Als Medienpartner der Serie homo digitalis von BR, Arte und ORF berichtet die Süddeutsche zur Zeit über Fake-Beziehungen. Damit sind Beziehungen mit Menschen gemeint, die nur eine virtuelle Identität haben, es gibt sie nicht in echt. Darunter die Geschichte, wie Denise Fritsch sich in Jasmin Nicoletta Goldmann verliebte und erst nach zwei Jahren ihrer innigen Beziehung mit Jasmin merkte, dass diesen Menschen gar nicht gibt.

Auch die Webseite realfakes.net beschäftigt sich mit solchen Fällen und will den Betrogenen helfen. Mich interessiert das insofern, als der Buddhismus, ebenso wie die Advaita-Lehre und auch einige moderne westliche Philosophien jedwede individuelle Identität für – letztlich – ein Fake hält, an das wir uns allerdings in vielfältiger und fundamental sinngebender Weise »haften«. 

Ich, du, er-sie-es

Auch mit Romanfiguren und Filmhelden identifizieren wir uns ja. So groß ist der Unterschied nun auch wieder nicht, finde ich, zwischen der Fan-Liebe zu einem Idol, das man bewundert und mit dem man sich identifiziert und sich tagträumerisch verbunden wähnt – und dem Reinfallen auf eine fiktive Persönlichkeit im Internet, mit der man sich befreundet, befeindet oder sich in sie verliebt. 

In Spanien gibt es jetzt übrigens einen Kinderbuchverlag, der personalisierte Bücher herausgibt: Mi cuento heißt er Verlag, »Meine Geschichte«. So wie bei einem personalisierten Anschreiben ist die Heldenfigur des Kinderbuchs, das man dort bestellen kann, ein bestimmtes Kind, mit Namen und Bild. Das Buch kann man seinem eigenen Kind zum Geburtstag schenken – der Held der Geschichte ist dann dein Kind, nicht mehr Harry Potter. Ein Fake? Die Pädagogen dieses Verlages loben die Vorteile: Das Kind würde sich dann noch mehr gemeint fühlen als wenn die Geschichte in der dritten Person erzählt würde, so wie bei den Märchen und Mythen, die wir kennen.

Schöpferisches Gestalten – von Identitäten?

Es sind zwar die meisten Schöpfer von Fake-Identitäten im Internet Betrüger, aber nicht alle, wie der Fall von Jasmin zeigt. Es könnte auch die reine Lust an der Kreativität hierbei der Schaffensimpuls sein. Oder, bewusst oder unbewusst, ein Bedürfnis nach Heilung. Das, wenn es gelingt, zur Katharsis des künsterlisch Schaffenden führt, wie sie Drehbuchschreiber und Romanautoren zuweilen erleben, und die auch das Urmotiv des antiken griechischen Theaters war. Warum hat Goethe die Figur des Werther erschaffen, diesen Bestseller des 18. Jahrhunderts? Er wollte sich damit von einer eigenen unglücklichen Liebe befreien, das war seine Antwort auf diese Frage. Vielleicht haben auch einige der Schöpfer fiktiver digitaler Figuren solche persönlichen Motive. 

Und wenn Eltern aus Liebe und Lust oder als Agenten ihres Familiensystems (das sich z.B. in Aufstellungen zeigt) bei der Gestaltung der Identität ihrer Kinder gewisse schöpferische Impulse zur Geltung bringen? Oh, das ist ein großes Thema, mit dem ich mir einige Pädagogen zu Feinden machen könnte. Vielleicht ein andermal.

Die narrative Gestaltung

Wie echt ist unsere persönliche Identität eigenlich? Auch Tantra versucht hierauf eine Antwort zu finden. Vielleicht sind es die Geschichten, die wir einander erzählen, was unsere persönliche Identität ausmacht.

Lesenswert finde ich auch den Eintrag über Fakes in der deutschen Wikipedia. Was ich hier jedoch vermisse, ist der Hinweis auf die Fiktivität der Persönlichkeit ganz allgemein. Die wird leicht verwechselt mit einer Gleichgültigkeit gegenüber Recht und Unrecht, gut und böse, authentisch und geheuchelt, die einem Menschen unterstellt wird, der an der fundamentalen Echtheit der Persönlichkeit zweifelt – also genau das, womit Buddha vor 2.500 Jahren im damals spirituell recht hoch entwickelten, reichen Nordindien Furore gemacht hat. Neben Vergänglichkeit und Leiden nannt er dies als dritte wesentliche Eigenschaft der Existenz: Anatta (übersetzt in etwa: Nicht-Selbst) ist die zentrale Botschaft seiner Lehre. Sie ist im Grunde dasselbe, was Friedrich Schiller meinte mit seiner Aussage: »Der Mensch ist erst dann ganz Mensch, wenn er spielt.«

Spielen, ist es das? Auf dem Erleuchtungskongress in Berlin Anfang September habe ich mit meinen Gruppenteilnehmern anderthalb Stunden lang die Suche nach sich selbst gespielt.