dieses Textes: Finden und gefunden werden, was magst du lieber? Welche Strategie hast du bei der Partnerwahl? Wählst du, oder lässt du dich finden?
Fakt ist: Heutzutage dürfen in unserer Gesellschaft auch die Frauen den ersten Schritt machen. Ein Beispiel für diesen Trend ist die App Bumble, die es seit 2014 gibt. Da machen Frauen den ersten Schritt. Männer dürfen eine Frau erst dann kontakten, wenn sie von ihr kontaktet wurden. Die App wurde von einer Frau gegründet, Whitney Wolfe Herd, die vorher bei Tinder war. Im Jahr 2019 machte Bumble knapp eine halbe Milliarde US-$ Jahresumsatz. In Zeiten von Corona dürfte der noch gestiegen sein.
Auf dem Beziehungsmarkt entscheiden Angebot und Nachfrage. Die populärsten Teilnehmer an diesem Matching-Markt bekommen die meisten Angebote und können sich mit anderen populären liieren; die weniger populären müssen nehmen, was übrig bleibt. Stimmt das? Oder ist das nur ein Klischee, und die Wirklichkeit des einander Findens ist ganz anders? Es ist ja nicht immer so, dass mensch sich in ihrer Liga bindet. Auch in den modernen Märchen wünschen wir uns, dass der Prinz ein Aschenputtel bekommt und der Underdog die Beauty Queen.
Yin- und Yang-Wege
Unsere bewusste Wahl ist oft von unserer Herkunftsfamilie gesteuert, wie man in den Aufstellungen sieht. Das bringt nicht immer optimale Ergebnisse, sonst hätte jede unserer Verliebtheiten elegant in eine tiefe Liebe übergehen müssen. Oft bringt der Zufall uns mehr Glück. Und dann, wichtiger, unsere Fähigkeit, im und hinter dem Persönlichen auch das Transpersonale zu erkennen.
Eine alte Weisheit besagt: Geh mit aller Kraft für das, was du begehrst! Das wäre der aktive, westliche Weg, der des männlichen Helden, der Yang-Weg. Hingebungsvoller, vielleicht weiser erscheint demgegenüber der Yin-Weg: Begehre, was dir zugespielt wird! Finde damit dein Glück. In den Jahrtausenden vor der Dominanz der Liebesheirat, in denen unsere Vorfahren von ihren Eltern oder Herkunftsfamilien gematched wurden, blieb uns fast nur dieser Weg. Oder die Suche nach außerehelichem Glück.
Für wie populär hältst du dich?
Wie hast du bisher deine Beziehungsentscheidungen getroffen? Auch: deine Freundschaften. Hattest du dabei eine Strategie? Hast du damit erreicht, was du wolltest?
Welchen Wert hast du dir dabei gegeben auf dem Markt der Möglichkeiten? Hältst du dich für so populär, dass du dich hochrangig liieren darfst, oder musst du nehmen, was übrig bleibt, und wenn es da nichts Passendes gibt, allein bleiben? Oder führt uns eine höhere Macht zusammen, eine Fügung, das Schicksal, und es kommt nur darauf an, wie sehr wir uns dem hingeben können und unser kleines Ego beiseite lassen? Welche Glaubenssätze hast du diesbezüglich? Konstatiere sie einfach. Und dann mache vielleicht ein Fragezeichen an diese Gewissheiten. Es könnte doch auch ganz anders sein, als du denkst.
Biologie, Soziologie & Psychologie des Matchings
Die Biologie spricht von der »Female Choice«: Der Mann führt einen Balztanz auf (Hirsche, Pfauen, Paradiesvögel), die Frauen entscheiden, wen sie nehmen; sei es für eine kurze Kopulation, wie bei den meisten Tieren; sei es, wie bei Pinguinen, Schwänen, Störchen, Bibern und Wölfen für (meistens) ein ganzes Leben.
Die Soziologie sagt: Man paart sich in derselben sozialen Schicht oder Kaste. Vor allem die Eltern (die Verwandtschaft) bestimmen den Match. So ist das trotz Bollywood auch heute noch überwiegend im indischen Subkontinent, wo mehr als 1,8 Milliarden Menschen leben, mehr als im ganzen Kontinent Afrika oder in China.
Die Psychologie sagt: Heutzutage dominiert ‚bei uns‘ die Liebesehe bzw. der Liebesmatch. Immer öfter wird dieser von Partnerschaftsvermittlungen im Internet eingeleitet. Die Erfolge sind dabei nicht schlechter als die durch Zufall oder den freien Markt der Begegnungen auf Partys und in Seminaren der jeweiligen Subkultur bzw. des Milieus, dem du entstammst.
Die Sinne und der Charakter
Schließe mal kurz die Augen und lass vor dein inneres Auge ein paar deiner Favoriten treten, bei denen du dich freuen würdest, wenn sie bei nächster Gelegenheit (hier im BeFree Sommertreff: bei der nächsten Übung) von höherer Hand dir zugewiesen würden.
Frage dich, welches Sinnesorgan dir diese Personen als attraktiv erscheinen lässt: Sind es deine Augen, deine Ohren, die Haut, die Nase oder Zunge? Wahrscheinlich nur ein oder zwei der ersten drei. Nase und Zunge waren hier im BeFree Sommertreff jedenfalls erstmal noch nicht Teil der Jury. Welcher Sinn von dir hat dabei am meisten Macht und kann die anderen überstimmen? Bei den meisten Menschen ist das zuerst das Auge.
Frage dich dann, inwieweit auch das charakterliche Zusammenpassen eine Rolle spielt, und welchen Wert das gegenüber dem Votum der Sinne hat. Den Charakter eines Menschen erfahren wir vor allem im Gespräch, bei der Zusammenarbeit, bei gemeinsamen Unternehmungen; später im Alltag des Zusammenlebens, falls es dazu kommt.
Der Beziehungsmarkt
So vieles heutzutage wird durch Märkte bestimmt. Die heute bei uns vorherrschende Religion ist die der Marktwirtschaft. Sie fordert, dass die wichtigsten Entscheidungen unseres Lebens von Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Auch der Beziehungsmarkt! Auch dort spielen deine Position auf der Skala zwischen reich und arm (in materieller oder anderer Hinsicht) eine große Rolle, ebenso die Attraktivität der Sinne. Vor allem die des Auges, was sich in den Likes zeigt, die wir unseren Favoriten im Internet geben. Die Industrie der visuellen Selbstdarstellung im Internet basiert auf der Bevorzugung des Auges bei der Partnerwahl und betont diese noch durch fotografische Kunst, Kosmetik per Photoshop, immer öfter auch durch schönheitschirurgische Eingriffe am lebenden Körper.
Schließe noch einmal die Augen und frage dich, welches Ranking du auf diesem Markt hast. Wie attraktiv bist du auf diesem Markt? Genauer: in deiner sozialen Nische, in deiner Altersgruppe. Und wie wirkt sich das auf dein Selbstbewusstsein aus?
Schicksal, Fügung, Hingabe
Es ist wie es ist, damit muss ich mich abfinden und will das schließlich auch. Sowieso soll ja »Dein Wille geschehen«, wie das christliche Gebet besagt. Wirklich? Manch eine von euch wird sich nach den Aussagen über den schnöden Markt lieber in eine Wunschwelt begeben, in der andere Mächte das Matching bestimmen: Astrologie, Tarot, Aufstellungen, Schicksal, Fügung, die Göttin des Zufalls, das Unsagbare, Göttliche und Anderes. Sie könnte die Überzeugung gewinnen, dass diese Kräfte mächtiger sind als das kalte Herz des Marktes. Vielleicht habt ihr Fans dieser anderen Mächte sogar Recht damit, wer weiß das schon. Sich dem hingeben zu können, was einem zugetragen wird, durch welche Kraft auch immer, ist jedenfalls eine Fähigkeit, die vielen Menschen einiges an Unglück erspart hätte, Sisyphos ist nur einer davon.
Es ist allerdings so, dass wir priorisieren. Wir Homo sapiens, wir weisen Tiere tun das – sapiens heißt immerhin sowas wie wissend oder weise. Wir wählen unseren Standort, unser Essen und unsere Partner aus, oder wuppen diese Entscheidungen wenigstens so gut wir eben können. In allen diesen Bereichen haben wir Favoriten. Priorisieren zu können und folglich Favoriten zu haben in den für uns wichtigen Entscheidungsbereichen, ist eine wesentliche menschliche, übrigens auch tierische Fähigkeit. Mein Lieblingsessen ist dies, am zweitliebsten esse ich jenes, und so weiter.
Ich weiß auch, was für eine Wohnung ich würde haben wollen, wenn Geld keine Rolle spielte. Das nenne ich das urmenschliche, urtierische Favorisieren. Es führt zum Erstellen von Prio-Listen; die sind sehr nützlich. Wenn wir mit solchen Prio-Listen und einem gegebenen Budget auf Wohnungssuche gehen, ergibt sich gegenüber einem vorhandenen Angebot ein Marktgeschehen. So ähnlich ist das auch beim Matching auf Partnersuche. Dort entspricht dem Budget des Wohnung Suchenden in etwa der soziale Status (durch Schönheit, Geld oder andere Merkmale) des Beziehung Suchenden. Und auch dort spielen Zufall und Fügung eine Rolle. Nicht zuletzt auch das uns Unbewusste, wie etwa ein noch nicht erkannter Auftrag aus dem Familiensystem.
Das Transpersonale
Ich will dem nun noch einen weiteren Aspekt hinzufügen, der auf allen spirituellen und Selbsterfahrungswegen große Relevanz hat: das Transpersonale. Er bedeutet, dass ich in dir nicht nur das einzigartige Individuum sehe, deine Persönlichkeit, sondern auch das, was dort durch die Ritzen hindurch scheint: »There is a crack in everything, that’s where the light comes through«, sang Leonard Cohen. Alles hat einen Riss, einen Fehler, das ist die Stelle, wo das Licht hindurchscheint. Der Mann dir gegenüber ist auch ein Vertreter aller Männer, ein Shiva. Die Frau gegenüber ist nicht nur diese spezifische, unverwechselbare Frau, sie ist auch eine Shakti, eine Vertreterin der weiblichen Gottheit bzw. aller Frauen, die du je getroffen hast und noch treffen wirst.
Ich meine, dass Weisheit sich darin zeigt, wie du das Persönliche und das Transpersonale in deinem Leben unter einen Hut bringst, in eine Balance, zu einem gemeinsamen Wirken anstatt einem potenziell blockierenden Gegeneinander.
Auf zur Balz ….
Am Ende des Vortrags am 2. Juli im BeFree Sommertreff forderte ich die Teilnehmer/innen auf, sich ihre drei Favoriten zu notieren unter den 20 des jeweils anderen Geschlechts, die dort für probeweise Paarbildungen (wie kurz auch immer) zur Verfügung standen. (Wir gehen in den BeFree-Workshops von Heteros aus. Anders gesagt: Wir tun einfachheitshalber so, als sei uns allen klar, zu welchem Gender jede von uns gehört.)
Schreib dir die Namen deiner Favoriten auf, forderte ich. Falls du deren Namen nicht mehr weißt, deren Kennzeichnen. Schreibe sie vor dem Abend-Event auf einen Zettel oder auf dein Handy. Nur für dich, deine Auswahl braucht niemand zu sehen. Damit du dich dann nicht mit der tröstlichen Behauptung rausreden kannst, die, mit denen du dich in diesem Spiel liiert hast, seien eigentlich deine Favoriten gewesen (oder die Unerreichbaren seien eigentlich ’saure Trauben‘, wie in Äsops Fabel vom Fuchs und den Trauben).
Wer von den Leserinnen dieses Blogeintrags solch einen Abend einmal selbst erleben will, komme zu einem der BeFree Events und vergewissere sich, dass dort das Matching-Spiel stattfindet. Zum Beispiel im kommenden Sommerfestival auf Gut Frohberg vom 1. bis 5. September wird das Matching eines der Abend-Events sein, eingeleitet durch meinen Vortrag am Vormittag oder Nachmittag davor.
Meistens werden immer die gleichen gewählt
„Meistens“ oder „immer“?
Und: Wir können uns ändern, behaupte ich.
Was ist Änderung?
Zur Frage: Meistens werden die gleichen gewählt. Das Immer ist Lokalkolorit/Dialekt..
Eine interessante (und uralte) Frage: Was kann man unter Änderung verstehen? Und wenn man das geklärt hat, kann man auch ermessen. was an menschlicher Änderung überhaupt möglich ist.
Unser Charakter, unsere Persönlichkeit kann sich ändern.
Der Mensch auf seiner Heldenreise durchs Leben ist ein sich wandelnder, auch wenn unsere Gene dabei ganz oder +/– dieselben bleiben.
Von Genen sprach ich nicht.
Wichtig, mal Fotos ihrer Mütter mitbringen,
das ist schon mal die halbe Miete …