Lange habe ich überlegt, wie ich die Überschrift einer Kampagne, die von einer mutigen Frau in Großbritannien initiiert wurde, auf Deutsch betiteln soll: »Emerging Proud« heißt sie, mit dem Untertitel »coming out of the spiritual closet«.

Ob die Konnotation mit dem »stillen Örtchen«, das wir alle kennen, gewollt ist oder nicht, kann ich sprachlich nicht entscheiden. Auch mein Mann, ein »native speaker«, war sich da nicht sicher. Auf jeden Fall geht es hier darum, dass Menschen, die vorher mit ihren Erfahrungen in einem starken Rückzug, einer Abgeschiedenheit, gelebt haben, nun öffentlich hervortreten und stolz dazu stehen können. Auf diese Weise soll – laut Katie Mottram, der Initiatiorin – eine Normalisierung und eine Ent-Stigmatisierung  dieser Erlebenswelten erreicht werden.

Denksysteme verändern

»Re-Framing« – ein grundsätzliches Ändern eines Bezugsrahmens – wird angestrebt. Das Ordnungs-System, dem  zu Leibe gerückt wird, sind die psychiatrischen Diagnose- und Behandlungskonzepte  unserer westlichen Welt. Letztendlich geht es hier um die Frage, ob das bisher für »verrückt« oder »krank« Gehaltene nicht eigentlich als »normal« oder vielleicht sogar höchst »spirituell« eingeschätzt werden soll.

Die Menschen, die im Rahmen der EmergingProud-Kampagne in vielen öffentlichen Interviews ihre Erfahrungen schildern, sind sich – trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Geschichten – in einer Aussage einig: Ihr persönliches Denk- und Weltbild hat sich durch die krisenhaften Prozesse, die sie durchlebt haben, völlig verändert – zum Besseren! Ob dieses Wohler-Fühlen subjektiv als Erwachen, Befreiung, Heilung oder einfach als Bei-sich-Ankommen beschrieben wird, spielt keine Rolle. Immer hat ein großer Wandel, eine innere (oft auch äußere) Transformation stattgefunden.

Zusammenbruch als Durchbruch verstehen

»Psychischer Zusammenbruch bedeutet nicht ein Gebrochen-Sein« ist eine der Kernaussagen der Bewegung. Vielleicht zerbricht etwas Altes, Überholtes und macht den Weg frei für neue Entwicklungen. Aber es geht dabei nichts Grundsätzliches kaputt und es läuft auch nichts total falsch während der Krise.

Solche Prozesse können höchst schmerzhafte und auch destabilisierende Erlebnisse sein, die einen besonderen Schutzraum und achtsame Begleitung brauchen. Sie mögen auch vorübergehend die weltliche Funktionstüchtigkeit erheblich einschränken. Eine Auszeit nehmen und in den Rückzug gehen – ein oder mehrere Retreats – gehört zu solchen Entwicklungen genauso dazu, wie der Wunsch, eine verständnisvolle Umgebung zu finden, die das Neue würdigen kann.

Die Betroffenen sind die Expert(inn)en

EmergingProud möchte, dass diejenigen, die so etwas erlebt haben, eine öffentliche Stimme bekommen und von ihren Erfahrungen berichten können. Mehr noch, die potenziellen Helfer und Unterstützer sollen ihnen zuhören, um zu verstehen, wie sie ihre Wege aus der Dunkelheit der Erfahrung oft von ganz alleine gefunden haben und welche Unterstützung da gut war. Sie sind die Experten und Expertinnen, die wissen, was da hilft und was ein Mensch  in einer solchen Lebenssituation braucht. Katie Mottram hat ihren eigenen Prozess in dem Buch »mend the gap« (sie meint damit das Reparieren einer  Lücke in unserem Gesundheitssystem) beschrieben.

Ihr Filmprojekt »EmergingProud«, in dem sie noch viele andere Menschen zu ihren Erfahrungen interviewt, erlebt am 12. Mai 2017 in 10 verschiedenen Ländern seine Premiere. Wer an keiner Veranstaltung teilnehmen kann, findet ihn auch ab diesem Tag im Internet. An manchen Veranstaltungsorten wird an diesem EmergingProud-Day, der von nun an jährlich am 12. Mai stattfinden soll, auch noch der Film »CrazyWise« gezeigt und dazu ein umfangreiches Rahmenprogramm angeboten.

EmergingProud-Film

Nähere Informationen zu den Veranstaltungsorten und zur Kampagne gibt es hier:

Über den Film

Veranstaltungsorte am 12. Mai

EmergingProud-Kampagne