Viele kennen Keith Jarrett über das improvisierte Solo-Konzert, das er im Januar 1975 in Köln gab, das Köln Konzert. Es gehört zu den meist gehörten Musikstücken überhaupt. Damit, wie bei so vielen seiner Musikstücke, beanspruchte Jarrett ohne jede musikalische Vorüberlegung und ohne Plan aus dem Nichts heraus Musik zu erschaffen. 

2014 sprach er über seine Art zu musizieren, über Musik, Schöpfung und Hingabe und warum sich Musik nicht mit Worten beschreiben lässt: What is Music und How to say it. In den ersten 11 min dieses 25 min Films spricht er und kommt mir dabei vor wie ein Zen-Meister oder Taoist, sprechend, fast stotternd über das Unsagbare. Die nächsten 14 min zeigen den jungen Keith Jarrett musizierend, mit seinem American Quartett, das von 1973 bis 1976 existierte, also in der Zeit des Köln Konzerts. Das Sprechen wie das Musizieren, beides improvisiert Jarrett und lässt dabei nicht locker mit seiner Botschaft: Sei echt, sei du selbst, imitiere niemand!

Nach dem Zen-Freak Jarrett hier nun das Konzert eines ‚ordentlicheren‘ Musikers, den ich ebenso bewundere wie Keith Jarrett: Wynton Marsalis. Aufgenommen 2009 im südfranzösischen Marciac: Wynton Marsalis mit seiner Band auf dem Jazzfestival von Marciac (52 min). Hinreißend rhythmisch, melodisch, mit den (typisch Marsalis) so extrem expressiven Bläsern, ein Festival der Sinne. Die Techniken, mit denen uns der Kapitalismus beschert, sind ja durchaus nicht alle zu begrüßen. In diesem Falle jedoch möchte ich denen danken, die das aufgenommen haben und ebenso den Entwicklern der Wiedergabegeräte, die mir ermöglichen, es heute in solcher Qualität zu hören (und sogar zu sehen), ohne irgendwo hinfahren zu müssen. Dazu kann ich per HiFi-Kopfhörern in meinem Zimmer tanzen, ohne Nachbarn oder Mitbewohner zu stören. Und das Beglückendste daran: wie diese Band zusammenspielt! Es gibt da zwar einen Bandleader, Wynston Marsalis; der kann spielen und offenbar auch führen. Sodass in der Band auch die ihr begleitetes Solo spielen dürfen, die nicht so gut führen können, wechselnd zwischen begleiten und begleitet Werden. Das gilt auch für Bass und Percussion, die früher mal nur Begleitfunktion hatten. Wenn das Führen und Folgen, das Kooperieren und einander Unterstützen, den Ton angeben und den Tönen und Rhythmen anderer Folgen in unserer Menschengesellschaft auch sonst so gut gelänge wie in dieser Jazz-Combo – in Politik, Wirtschaft, Kultur, Bildung und im Privaten – wir würden im Paradis leben!