War es das Herz der Deutschen, das sich in den 30er Jahren Hitler zugewandt hatte, oder ihr Verstand, ihre Intuition, ihr Bauchgefühl? Und welcher Teil der US-amerikanischen Seele hat sich im vergangenen Jahr Trump zugewandt?
Ist das Ego der dunkle Schatten des Herzens, der unbewusste, nicht akzeptierte Teil in uns, und in Trump und den Rechtspopulisten revoltiert dieser hässliche Teil von uns nun gegen die verhasste politische Korrektheit, die sich vernünftig nennt, aber gar nicht vernünftig ist?
Die Revolte des Ego
Ich sehe in den heutigen politischen Erdbeben Bewegungen, die sich in den spirituellen Subkulturen schon angedeutet haben und die von mir als Herausgeber der Zeitschrift Connection dort in diversen Ausprägungen beschrieben wurden. Die Rehabilitation des Ego, der ungelöste Kopf/Herz/Bauch-Konflikt, die Indifferenz der Spiris gegenüber ethischen Erwägungen, mit alledem habe ich mich in Connection jahrelang beschäftigt. Nun tauchen diese Themen auch ‚in der großen Politik‘ auf, zum Beispiel im Wiederauferstehen des Nationalismus, des nationalen Ego, in Trumps Motto »America first«. Die meisten der Beobachter sind davon überrascht, als hätte man nicht ahnen können, was da kommt.
Die Rache der Fundamentalisten
Auch ‚die Rache der Fundamentalisten‘ an der nur oberflächlich vollzogenen Aufklärung gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist eigentlich nicht erstaunlich. Dieser leider nur unvollständigen Aufklärung folgte im 19. Jhd. die Restauration der alten Kräfte, was dann im 20. in die beiden Weltkriegen mündete. Heute erhebt mit Trump&Co dieselbe Hydra wieder ihr Haupt. Der Fluch der »selbstverschuldeten Unmündigkeit« des Menschen (so nannte es Immanuel Kant in seiner Definition der Aufklärung) ist noch nicht aufgehoben. Wir müssen raikaler werden, um den Knoten lösen, wir müssen bis an die Wurzel gehen, um uns selbst zu verstehen.
Heute würde ich das Problem der aktuellen politischen Unordnung (Naturzerstörung, soziale und militärische Gewalt, Armut & Ausbeutung mitten im Überfluss) mit einem Begriff aus der Computerwelt so formulieren: Wir brauchen ein neues Betriebssystem der Weltzivilisation; ein paar neue Apps, die auf das alte System geladen werden, genügen nicht. Leider werden, wenn überhaupt etwas Neues, fast überall nur neue Apps angeboten, und das sowohl im Pro-Trump- wie im Anti-Trump-Lager.
Seichtspiritualität als Vorläufer des Postfaktischen
Meine Antwort auf das Aufkommen des »Postfaktischen« ist: Wir müssen den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion verstehen. Die Welt versteht die Bedeutung des Fiktiven nicht, des Erfundenen und Gestaltbaren, wozu die gesamte Kultur gehört und die Strukturen von Politik und Wirtschaft, als Folge der menschlichen Ich- und Wir-Identitäten.
Die Aussage von Trumps Pressesprecher Sean Spicer über die Anzahl der bei der Amtseinführung von Trump in Washington Anwesenden ist für das Postfaktische typisch. Spicer: »Es war das größte Publikum, das jemals eine Amsteinführung sah. Basta! Sowohl direkt vor Ort als auch auf der ganzen Welt.« Vor Ort waren es geschätzte 250.000 gewesen. Bei Obama mindestens das Doppelte, wie verschiedene Schätzungen sagen, und auch die folgenden Luftbilder zeigen den Unterschied:
Auch das TV-Publikum war bei Trumps Amtseinführung geringer als bei Reagan, Obama, Carter und Nixon. Auf den Protest der internationalen Medien hin antwortete die Trump-Beraterin Kellyanne Conway, Spicer habe keine Falschaussage gemacht, sondern lediglich »alternative Fakten« präsentiert. Dass Trump noch viel drastischer lügt als seine Vorgänger im Amt und das Gros seiner Politiker-Kollegen, darauf will ich jetzt nicht eingehen, sondern darauf hinweisen, dass die spirituelle Szene diese nun »postfaktisch« genannte Haltung mit ihrem stereotyp wiederholten Mem »Jeder kreiert sich seine Realität selbst« gut vorbereitet hat. ‚Wir Spiris‘ haben uns nun also immerhin in dieser Hinsicht … peinlich, peinlich … als Avantgarde erwiesen: Die Seichtspiritualität hat den Rechtspopulismus mit vorbereitet und mit ihrem »Es ist, wie es ist« (Subtext: Wir müssen nur lernen es hinzunehmen) dem konsum- und wachstumsgeilen Neokapitalismus hin die Hände gespielt.
Obamas Nemesis
Am 23. Juli habe ich in meinem Blog über Trump als Obamas Nemesis geschrieben. Auch danach habe ich an verschiedenen Stellen immer wieder über Trump geschrieben, als Sympton und als Ursache, so z.B. in der Dez.-Ausgabe von KGS-Berlin über den Trump-Schock und in mindestens einem meiner Dialoge mit Martin Frischknecht von der Schweizer Zeitschrift Spuren. Andere haben das ausführlicher, besser und genauer getan, wobei ich allerdings die archetypische Dimension des Umgangs mit der männlichen Kraft vermisst habe und deshalb am 23. Juli in mein Blog schrieb: »Zu sehr hat Obama versucht ein Guter zu sein. Nun blickt er in Donald Trump der Fratze seiner Nemesis entgegen.«
Eine sehr gute, aktuelle Zusammenfassung des Trump-Schocks als Identitätskrise des Westens fand ich bei dem holländischen Autoren Luc Sala, der v.a. auf Englisch schreibt, aber auch Deutsch spricht. Ich habe ihn voriges Jahr auf der Entheo-Science.de getroffen und möchte ihn im Mai besuchen.
Zu Trumps »America first« steht auf connection.de in dem Blogeintrag von vorgestern (23 1.) ein guter Text von Torsten Brügge und Wolfgang Aurose. Dort werden Nationalismus und transnationales Weltbürgertum im Sinne von Ken Wilbers Spiral Dynamics zueinander in Bezug gesetzt.
Termine
Bald werde ich hier, wie angekündigt, mehr über das Buch von Pinchbeck schreiben, der sich sehr ausführlich mit der globalen Krise beschäftigt, sie auf 400 Seiten genial zusammenfasst und dabei sogar einen Actionplan vorlegt. Anlässlich des Erscheinens seines Buchs am 6. Februar auf Deutsch im Scorpio-Verlag besucht Pinchbeck im Februar Frankfurt (12. 2.), Hamburg (14 .2.), Berlin (15. 2.), München (17.2.) und Basel (18.2.).
Das kommende BecomeLove Festival in Berlin (7. bis 9. April) beschäftigt sich mit der Kokreativität der Liebe. Ich gebe dort einen Kurzworkshop über das Thema meines Buchs »Ohne dich wäre ich ein anderer«: Wie wir in der Liebesbeziehung nicht nur eine Wir-Identität kreieren, sondern dabei auf der Heldenreise unseres Lebens auch gegenseitig kokreativ einander unsere Ichs mitgestalten.
Auf dem Osterfestival des BeFree Instituts (13. bis 18. 4. auf Gut Frohberg bei Meißen) gebe ich einen Humorworkshop über die »Kreuzigungen und Wiederauferstehungen« in der Liebe, außerdem voraussichtlich noch einen Kommunikationsworkshop (»Schweigen kann das Problem sein, aber auch die Lösung«) und etwas zum Thema des Spiels (»Leela«) mit der Identität.
Weitere Termine von mir, von April bis Oktober 2017 folgen in den nächsten Rundbriefen.
Sei die Veränderung!
»Sei die Veränderung, die du in der Welt sehen willst« hat Gandhi gesagt und damit das Motto in die Welt gesetzt, dass wir mit der Weltrevolution besser bei uns selbst anfangen sollten. Dass es aber gar nicht so leicht ist, eine einmal eingeübte Gewohnheit zu ändern, fand der Ingenieur Destin Sandlin heraus, als er etwas an seinem Fahrrad veränderte. Die Ernährung zu ändern, das Atmen oder die Kommunikation mit den Mitmenschen, das ist schwer, aber das Radfahren? Gerd Klostermann hat mir diesen Link zugeschickt (8 min, auf Englisch mit deutschen Untertiteln), von einem, der das Radfahren neu lernte.
Mit herzlichem Gruß
Wolf
schneider@connection.de
Lieber Wolf – lang ist es her, dass ich mal geschrieben habe, da gab es connection noch als Heft, jetzt lese ich mit großer Aufmerksamkeit Deinen Rundbrief – ich sehe das auch so: Wir halten uns einen Spiegel vor Augen, und es ist unsere unerlöste, dunkle Seite, die wir so ungern betrachten. Aber nun: Von Angesicht zu Angesicht. Es gibt kein Ausweichen, kein Ent-weichen. Und wenn wir den Spiegel zerschlagen, ändert das gar nichts, eher wie bei der „Schneekönigin“, bekommt jeder einen Splitter ins Herz. Für mich als ältere Person gilt mehr denn je: Niemals wegschauen, vor allem nicht bei… Weiterlesen »
Weshalb benützt ein intelligenter, aufgeklärter, empathischer und vor allem sprachbegabter Mensch so negativ aufgeladene und mir Vorurteilen behaftete Nonsenswörter wie z.B. Rechtspopulismus?
Ich versteh’s nicht.
Lieber Wolf, wieso die Aufklärung? Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Und die Teaparty-Bewegung ist ja auch keine Reaktion auf Obamas „Gut sein“. Die gabs vor ihm schon lange. Die Frage ist aber grundsätzlich richtig: WAS wollen wir nicht sehen? Und/Oder/Aber: Kann man eine ganze Gesellschaft dazu verdonnern, dass sich ALLE Individuen bestimmten Prozessen unterwerfen um bestimmtes inneres Erleben zu erzeugen? Wohl kaum. Wer soll also wo hinsehen? Oder gibt es eine ganz simple Erklärung: Nach 8 Jahren eines schwarzen Präsidenten wollten die stockkonservativen weißen Pseudochristen nicht auch noch von einer Frau rumkommantiert werden. Der letzte Aufschrei des weißen Herrenmenschen… Weiterlesen »
An Irmgard: Das ist die rhetorische Frage einer offenbar sprachbegabten Frau, stimmt’s? Meine Antwort ist: 1. Alles Wörter, die Menschen verwenden, sind ausnahmslos mit Erwartungen, also auch Vorurteilen behaftet, da gibt es kein Entkommen. Das gilt auch für das Wort „Vorurteil“, wie gesagt: für alle Wörter. 2. Das Wort „Rechtspopulismus“ ist eine große Schachtel, in die vieles rein passt, das stimmt. Da müssen wir aufpassen, nicht alle über einen Kamm zu scheren. Das gilt aber auch für (politisch) „links“ und „rechts“, Trump-Fan usw. weiter. Als Sprechende können wir dem nicht entkommen.
Hallo Raphael, hier ein paar weitere Gedanken dazu. Den Maharishi-Effet halte ich für eine schöne, gut gemeinte Illusion. Bis auf die Kernidee, dass unser Denken und Fühlen unser Handeln bestimmt, und wenn es viele sind, die dasselbe denken (oder meditieren), dann ist die Wirkung natürlich größer. Und deine Idee, dass ‚die Energie‘ der 30er Jahre nicht wirklich ausagiert werden konnte, sondern durch den 2. Wk eingekehrt wurde, finde ich interessant. Allerdings auch gruselig. Vielleicht sollten wir es allgemeiner formulieren: dass viele Energien in uns eingekerkert sind, und vieles davon gehört eher ‚auf die Couch‘, in Therapiegruppen und Einzeltherapien, ehe es… Weiterlesen »
Danke, Ilse. Der neue US-Präsident erscheint wie ein Dämon aus unserem Unterbewussten, der auf einmal die Spitze einer mächtigen Organisation erklommen hat – so mächtig wie eine Nation eben sein kann. Wir sollten die Macht irgendeiner Nation aber nicht überbewerten, auch nicht die der USA. Das Weltfinanzsystem mit seinen ‚global players‘ ist noch viel mächtiger. Wer sich ihm nicht unterwirft, wird von diesem System hinausgeworfen, verliert, verendet. Das wäre Hillary genauso ergangen. Trump ist ein Teil dieses Systems, nicht weniger als Hillary. Denjenigen, die ihn für einen Herausforderer dieses Systems halten, steht ein böses Erwachen bevor. Sollte ich mich mit dieser… Weiterlesen »
Der „Schatten“ ist nach C.G.Jung der Teil in uns, den wir nicht sehen wollen, weil wir ihn ablehnen (warum auch immer). In der „Schattenarbeit“ geht es darum, ihn anzuschauen und zu integrieren – Dämonen entstehen durch Abspaltung und Verdrängung. Das vermeintlich „Böse“ verkörpert immer auch eine Vitalität, auf die wir nicht verzichten können. In der Figur „Trump“ wird uns Eitelkeit, Selbstherrlichkeit und Unwahrhaftigkeit vorgeführt und ein Umgang mit Schwächeren, der sie unbedingt vom „Futtertrog“ fernhalten will, damit Amerika weiterhin und noch mehr im Überfluss schwelgen kann. Neulich ist mir – inspiriert durch Nityas Blog – ein Gedicht von Eugen Roth… Weiterlesen »
Lieber Wolf, danke für die Antwort. Ich spinne auch mal weiter. @ Therapien: Ja, klar. Ich fürchte, dass sehr viele Menschen sich ihren inneren Dämonen stellen sollen und Therapien machen sollen. Trump ist sicher nicht die Lösung für die Frustrierten. @Maharishi-Effekt: Ich kenne das nur aus dem Web, kann also nichts Definitives dazu sagen. ABER: Tatsache ist, dass man energetisch heilen kann. Ich denke, du stimmst mir zu. Welche „Technik“ dabei genutzt wird, ist zweitrangig. Es geht eher um die Idee, dass „energetisches Heilen“ als solches möglich ist. Listen wir doch ein paar Gedanken auf: – Energetisches Heilen ist möglich. –… Weiterlesen »
Lieber Wolf ja es geht um Veränderung, einen radikalen Umbruch, keine Frage. Im Außen wird der Schatten derzeit an Trumpf fest gemacht, und da sind alle Mittel recht. Selbst der sonst eher besonnene Oskar Lafontaine bezeichnet Trump als Dumpfbacke und Irrlicht – und Du? Du stellst hier zwei Fotos zu seiner Amtseinführung ein, die angeblich Fakt sein sollen. Fakt ist, und dies war Teil der üblichen diesbezüglich falschen Berichterstattung bei ARD/ZDF, dass dies ein Bild vom Vormittag ist, als der Platz noch nicht gefüllt war. Also nicht das Bild zum Zeitpunkt der Vereidigung (ich habe mir das live bei einem anderen… Weiterlesen »
@ Rolf: Diese Diskussion um die Zahl der Besucher ist schon witzig. Mag sein, dass die Presse teilweise tendenziell berichtet und Dinge – je nach eigenem Standpunkt – so oder so wiedergibt. Aber trotzdem glaube ich nicht, dass sich jetzt die gesamte Weltpresse komplett gegen Trump verschworen hat und zu 100% nur noch alles erfindet. Ich glaube vielmehr, dass die Quelle von „alternativen Fakten“ derzeit eindeutig im Weissen Haus zu suchen ist. Aber egal, mein Hauptthema ist etwas Anderes, ich nehme da eher den Faden von Marianne und Wolf wieder auf. Ja, mit dem Thema „Schattenarbeit“ kommen wir der Sache… Weiterlesen »
Hallo Raphael,
danke für die guten Ideen, die historischen und heilerischen Bezüge und Vergleiche – für mich gut nachvollziehbar. Sprache vergröbert, klar. Trotzdem gut, danke.
Grüße
Wolf
Hallo Sugata, freu mich immer wieder über deine ‚Schreib-Aktivitäten‘ – und manchmal denke ich daran, wie wir 1986 in München in deinem Wohnzimmer die Connection ‚gemacht haben‘. Morgens ‚Vertrieb‘, mittgs mit Massage Geld verdienen, und abends am Computer schreiben ‚dürfen‘ – what a relief nach dem Artikelschreiben auf der Schreibmaschine! Da bin ich eine richtige Zeitzeugin! Noch heute bin ich dankbar für diese Zeit und das ‚Schreiben meines Artikels ‚einmal Bardo und zurück‘ auf der damals ’sehr großen Computer-Kiste‘, 1986. Sie war ein ‚Ungetüm‘ verglichen mit dem Laptop heute. Ab und zu stürzte sie aus unklaren Gründen ab und blieb… Weiterlesen »
Hier noch ein Zusatz zu meinem Kommentar heute
IT’S ALL A DANCE IN THE O N E !
https://www.youtube.com/watch?v=lm4cYSSSgYo&list=PLlewoFqI6rBzod-Zyo79njBHYarDwA2oM&index=41 Satyaa & Pari ‚ONE TO ONE WITH LIFE‘
Shanti Viviane
Wann endlich, Wolf, erkennst Du Deinen eigenen Schatten und dessen Widerspiegelung. So grossartig Du einerseits daherkommst, so naiv andererseits. Du redest, als hättest Du die Initiation weg von der Mutter noch nicht durchlebt und die bundesrepublikanische Konditionierung der Schuld noch nicht alchimiert. Wer sich in solch hohen Höhen bewegt, sollte dies aber getan haben. Es wirkt als hättest Du noch immer nicht durchschaut, was Gut und Böse wirklich sind. Als hättest Du Parzifal’s Reise nicht beendet bzw. den Gang durch die Unterwelt. Stelle dem König eines Tages, wenn Du bereit bist, die Frage „waz wirret Dir?“ Tu dies ohne jedes… Weiterlesen »