Wenn ich in einer Wohnung ankomme, wo sich die Bewohner mit Selbsterfahrung und Körperbewusstsein beschäftigen, finde ich dort manchmal eine Postkarte wie diese hier irgendwo gut sichtbar angepinnt: »Tanz oder gar nicht«. Ein Wortspiel mit Tiefgang.
Entweder du tanzt, oder du kannst es gleich lassen mit … dem Leben, der Lebendigkeit, der Lebenskunst und dem bei dir selbst Ankommen. Tanze oder lass’ es sein. Sei nicht steif. Zelebriere deine Bewegungen als einen Tanz.
Ich bin die Mitte der Welt
Tanzen hat für mich mit Subjektivität zu tun. Mit der Haltung »Ich bin die Mitte der Welt«. Als ich einmal auf einem Kongress in Berlin Gerald Hüther sprechen hörte, sagte er zu Beginn seines Vortrags sowas wie »Wir unterschätzen die Subjektivität«. Er sprach dabei so, als sei er von der Ahnung von etwas Heiligem ergriffen, das er nicht ganz verstand aber doch anerkennen musste in seiner mysteriösen Kraft. Es war nur ein Satz, aber sein Staunen über Mysteriöse an der Subjektivität übertrug sich aufs Publikum.
Mittelalter und Moderne
Wenn ich mich im Tanz um mich selbst drehe, bin ich die Mitte der Welt. Alles um mich herum ist dann Peripherie, ich bin die Mitte. Das ist nicht etwa eine falsche Darstellung der Tatsachen, sie ist nur mathematisch ein bisschen komplizierter darstellbar als die objektive. So wie das geozentrische Weltbild mit seinen Bewegungen der Himmelskörper nicht so schön einfach darzustellen ist wie das das kopernikanische, bei dem die Erde um die Sonne kreist. Es ist aber nicht das eine falsch und das andere richtig, auch wenn das eine mittelalterlich und das andere modern ist.
Der Schatten der Moderne
Ist es unmodern, sich als Mitte der Welt zu empfinden? Mag sein. Dann aber ist es höchste Zeit, die Moderne um diese Sicht zu ergänzen. Denn die wissenschaftliche Sicht, die für sich Objektivität beansprucht im Sinne von: Wir haben Recht, so ist es »in Wirklichkeit« gegenüber dem »bloß Subjektiven«, sie verdrängt die Tatsache, dass jeder Wissenschaftler ein die Welt wahrnehmendes Subjekt ist. Zudem eines, das Sprache verwendet, um die Welt zu beschreiben. Wenn beides verdrängt wird, die Subjektivität und das Framing der Tatsachen durch Sprache, haben wir die Katastrophe am Kochen, die unsere heutige Zeit ausmacht.
Im Rhythmus schwingen
Dagegen müssen wir antanzen. Das ist meine Praxis. Ein scharfer Intellekt und eine hohe kognitive Intelligenz sind ohne das gar nicht auszuhalten. Ich drehe mich um mich selbst wie die Derwische, die Kinder und wie es in den Volkstänzen gemacht wird. Ich wiege mich im Rhythmus, als könne ich darin das Uhrwerk des Universums hören und mich darin einschwingen. Der Swing des Jazz ist die Verbindung, die Connection mit allem, das fühle ich meine Geborgenheit im Ganzen. Da bin ich nicht mehr allein, so wie in der objektiven Welt, als kleiner Punkt in einem schier unendlichen Universum, sondern verbunden mit allem. Die Verankerung im Subjektiven verbindet mich, und das Tanzen stärkt dieses Gefühl. Es erinnert mich daran, dass das Subjektive der unentbehrliche Gegenpol des Objektiven ist.
Das Relative und das Absolute
Still sitzend nehme ich alles wahr. Die von mir wahrgenommene Welt, ich sehe sie, höre sie, fühle sie und nehme sie an als das, was ist. Ebenso das, was innen in mir vorgeht, meine Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen.
Objektivität ist immer nur relativ, sie braucht den Konsens mit den anderen wahrnehmenden Subjekten. Den zu finden kann kompliziert sein. Es sei denn, er wird suggestiv hergestellt durch die Faszination der Masse, der Gruppe, das Bedürfnis dazuzugehören in »der richtigen Welt«. Und so vieles, was wir für objektiv halten, sind intersubjektive Wahrheiten, wie etwa der Wert von Geld, den es gar nicht gäbe, wenn nicht alle daran glauben würden. Oder auch die Wahrheit von den politischen Grenzen, die auf meinem Leuchtglobus nur dann existieren, wenn ich dort das Licht anschalte und »in der Wirklichkeit« nur dann, wenn dort Grenzbeamte mich aufhalten.
Die subjektive Wahrnehmung hingegen ist das Absolute. Sie ist unbezweifelbar. Sie ist der Bezug zu Gott.
Holografie
Tanzend vergewissere ich mich, dass ich bin. Dass ich die Mitte bin, jetzt und schon immer und auch weiterhin, mich verankernd im Zeitlosen, Todlosen, in der der Tiefenzeit. Alles um mich herum gehört mit dazu, auch ihr alle, ihr anderen tanzenden Subjekte seid Teil von diesem Ganzen. Holografie ist der wissenschaftliche Begriff für das Bild einer Welt bestehend aus Punkten, von denen jeder die Mitte ist. Jeder eine tanzende Mitte.