Die Welt da draußen und mein kleines Leben hier, mein Körper, mein Atem, bin ich das? Und was sonst noch außer meinem Körper und dem, was ich an mir und in mir finde, bin ich denn? Und – kann ich das ausdehnen? Das, womit ich mich jetzt gerade identifiziere, das heißt, was ich jetzt bin, kann ich das ausdehnen? Ja, das geht, und wie es geht, damit befasst sich dieser Blogeintrag.

Die Erkenntnis »Auch das bin ich« findet man im Sanskrit als »Tat twam asi«. Im Schriftlichen zum ersten Mal in der Chandogya Upanishad, die dem 8.-6. Jahrhundert v.u.Z entstand (lt. engl. Wikipedia), also in einer Zeit noch vor Buddha und Sokrates. Auf der emotionalen Ebene entspricht dieser Erkenntnis die Empathie: Was du fühlst, das fühle auch ich. Auf der kognitiven ist jedes Eingeständnis einer Projektion innerer Anteile auf Partner, Gegner oder Feind oder auch auf die Gesellschaft oder Umwelt als Ganzes ein Eingeständnis, dass auch das, was ich da glaube, in dir gesehen zu haben, ich bin. Ich identifiziere mich, ich werde identisch mit etwas da draußen. Draußen? Nein, wenn auch die Welt da draußen ich bin, dann ist alles drinnen.

Bin ich so wie du oder doch anders, eigen, unvergleichlich, ein Individuum? Oder bin ich als mich Identifizierender, Projizierender, selektiv Wahrnehmender ein Täuschbarer? Und bin auch du und wir und ihr und alles andere? Oder bin ich beides – einzigartig und doch auch du und alles andere? Bin ich menschlich und göttlich, beides? Bin ich ein Avatar, eine Fiktion, und doch auch faktisch, dies hier, jetzt?

Wenn wir diese Fragen nicht nur einfach nachplappern, sondern sie aus echtem Interesse tief forschend uns selbst stellen, nenne ich das »die Praxis der Selbstausdehnung«. Aus ihr folgen Erkenntnisse und ein variables, insgesamt jedoch gestärktes Gefühl der Verbundenheit. Die hieraus resultierende Erkenntnis ist: Mein Ich oder Selbst ist dehnbar. Wenn ich gewahr werde, wen oder was ich für mich selbst halte, kann ich dieses Ich oder Selbst wie einen Expander ausdehnen. (Warum ich die Unterscheidung zwischen Ich und Selbst in diesem Fall für unwesentlich und verwirrend halte, habe ich anderer Stelle ausgeführt.)  

Selbstausdehnung – wie macht man das ganz praktisch? Hier ist eine Art, wie ich das gerne anleite. Bei Thich Nhat Hanh, Joanna Macy und anderen findet ihr ähnliche Anleitungen.

Der Weitwinkel

Fokussiere auf einen Gegenstand, egal welchen. Lasse deine Augen auf ihn gerichtet und verweile dort mit deiner attention, deiner Aufmerksamkeit. Nun registriere, dass du visuell mehr wahrnimmst, als diesen Gegenstand. Das ist dein Gesichtsfeld. Während die Augen auf den Gegenstand fokussiert bleiben, lasse deine geistige attention in diesem Gesichtsfeld spazieren gehen. Sie kann zum Beispiel den Rand deines Gesichtsfeldes umkreisen. Wohin du deine Aufmerksamkeit lenkst, unterliegt deinem Willen, oder nenne es ‚Geist‘. Während dein Körper reglos bleibt, bewegt sich dein Geist. 

Nun schließe die Augen und nimm das Gesichtsfeld, das du eben noch gesehen hast, als ein inneres Foto davon wahr. Spaziere darin herum, so wie grad eben noch mit offenen Augen. Stell dir nun vor, dein Blick könne zoomen oder einen Weitwinkel einstellen, so wie das Objektiv einer Kamera. Spiele damit. Fokussiere auf die Mitte, dann lass den Blick weiter werden, immer noch bei geschlossenen Augen. Nun weite bis auf 180 Grad, so hast du nun alles im (inneren) Blick, was vor dir liegt. Physisch ist diese Ausweitung nicht möglich, aber geistig-kognitiv geht es. Nun nimm auch dich selbst, das Subjekt dieser Wahrnehmung, mit in deinen weiten Blick. Dann dehne auf 360 Grad Rundumblick aus, sodass du nun auch alles hinter dir mit im Blick hast. Und über dir und unter dir, alles. Auch die Gedanken, die da gerade dir durch den Kopf schießen (»Wozu mache ich diesen Unsinn jetzt gerade«), hast du mit im kognitiven Blick.

Bin ich das alles?

Dann sage dir: Auch das bin ich, das Ganze. Oder als Frage: Bin ich das alles? Lasse alles mit drin sein, was du gerade erfährst: Gedanken, Gefühle, Körperempfindungen. Der Widerstand gegen diese Übungen ebenso wie die Hingabe an sie, alles ist mit drin in deinem weiten Blick.

Probier es aus! »Ehipassika, komm und sieh!«, sagte Buddha einst hierzu. Du brauchst nichts zu glauben, aber du kannst alles erfahren. 

Glauben, Erfahren, sich Beheimaten

Der Erfahrende ist dem Glaubenden weit überlegen, denn auch der Glaube an etwas ist eine Erfahrung, der wir gewahr werden können. Dann ist ein Glaube keine Besessenheit mehr, sondern ein Ruhen in etwas, das uns – wie relativ und vorübergehend auch immer – beheimatet. Solch eine Heimat können wir auch wieder verlassen. Manchmal müssen wir das sogar. Auch hierbei hilft die Selbstausdehnung. Wir können hinausgehen, auswandern in andere Welten und uns in einer neuen Heimat niederlassen – einer neuen Erzählung von der Welt.

The Work that Reconnects

Ich höre gerade zum zweiten Mal das Buch »Aktive Hope« von Joanna Macy und Chris Johnstone über »The Work that Reconnects«. Im November soll die deutsche Fassung des Buchs im Junfermann Verlag erscheinen. Auch beim zweiten Mal Hören dieser Inhalte bin ich hin und weg von Joanna Macys Einsichten und der Art, wie sie diese in ein Welt und Psyche heilendes Handeln umsetzt. Sie lässt alle an ihrer Methode teilhaben – ohne Trade-Mark, alles Open Source. Alle sollen wissen wie es geht:

1. Dankbarkeit (Gratitude)

2. Sich den Schmerz der Unverbundenheit eingestehen (sogar: Honoring it)

3. Ein neuer Blick auf die Welt (Seeing with new Eyes)

4. Handeln (Going forth) 

Diese vier Schritte sind nicht mit einmal getan, sondern das Vorgehen ist spiralförmig: Nach dem vierten Schritt kommt wieder der erste, und so weiter. Dabei dehnt sich unser Selbst immer weiter aus, das Gefühl der Verbundenheit wird mit der Umdrehung inniger. Es ist dies aber kein Verschmelzen mit den sich weitenden Ringen um mich selbst – die Autonomie des aktiv Wahrnehmenden und Handeln bleibt erhalten und unabdingbar. 

Dankbarkeit

Zum Thema »Dankbarkeit« kamen mir beim zweiten Hören wieder viele neue Einsichten. Auch wenn ich das Folgende sicherlich schon oft gedacht und praktiziert habe, diesmal sinkt es noch tiefer ein. 

Dankbarkeit ist keine Beschönigung! Was schrecklich ist, darf und muss auch so genannt werden. Kein »Sirup über die Scheiße« schmieren, wie es dem positiven Denken manchmal nachgesagt wird. Nein, Dankbarkeit betrifft die Auswahl (!) dessen, was ich in mein Bewusstsein rufe. Diese Auswahl muss auf des faktisch Wahre beschränkt sein, sonst ist diese Praxis nicht nachhaltig. Da wir jedoch sowieso weniger als ein Millionstel (!) dessen erinnern, was wir erlebt haben und davon wieder nur ein Bruchteil bewusst wahrgenommen haben, dürfen wir unter alledem durchaus das Promille aufrufen, das uns erfreut, ermutigt und stärkt. Und dafür danken!

Und dann können wir denen danken, die uns diese Freude – und überhaupt unser Leben und Überleben – ermöglicht haben. Letztlich danken wir Gaia, dem Organismus Erde. Pachamama haben es einige Andenvölkern genannt.

Kriege um Grenzen

Die WP (Washington Post) schreibt über den Ukrainekonflikt viel weniger biased (parteiisch) als die deutschen sogenannten Qualitätsmedien. Witzig, dass solche nur wenig parteiische Sicht ausgerechnet aus ‚der Hauptstadt des Imperiums’ kommt. Außerdem ist dieser WP-Text informativ und wesentlich: Sie vergleicht den aktuellen Stellvertreterkrieg in Südosteuropa mit den Grabenkämpfen an der Westfront im Ersten Weltkrieg. 

Was mir jedoch auch hier fehlt, ist die Erwähnung der Relativität von Grenzziehungen. Mein Sommerurlaub hat mich heuer wieder ins Elsass geführt. Gehört das »eigentlich« zu Deutschland? Niemand in Deutschland würde heutzutage deshalb einen Krieg führen wollen, und doch ist es erst 110 Jahre her, dass die Mehrheit der Deutschen einen solchen Krieg für richtig hielt. Heute hält die Mehrheit der Deutschen, es für richtig, um die Krim und den Donbass einen Krieg gegen Russland zu führen (bzw. einen solchen mit Waffen und Kriegspropaganda zu unterstützen). 

Die Welt retten?

Und noch etwas zum moralischen Druck, den viele von uns in Bezug auf öko-gerechtes und nachhaltiges Handeln empfinden – auch ich. Hierzu sagt Eckart von Hirschhausen: »Es ist schwer ehrenamtlich die Welt zu retten, wenn Andere sie hauptberuflich zerstören.« Volltreffer! Das politische System darf den unter der Absurdität und Zerstörungswucht eben dieses Systems leidenden ‚kleinen Bürger’ nicht zum Hauptschuldigen erklären, sondern muss die an die Kandare nehmen, die Kriege führen, in Steueroasen flüchten, von unten nach oben verteilen und sich einer Besteuerung der Finanztransaktionen und des Flugbenzins verweigern.

Mehr als nur erleuchtet?

Radio München hat einen Text von mir intoniert und …. alles verstanden, was die Erleuchtung, die Komik und den Humor anbelangt 😇

Danke jedenfalls für die Werbung für mein Buch! Wem dieser Auszug nicht genügt, muss das Buch wohl selbst lesen.