Kürzlich hatte ich ein Telefonat mit einem mir sehr wichtigen Menschen. Sie erzählte mir etwas aus ihrem Leben, das in ihr eine Wunde hinterlassen hatte, und das sie so noch nie jemand anvertraut hatte. 

Dann klopfte es bei mir an der Tür. Ich wollte erst nicht aufmachen, ging dann aber doch hin, unterbrach unser Telefonat für eine Viertelstunde und kehrte zurück in die Intimität unseres Gesprächs, das ich emotional gar nicht verlassen hatte.

Für sie, die sich mir da anvertraut hatte, aber war diese Unterbrechung ein unverzeihlicher Vertrauensbruch. Ich hätte das Telefonat nicht unterbrechen dürfen. Stimmt, ich gab ihr Recht, das hätte ich nicht tun dürfen. Aber diese Einsicht half mir nun nicht mehr. Mein Fehlverhalten blieb unverziehen; sie rechnete hart und gnadenlos mit mir ab. Auch Stunden danach und am nächsten Tag blieb die Tür zu ihrer Seele für mich verschlossen. 

Nun hatte ich auch ich es

Als es am nächsten Tag wieder an meiner Tür klopfte – ich lebe in einem Haus mit 17 Flüchtlingen aus vier sehr verschiedenen Regionen der Welt – erschrak ich. »Ohhhhh, hoffentlich nicht wieder!« war meine erste emotionale Reaktion. Das Klopfen am Vortag war der Auslöser des Vertrauensbruchs geworden, den ich nun mir selbst vorwarf. Die ‚Klägerin‘ hatte ihre Verwundung an mich weitergegeben. 

Ungefähr so muss es gewesen sein: In ihrer Kindheit hatte sie etwas erlebt, das sie emotional nicht verarbeiten, nicht integrieren konnte. Sie hatte sich geweigert, eine für sie ganz schreckliche Erfahrung seelisch anzunehmen, sie hatte dissoziiert, wie Psychologen das nennen. Nun hatte sie im Gespräch mit mir diese Wunde wieder berühren können. Meine Unterbrechung des Gesprächs war für sie der Anlass, ihre Überzeugung »Ich kann niemandem vertrauen« noch einmal bestätigt zu bekommen und zu festigen. Und mich dann so harsch zurückzuweisen, dass nun bei mir eine Wunde blieb. Ein paar Tage lang hatte ich das Gefühl, wenn ich ihr wieder begegne, sei es am Telefon oder ‚in echt‘, würde sie mich wieder verletzen. Ich vertraute ihr nicht mehr. 

Die Weitergabe von Verwundungen

Während ich diesen Vorgang in mir beobachtete, dämmerte mir, wie Traumata weitergegeben werden. Von einem Menschen zum anderen, von einer Generation zur anderen. Sich einem anderen Menschen anzuvertrauen braucht Mut oder das sogenannte Urvertrauen, das davon ausgeht, von diesem anderen Menschen nicht leichtfertig, willkürlich verletzt zu werden. Immer wieder wird dieses Vertrauen getestet und erschüttert, wer das erfährt wird dann vorsichtiger sein im sich Annähern und verschließt sich manchmal ganz. Es könnte ja wieder weh tun, wenn ich mich öffne, deshalb bleibe ich lieber verschlossen, ganz für mich, allein. 

So allein wird man aber nicht glücklich. Tiefes Glück erleben wir nur in der Liebe, Hingabe und in vertrauensvoller Kooperation. Im oben beschriebenen Fall wurde mir klar, wie solch eine Verwundung und das sie begleitende Misstrauen weitergeben werden. Trotz dem nun auch mir zugefügten Schmerz, den ich erst einmal verarbeiten musste – annehmen, dabei bleiben, dabei bleiben, einsinken, bleiben, bleiben … bis sich die Energie wandelt –, war ich dann doch dankbar für diese Erkenntnis. Und zwar nicht nur in Bezug auf die Person, die diesen Vorgang in mir ausgelöst hatte, die ich nun besser verstand und mit der sich nach ein paar Tagen das Vertrauen wieder herstellte, sondern viel weiter: Ich verstand, wie Misstrauen entsteht, Verdächtigungen, Unfrieden, Hass, Kriege. Menschen beginnen erst dann zu hassen, wenn ihnen etwas Lebensnotwendiges verweigert wird und sie diese Verwundung in sich nicht heilen können.

Erworbenes Urvertrauen

Das mir entgegen gebrachte Misstrauen hatte mich verletzt. Das konnte ich aber in mich aufnehmen, warum auch immer mir es vergönnt war, dass ich das konnte, dank dem Himmel, möge es so bleiben. Meine Verschlossenheit blieb nur ein paar Stunden. Dann überwog die Freude, verstanden zu haben. Und ganz allgemein: nun besser zu verstehen, wie es ist, mit solch einer Verwundung zu leben und sich der Öffnung zu verweigern. Meine eigene Verweigerung, mein Rückzug und mich Einigeln fühlte sich zunächst sogar ganz kuschelig an: Hier kann mir niemand etwas antun, hier bin ich sicher. Gut so. Allmählich aber verlor sich meine Verwundung und das sie begleitende Misstrauen wieder. Ich fiel zurück in meinem Normalzustand des Vertrauens oder besser: eines guten Gleichgewichtes zwischen Vertrauen und Misstrauen. 

Wenn ich sage »Urvertrauen« klingt das vielleicht so, als hätte man das oder eben nicht, von Geburt oder Kindheit an bleibend. Meine Erfahrung aber ist, dass man dieses Urvertrauen erwerben kann. Im Grunde sind alle Therapien des Human Potential Movements darauf ausgerichtet, ein solches Vertrauen zu erwerben und es dort zu etablieren, wo es schon da ist.  

Offenheit kann erschrecken

Großes Vertrauen kann allerdings auch erschrecken. Es erschreckt und fasziniert zugleich. Die meisten Menschen fühlen sich nämlich mit ängstlichen Menschen sicherer, weil die berechenbarer sind. Wer im Leben für die Liebe optiert und gegen die Angst, für den Mut und gegen das sich Verkriechen in eine schützende Schale oder hinter Masken, muss damit rechnen, andere Menschen gerade durch solche Offenheit zu erschrecken. Besser, man weiß das vorher, dann ist der so ausgelöste Schrecken leichter zu ertragen.