Seit 10. Januar bin ich am Überwintern auf La Palma. Da fragen mich die Leute, wie es mir geht. Das fragt man halt so, und ich antworte: Gut, sogar sehr gut. Das ist nicht gelogen. Mir geht es sogar so gut, dass ich mich ein bisschen dafür schäme.
Warum denn das? Weil es den meisten Menschen nicht so gut geht. Zum Teil jammern sie »auf hohem Niveau«. Das muss nicht sein, meine ich, man sollte das Jammern aber auch nicht verbieten. Zum Teil geht es ihnen wirklich schlecht, und dabei ist es erstmal egal, ob das an äußeren Gründen liegt, wirtschaftlichen oder politischen, oder an inneren, weil sie mit sich selbst nicht gut umgehen und die vorhandenen Chancen nicht zu nutzen imstande sind.
Ich fühle das Leiden anderer mit. Vor allem das von Menschen, aber auch das von Tieren und einer zunehmend vermüllten und aus dem Gleichgewicht geratenden Umwelt, die von uns Menschen zerstört wird, so als wüssten wir nicht, dass das unsere Lebensgrundlage ist.
Besser, sich abzuschotten?
Warum schotte ich mich nicht dagegen ab? Weil ich mich dann auch von dem Glück abschotten würde, das mir aus den Gesichtern der Menschen und der Schönheit der Natur entgegenstrahlt. Das ewig bewegte Meer, die Möven, das Lachen von Kindern, so viele glückliche Menschen begegnen mir, ja, auch das gibt es, neben all dem Leid. Manchmal ist es auch nur das Vorüberziehen einer Wolke, was mich glücklich macht. Oder einfach, dass sich da sitzen darf und alledem zuschauen. Ich verdiene gerade genug zum Leben, bin einigermaßen gesund und kann eine Arbeit machen, die ich mir auch als Freizeitbeschäftigung aussuchen würde.
Und auch das, nicht zu vergessen: »Welch Glück, geliebt zu werden, und lieben, Götter, welch ein Glück!« schrieb Goethe in seinem Gedicht »Willkommen und Abschied«. Ja, auch Abschied gibt es, und auch damit, dass es das gibt, kann man glücklich sein. Man muss sich nicht abschotten, auch wenn man verletzt wurde und immer wieder verletzt werden wird.
Warum dann diese Scham? »Scham ist die Angst vor dem Getrenntsein«, schrieb mir einen Freundin dieser Tage und zitierte dabei aus einem TED-Talk von Brenn Brown. Wenn ich mich meines Glücks schäme, dann, weil ich befürchte, dass der Neid anderer mich aus ihrem Kollektiv ausschließt: Dem geht’s wohl zu gut! Oder: Ja, der hat gut lachen – aber was ist mit mir? Mir fällt dabei ein, wie oft ich Glücksgefühle versteckt habe, um durch sie nicht sozial ausgeschlossen zu werden. Dabei will ich was ganz anderes: Ich will damit andere anstecken, auch so zu fühlen. Mit ihnen und mit allem will ich in Verbindung sein – connected. Nicht „so offen, dass es reinregnet“, aber doch offen und verbunden. Im Mitgefühl mit anderen verbunden, so wie die Tonglen-Meditation das übt – das ist ein Kapitel in dem Buch von Dorothea Mihm über buddhistische Sterbebegleitung, das ich gerade als Redakteur bearbeite (es erscheint im Herbst bei Ansata). Ich freue mich, das bearbeiten zu dürfen. Ich lerne, übe, arbeite und empfinde dabei Glück, obwohl (oder weil?) ich weiß, dass ich irgendwann sterben werde.
Mein Wohnmobil habe ich für den Winter in der Nähe von Pasewalk untergebracht, in Vorpommern. Pasewalk? Da war doch mal was. Irgendwas mit Hitler, den heutigen „Gold Standard of evil“, wie ein us-amerikanischer Intellektueller mal sagte. Mehr dazu in meinem nächsten Rundbrief.
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Es gibt auch gute Trends in der Welt. Dazu gehört, wenigstens in einigen Ländern und Regionen, dass der öffentliche Nahverkehr endlich gratis angeboten wird (wie ja schon längst das Befahren der Autostraßen). Luxemburg geht in der Sache voran.
Und auch das ist etwas Gutes und kaum zu glauben, in diesen Zeiten abgebrühter Klima- und Umweltsünder, in denen kaum eine Schreckensnachricht in uns mehr ein Gefühl des Entsetzens erweckt: Angestiftet von der schwedischen Schülerin Greta Thunberg demonstrieren nun in Schweden, Deutschland, der Schweiz, Österreich und Belgien Schüler zu Tausenden freitags für eine bessere Klimapolitik, indem sie an dem Tag nicht zur Schule gehen, sondern mit Demoplakaten und Sprechchören auf die Straße, obwohl ihnen dafür Verweise drohen. Wenn »wir Alten« nichts tun, was den Kollaps des uns tragenden Biotops noch verhindert, wie gut, dass die Kinder, DIE ES NOCH FÜHLEN KÖNNEN, nun aufstehen und sich diese Apathie nicht mehr gefallen lassen.
Hier ist Greta Thunbergs Rede auf der Klimakonferenz in Kattovice im vergangenen Dezember, auf der die 15-jährige schwedische Schülerin die World Leaders anspricht, von denen sie sich keine positiven Impulse mehr erwartet: »You have run out of excuses, and we have run out of time.«
Auch in der Landwirtschaft tut sich was. Viel zu langsam, ich weiß. Aber man sollte auch das Bisschen loben, was sich in die richtige Richtung bewegt: Die syntropische Landwirtschaft des Schweizers Ernst Götsch (sie ähnelt der Permakultur) wollen er und andere nun weltweit promoten. Er hat sie in Brasilien erfunden und ausprobiert, dort funktioniert sie besonders gut.
Den Tanz ums goldene Kalb der »Arbeitsplätze« halte ich für einen fatalen Anachronismus. Ähnlich dem Kult des »Wachstum über alles« werden damit sogar Waffenhandel und Naturzerstörung gerechtfertigt, obwohl unser Biotop Erde doch genug Reichtum bietet, um allen Menschen auch ohne solche Gefängnisse der Kreativität ein würdiges Auskommen zu ermöglichen. Franz Alt, der Macher der Sonnenseite.com, ist mit seinen 80 Jahren noch gerne aktiv. Hier gibt er eine Vorschau auf die Arbeit der Zukunft und zitiert dabei wieder Mal Konfuzius: »Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten.« (Danke, so fühle ich mich – und schäme mich fast wieder für mein Glück.)
Und noch etwas, das optimistisch stimmen kann: Der Leipziger Internet-TV-Sender »Welt im Wandel«. bringt viel Mainstream-Esoterik, aber auch gute Interviews. Hier ist eines mit der Sexforscherin Ilan Stephani über Sexualität, Spiritualität und die Bedeutung des Orgasmus. Für eine bessere Welt dürfen wir uns nicht vom Polit-Theater blenden lassen, sondern müssen in die Psyche eintauchen und in die Empfindlichkeit und Verletzlichkeit unseres Körpers. Die Fähigkeit unsere ureigene, natürliche Lust nicht zu unterdrücken, sie nicht zu verdrängen und zu vermeiden, ist dabei wesentlich. Diese Lust dürfen und sollten wir uns selbst und anderen gönnen.
Jetzt noch etwas Schönes: Gaga heißt der von Ohad Naharin in Tel Aviv erfundene Tanz, der mich gerade begeistert. Er verfeinert das Körperbewusstsein, ist gut für alle, macht Spaß und Lust, und wenn die Profi-Tänzer der Batshev Dance Company diesen Tanz zeigen, ist das zugleich witzig und ein erotischer Genuss fürs Auge.
Unglaublich, aber wahr: Es gibt immer noch Menschen, die vom Loslassen sprechen, dabei aber doch mit einer Angewohnheit, die ihnen nicht guttut, nicht aufhören können. Da hilft ihnen diese Methode von Dr. Shwitzer.
Das Narrative
Was erzählt man sich und wir einander von …. allem! Unser ganzes Weltbild bauen wir auf Erzählungen auf. Insbesondere tun wir das mit dem, wofür wir uns selbst und andere halten, wer wir zu sein glauben. Das prägt unser gesamtes Leben, bis hinein in unser Liebesleben. Und das nicht nur indem, ob und wie wir uns Beziehungen vorstellen können (oder wollen), sondern bin hin zu unserer Fähigkeit, uns einander im Sex hinzugeben.
Angestiftet von der Kulturwissenschaftlerin Dr. Stefanie Rinke von der Humboldt-Universität Berlin habe ich deshalb zusammen mit ihr einen Orgasmus-Workshop entwickelt, in dem das Narrative die zentrale Rolle spielt. Was erzählen wir uns selbst über unsere Liebes- und Orgasmusfähigkeit, und wie wirkt sich das auf unser reales Liebesleben aus? Die Idee dazu ist von ihr, das Konzept von uns beiden, und da dies der erste Workshop dieser Art ist (wir wollen weitere anbieten) ist es ein Prototyp, für den wir uns Teilnehmer wünschen, die idealerweise schon einige Workshoperfahrung haben und bereit sind, uns danach Feedback zu geben. Der Workshop findet am WE 4./5. Mai statt in Berlin, Prenzlauer Berg. Die Details dazu findet ihr hier im Rundbrief weiter unten, unter »Veranstaltungen«.
Humor reinigt
Einer Teilnehmerin von einem meiner Humorworkshops empfahl ich kürzlich das Buch »Reite das Einhorn«, von JP Sears, das ich vorigen Winter aus dem Amerikanischen übersetzt habe. Nun liest sie jeden Tag vor dem Einschlafen ein bisschen darin und schrieb mir: »Nach der Lektüre ist man komplett frei zu tun, was auch immer einem beliebt«. Das hatte sie schon immer gemacht, aber JP entmystifizierte für sie nun wirklich ALLES. Das Buch empfand sie als kongenial übersetzt und vermutete, dass das »sicher kein leichter Ritt« gewesen sei.
Es war in der Hinsicht nicht leicht, weil man einen witzigen Text nicht so ohne weiteres von einer Sprache in eine andere übersetzen kann. Vieles, was im Original so schön vieldeutig glitzert, glänzt nach einer Übersetzung nicht mehr. Zum anderen ist JPs Humor wirklich radikal. Er zieht schonungslos alles durch den Kakao, was ihm unter die Finger kommt. Wenn du noch irgendeinen Glauben an irgendeinen spirituellen Lehrsatz hast, fliehst du besser auf die Bäume, bevor ER kommt und auch deine Praxis aufs Korn nimmt. Wenn man sich dem jedoch aussetzt, ist man gereinigt. Als ich das Kapitel über Yoga fertig übersetzt hatte (vorgigen Winter auf La Palma war das), war ich erschöpft und gerädert. Nicht nur vom Sprachlichen, sondern auch davon, dass JP nichts auslässt. Wer auch nur einen Funken Eitelkeit hat, durch das Praktizieren von Yoga gesünder, schöner, jünger oder sonst irgendwie besser zu werden oder geworden zu sein, wird diese Illusion nach der Lektüre in Krümeln vor sich auf dem Boden liegen sehen – und danach wieder Lust auf Yoga haben. So ging es mir. Ich dachte danach, gut gelaunt und aller Illusionen beraubt, ich könnte eigentlich mal wieder Yoga machen.
Veranstaltungen mit mir
Als erstes gebe ich hier auf La Palma am kommenden Mittwoch, 30.1. auf Rohlands Finca im Nordwesten der Insel einen Tagesworkshop »Spirituelles Theater«, der am Abend mit einen Satsang von Shri Shitananda endet.
Warum »spirituelles Theater«? Weil wir auch auf den spirtuellen Wegen Wiederkehrendes uns aneignen. Rhythmen und Gewohnheiten, die dann meist zu einem neuen Gefängnis werden. Indem wir das spielen, befreien wir uns von diesen Formen. Wir erklären einander z.B., wie weit wir schon sind auf dem Weg und wie sehr die anderen noch zurückgeblieben sind. Und wenn wir schließlich einander sagen, dass wir »schon angekommen« sind, strahlen alle und der ganze Raum beginnt zu leuchten. Alles pseudo? Oder eher eine Vorübung für das Echte? Jedenfalls wird dabei erkennbar, dass auch echte Spiritualität inszeniert ist, Authentizität nur gut eingeübt sein muss, um zu wirken und dass das alles kein Schaden ist, denn das Leben ist ein Spiel und »der Mensch ist erst dann ganz Mensch, wenn er spielt« (Friedrich Schiller).
• Am 26. bis 28. April 2019 gibt es einen Humorworkshop mit mir im Sinnesart-Zentrum in Dresden.
• Am 18./19. Mai in Stuttgart, im Lichtnetz, Landhausstraße 44. Info & Anm über Buddho Klaus Schilling, info@lichtnetz.de.
• Am 25./26. Mai in der Nature Community in Schönsee, Oberpfalz, anderthalb Stunden östlich von Nürnberg.
• Am 11. Mai (nur einen Tag lang) gibt es einen Humorkworkshop im Kellerhof bei Hameln, und am 28./29. Sept nochmal, dann eine ganzes WE lang, am selben Ort. Info & Anm. über Pea Krämer, info@peakraemer.de
• 26./27. Oktober in Würzburg, im Yogahaus, Virchowstr. 12. Anm. über Claudia Wenzel, osflow-cwl@gmx.net).
• Am WE 30.Nov./1. Dez.in Heidelberg. Info & Anm über Ulrike Müller, ulmuta@gmx.de. Dort gab es vorigen November schon mal einen solchen, mit 16 begeisterten Teilnehmern; die meisten von ihnen wollen weitermachen – in einem weiteren Workshop oder im Alltag, egal, es geht ums Praktizieren.
Typischerweise kostet ein solches WE 160 €, ein Tag 85 €. Frühbucher und Paare bekommen die Teilnahme für 135 €/Person. Geplant sind auch Humorworkshops in Berlin, Würzburg und München, da sind die Termine noch unsicher. Für Berlin und München suchen wir noch Organisatoren.
• Am Wochenende 4./5. Mai gibt es den Prototyp eines Orgasmus-Workshop von Stefanie Rinke und mir. Er wird in Berlin stattfinden, der unangefochtenen Welthauptstadt der sexuellen Liberalisierung. Im Life Artists Creater’s Hub, Milastr. 4, 10437 Berlin, dort im DG-Raum unterhalb einer Lichtpyramide. Anmeldung über mich, schneider@connection.de oder Stefanie, rinkestef@gmail.com. Bevorzugt werden seminarerfahrene Menschen. Er kostet, weil’s erstmal nur ein Prototyp ist, eine selbst gewählte Spende; wir empfehlen 80 € und verpflichten zur Abgabe von Feedback.
Den Text Deines Einleitungsteiles habe ich mit viel Zustimmung gelesen und mich gefreut, dass Du dies Gefühl, sich des eigenen Glücks zu schämen, ausgesprochen hast. Das kenn ich! Denn mir geht’s auch ausgesprochen gut!
Und ich gönne Dir sogar Dein auf La Palma-Sitzen 😉 ……
Eine gute Zeit dort wünscht Dir
Gerhard
Lieber Wolf, jetzt habe ich also erstmal noch eine Nacht drüber geschlafen und die angetriggerten Energien köcheln lassen (ganz meinem Nachnamen entsprechend), bevor ich nun tiefenentspannt 🙂 meinen Senf zu Deinem wunderbar vorbereiteten Menü „175.!“ gebe. Du schämst Dich also fast ein wenig. Den fand ich gut. Fast ein Schenkelklopfer. Wofür? Fürs gute Leben? Wohl kaum? Das ist doch dann nur Wortjonglage? Hab ich mich kurz aufgeregt. Mein Hirn hat gerattert und die Fäden Deiner vielen Infofetzen verknüpft, zudem mein Weltbild und andere Infofetzen, von wo ganz anders, mit verwoben. Und dann, wie gesagt, eine Nacht darüber gebrütet. Bei mir… Weiterlesen »
Hallo lieber Wolf, mein Kommentar zu: Mir gehts gut. (vom 29.01.) Ich habe mir aus Deinem Rundbrief „Das Narrative“ durchgelesen und möchte nur dazu bemerken, dass die Neurologin und Sexualtherapeutin Dr. Heike Melzer ein Buch „Die neue sexuelle Revolution“ geschrieben hat. Diese Revolution ist noch weitreichender als 1968 und für manche Menschen sogar gefährlich. Auch Humor reinigt und ist für Yoga Praktizierende eine gute Bemerkung. Von JP zum Yoga. Leider habe ich nun 10 Jahre keine Yogaübungen mehr gemacht Es fällt mir schwer neu damit zu beginnen. Ich bin nur froh, dass mir Meditation und Yoga Nidra helfen. Seit 2007… Weiterlesen »
Hallo Markus, es hat nun leider ein Weilchen gedauert, bis ich zum Beantworten deines Kommentars Zeit gefunden habe. Jetzt aber … Du schreibst da: »Scham ist die gesunde Reaktion auf „schuldhaftes“ (verletztendes) Verhalten gegenüber einem anderen fühlenden Wesen. So meine leidvolle und erleuchtende Erfahrung.« Und nicht, wie ich es geschrieben hatte, Scham sei (letztlich) die Angst dem Getrenntsein, vor Ausgrenzung durch die bewertende Community, der man angehört. Dann führst du an, dass du es scheiße fändest, dass ich aus meinen Winterrefugium aus die Greta Thunberg zitiere, die was gegen den Klimakollaps unternimmt, anstatt dass ich selbst etwas dafür täte, was… Weiterlesen »