Bild: aus dem Video von Reinhard Mey & Freunde „Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht“
Sind es die Alten, die jetzt den Kern der Friedensbewegung ausmachen? Weil die Jungen sich so sehr an den Frieden gewöhnt haben, den ein vereintes Europa so lange ermöglichte, dass sie nun nicht mehr auf die Straße gehen, sondern ‚den Politikern‘ die Entscheidungen überlassen?
In diesen bellizistischen Zeiten muss ich immer wieder an den August 1914 denken, in dem Europa in die erste der großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts hineinstolperte, aus der sich dann die zweite große Katastrophe dieses Jahrhunderts ergab. Beide wirken bis heute nach und auch noch in die Enkel- und Urenkelgeneration hinein.
Stolz, Tränen, Wut
Mein Vater war Soldat im zweiten Weltkrieg, dann Biologe in der Grundlagenforschung, spezialisiert auf die Physiologie des Riechens und als solcher schließlich Leiter eines der Max-Planck-Institute in Seewiesen. Er war sein Leben lang politisch interessiert, zögerlich friedensaktivistisch und lehnte zu Zeiten des Vietnamkriegs einmal einen gut bezahlten Auftrag des Pentagons ab, zu erforschen, wie die US-Streitkräfte im Dschungel von Vietnam die Verstecke der Vietcong würden riechen können. Auf dieses NEIN von ihm bin ich sehr stolz. Umso mehr heute, da ich selbst einen Sohn habe und dieses Lied von Reinhard Mey mich zu Tränen rührt und zugleich meine Wut entfacht auf alle Kriegstreiber dieser Welt.
Mein Vater starb im Juni 2008. Einer seiner engsten Kollegen in Seewiesen war Karl-Ernst Kaissling. Er ist heute über 90 Jahre alt und engagiert sich gegen das Insektensterben (beide waren Entomologen) und nun auch gegen den Krieg in Osteuropa, in den mit den anderen NATO-Ländern auch Deutschland immer tiefer hineingezogen wird. Den Leopardpanzern werden Spezialisten der Bundeswehr folgen, die den Ukrainern zeigen, wie sie zu bedienen sind. Ähnlich wie in Afghanistan, wo „unsere Demokratie am Hindukusch verteidigt“ werden sollte, wird auch hier Deutschland immer tiefer in einen ausweglosen Krieg hineingezogen.
Habt ihr Afghanistan vergessen?
Vielleicht brauchen wir gerade jetzt das Langzeitgedächtnis der Alten. Karl-Ernst Kaissling schreibt an Bundeskanzler Scholz, kontaktet Margot Käßmann, die ebenso wie Drewermann standhaft pazifistisch bleibt und heute leider nicht mehr die Ratsvorsitzende der EKD ist, und er versuchte, Freunde von ihm von ihrer Befürwortung von Waffenlieferungen an die Ukraine abzubringen und für die Chance von Friedensverhandlungen zu gewinnen. Engagement von Mensch zu Mensch. Wir ‚kleinen Leute‘ können ja nicht ‚die große Politik‘ bestimmen, aber wir können einzelne Menschen überzeugen, und wenn deren sozialer Wirkungsraum groß ist, dann wirkt dort auch unsere Botschaft.
Hier sind die Themen, Thesen und Forderungen von Karl-Ernst Kaissling, Biologe und Grundlagenforscher, wissenschaftliches Mitglied der MPG, ab jetzt alles in seinen Worten.
Verhandlungen
• sind nötig, mit dem Ziel des sofortigen Waffenstillstands und
• mit der Bereitschaft zu radikalen Zugeständnissen von allen Seiten. Z. B. seitens der Ukraine die Abgabe von Territorien (vorgeschlagen von H. Kissinger in Davos 2022), mit dem Ziel einer friedlichen „Sezession“. Z. B. seitens der NATO-Länder die Absage der geplanten NATO-Erweiterung um Finnland und Schweden. Z. B. seitens Russlands die Bereitschaft, die Selbstbestimmung der Ukraine zu achten,
• mit dem Ziel der Neutralität der Ukraine, wie anfangs von der Ukraine angeboten
• gefördert durch eine Einigung zwischen katholischen, evangelischen und orthodoxen Christen.
Waffenlieferungen an die Ukraine
• verhindern Verhandlungen.
• bringen bisher und in ungeahntem Ausmaß auch künftig Tod, Leid und Zerstörung nicht nur für die Ukraine und Russland, sondern ebenso für viele andere Länder. Dafür tragen alle, die Waffen liefern, eine Mitverantwortung.
• Waffeneinsätze und seine Folgen beschleunigen die Erderwärmung.
• Unvorstellbare Finanzmittel gehen verloren, wenn man die Gesamtkosten für den Waffeneinsatz und seine Folgen auf beiden Seiten betrachtet. Diese Mittel fehlen, um die globalen ökologischen Probleme zu bewältigen und die weitere Erderwärmung zu vermeiden.
• Eine völlige Zerstörung der Ukraine ist ohne internationale Verhandlungen nicht abzuwenden.
• Ängste vor den von Putin geäußerten Plänen und seinen vielerseits vermuteten Plänen (z. B. Überfall Polens) dürfen nicht als Begründung dienen, die Bemühung um Verhandlungen zu unterlassen. Auch die häufige Behauptung, dass beide Seiten Verhandlungen ablehnen, darf einen erneuten Startversuch der Diplomatie nicht verhindern.
In diesem Sinne bitte ich um Unterstützung des „Manifest für den Frieden“ von S. Wagenknecht und A. Schwarzer: https://www.change.org/p/manifestfuerfrieden-aufstandfuerfrieden
Kundgebung dazu am SA 25. Februar 2023 in Berlin:
https://www.aliceschwarzer.de/artikel/kundgebung-aufstand-fuer-frieden-340051
„Wir fordern den Bundeskanzler auf, die Eskalation der Waffenlieferungen zu stoppen. Jetzt! Er sollte sich auf deutscher wie europäischer Ebene an die Spitze einer starken Allianz für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen setzen. Jetzt! Denn jeder verlorene Tag kostet bis zu 1.000 weitere Menschenleben – und bringt uns einem 3. Weltkrieg näher.“