Kürzlich bekam ich von Rainer Herzog eine E-Mail zur Thematik »Advaita und Politik«. Seine Gedanken seien inspiriert durch das Verfolgen der aktuellen Geschehnisse in »der Szene«, vor allem auf Facebook, schrieb er mir, und bot mir nun seine »etwas resigniert-verzweifelten Beobachtungen« zur Veröffentlichung an. Hier ist, was er schrieb:

Advaita und Politik

»Ich muss gestehen, dass ich inzwischen einfach nur noch entsetzt bin. Wer hat den non-dualen Lehrern und Schülern eigentlich geraten, sich mit politischen Themen zu befassen und die entsprechenden Erkenntnisse öffentlich zu verbreiten?

Anything goes. Es gibt kein ‚Gut‘ und ‚Böse‘. Hauptsache, man ist irgendwie gegen die mehr oder weniger ‚vom Staat‘ gesteuerten ‚Mainstreammedien‘ (bei Letzteren wird auch grundsätzlich niemals unterschieden zwischen Bild und Zeit). Der große Guru der Szene ist jetzt nicht mehr Ramana Maharshi, sondern Ken Jebsen.

Wahrscheinlich liegt es an der manchmal etwas diffusen Einheit von ‚Sein‘, ‚Leere‘ und ‚Nichts‘, verbunden mit der im Advaita inhärenten relativierenden und etwas nihilistischen Grundhaltung, dass ein Bezug zu verbindlichen demokratischen Werten längst verloren gegangen ist.

Schwärmen für Trump

Einige nonduale Lehrer im deutschsprachigen Raum schwärmen tatsächlich für Trump und glauben, dieser würde einen ‚Ausgleich der Kräfte‘ herbeiführen. Ein anderer Lehrer symphatisiert auf seinem Facebook-Profil öffentlich mit den rassistischen Gedanken von Geert Wilders.

Alles, was wir über den Syrienkrieg wissen, ist selbstverständlich eine Lüge der Medien, so hat ein einigermaßen bekannter Mensch in der Szene letztens einen entsprechenden Link gepostet. Nachdem ich in fünf Minuten googeln herausgefunden und geantwortet hatte, dass es sich bei der Quelle der Seite um eine äußerst unseriöse, sogar rechte Seite handelt, kam prompt die bezeichnende Antwort: ‚Wen interessiert das noch? Was zählt, ist die Wahrheit.‘ 

Können wir nichts wissen?

Manche (mehr Schüler als Lehrer) sagen auch häufig ‚dass wir nichts wirklich wissen können‘ und sind dann allerdings sehr offen, um auf jedweden Klamauk dankbar hereinzufallen. Die im Spirituellen häufig (allerdings auch nicht immer) richtige Haltung ‚man kann nichts wirklich wissen‘ (Gibt es Gott? Was kommt nach dem Tod?) wird etwas naiv auf den Umgang mit dem politischen Tagesgeschehen übertragen. Manchmal kommt da auch noch der Hinweis auf die Unübersichtlichkeit im Netz als Ausrede hinzu. Sind denn alle zu bequem, um sich gründlich zu informieren? Auch zum Thema ‚Holocaust‘ könnte man sagen: ‚Wir können nichts wirklich wissen‘ – und sogar, wenn man mag, diverse Seiten mit ‚wissenschaftlichen Beweisen‘ posten, dass alles ganz anders war.

Auch früher schon gab es durchaus die ein und andere peinliche Entgleisung von spirituellen Lehrern, z.B. in dem Advaita-Klassiker ‚Stille des Herzens‘ von Robert Adams: ‚Kannst Du Dir vorstellen, wie es sich anfühlt, so einfach andauernd und ohne jeden Grund glücklich zu sein…Du hörst vom Krieg im Irak – und Du bist glücklich. Kein Krieg im Irak – und Du bist glücklich‘ (Bd 1, S. 93,94).«

Wahrheit und Lüge

Ich zitiere das, weil ich das Verwischen des Unterschieds zwischen Wahrheit und Lüge wie auch das zwischen Fakt und Fiktion aus den spirituellen Szene (nicht nur dem Advaita) gut kenne. Die Verwischungen werden gerne unter dem Sanskritwort »Maya« als Oberbegriff geführt: »Du bist doch auch ein spiritueller Mensch, da weißt du doch auch, dass alles Illusion ist!« So gratuliert man in diesen Szenen zum Wissen um Maya, dabei vielsagend lächelnd, um dem Gesprächspartner zu verstehen zu geben, dass man das schon weiß. 

Dabei ist es doch ganz einfach: Eine Lüge ist das absichtliche Aussprechen oder Schreiben einer Unwahrheit zum Schaden des Empfängers der Botschaft. Der Begriff der »Lügenpresse« ist also schon insofern falsch, als die damit Bezichtigten zum größten Teils glauben, sie würden die Wahrheit veröffentlichen. 

Illusionen

Eine Illusion ist etwas anderes als eine Lüge. Sie ist eine Täuschung, der man erliegt, ohne es zu wollen. Im Traum weiß man in der Regel nicht, dass man träumt, und im Kino vergisst man vielleicht, dass es nur ein Film ist – man erwacht aus diesen Täuschungen in der Alltagswirklichkeit. Ist auch diese eine Illusion? Kann man so sehen und so sagen. Aber wer den Unterschied zur Traumwirklichkeit oder einer offenbaren Fehleinschätzung eines Sachverhaltes (Hat das Auto einen Ersatzreifen oder nicht?) vermischt, der ist in Gefahr. Als Weisheit getarntes spirituelles Geschwätz kann Menschen durchaus in Gefahrenzonen bringen. 

Auch der Trend zum so genannten »Postfaktischen« verwischt diese Unterschiede – zum Nutzen politischer Gestalten, Personen und Parteien, die damit großen Schaden anrichten können.