Gestern Morgen war ich Avocados sammeln. Es hatte am Vortag hier auf der Insel starken Wind gegeben, dann fallen von den Plantagen am Rand des Flusstals immer Avocados runter in den trockenen Flusslauf, den Barranco, wie es hier heißt. Wenn ich rechtzeitig da bin, ehe die Ratten sich über die Früchte hermachen, kann ich dort vollreife, leckere Avocados für meine Küche aufklauben.
Soweit der ökonomische Nutzen. Das Sammeln bietet aber auch noch etwas viel Wertvolleres für mich als die Ersparnis von ein paar Euros: Ich werde dabei zum Steinzeitmenschen.
Wie auch schon einst beim Sammeln von Walnüssen im Garten des Connectionhauses oder beim Stromern in der Wildnis von La Palma unter von den Einheimischen aufgegebenen Mandelbäumen – da werde ich zum Jäger und Sammler. Jäger nach Nüssen, Sammler von Essbarem. So sehr, dass dabei mein Normalverhalten mehr oder weniger aussetzt, wenn ich dem nicht bewusst entgegenwirke. Ich bin dabei so sehr vom Suchbild dessen gebannt, was ich da jage oder sammle, dass ich fast nur noch das sehe, alles andere ist mir unwichtig. Eine archaische Gier ergreift mich, mein Mind ist besetzt von einem Suchbild, nur noch was dazu passt, tritt in mein Bewusstsein ein.
Machen wir das nicht auch sonst so, mit unseren positiven wie negativen Vorbildern? Mit dem, was wir befürchten oder für uns haben wollen? Ein Bild prägt sich in uns ein – hier das Bild einer am Boden liegenden Avocado. Das ganze sonstige Geschehen wird daraufhin von uns gemäß diesem Bild gefiltert und reduziert auf ein »passt« oder »passt nicht«.
Gut, das beobachten zu können. Zur »Praxis des Erwachens« bin ich vor ein paar Tagen von den Veranstaltern einer Erleuchtungskonferenz interviewt worden. Von wegen Praxis des Erwachens! Bei aller Achtung für das Ankommen in einem Zustand der Desillusioniertheit, wie er mir und etlichen anderen zuteil wurde, ist es doch eher die Praxis der Entdeckung unserer normalmenschlichen Besessenheit von Suchbildern, womit wir uns tagein, tagaus beschäftigen, so wie ich hier gerade mit den Avocados.
Erst einmal vollständig erkennen zu können, wie solche Wahrnehmungstunnel funktionieren und unsere geistige Orientierung bestimmen, das wär’ schon mal was. Es würde politisch und gesellschaftlich so viel erklären – und so viel ändern können. Wenn man Steinzeitmenschen Atomwaffen in die Hand gibt, plus Raketen und Drohnen, vermeintlich heilige Bücher, die das letzte Wort Gottes sein sollen und andere kanonisierte Welterklärungssysteme – Hilfe, rette uns, wer kann! Die täglichen Nachrichten zeigen doch, was dabei herauskommt.