Immer öfter höre ich den Begriff »Lügenpresse«, und ich fühle mich nicht wohl dabei. Ich, der ich seit Jahren über Manipulation, Sprachgläubigkeit und die Massenhypnosen des Mainstreams schreibe, fühle mich mit diesem Begriff nicht wohl.

Doch zunächst das Positive: Mehr Menschen als je glauben nicht mehr so ohne weiteres, was sie im TV sehen oder in den Zeitungen lesen. Das ist gut so. »Hier steht es doch schwarz auf weiß« – die Dummheit eines solchen Glaubens, der noch aus der Zeit der Verehrung von Schrift als einer neuen Kulturtechnik herrührt, ist vorbei.

Die neue Dummheit ist aber, dass nicht unterschieden wird zwischen dem, was an Geschriebenem oder medial Verkündeten einigermaßen vertrauenswürdig und was das nicht ist. Der Begriff »Lügenpresse« unterscheidet nicht einmal zwischen Lüge und ehrlicher Verirrung: Wer lügt, sagt bewusst etwas Unwahres. Die meisten derer, die Klischees und Vorurteilen der Massen aufsitzen, sind aber nur Verirrte oder Verführte, nicht bewusst Lügende.

Aufklärung

Sogar viele von denen, die allmählich merken, dass Sprache nicht auf »die Wahrheit« verweisen kann (im Sinne des ersten Satzes des Taodejing: Das wahre Tao ist nicht das, worüber man sprechen kann), schimpfen auf »die Lügenpresse«. Sie verkennen, dass Sprache durchaus auch aufklären kann und in den so gescholtenen Medien auch Journalisten sitzen, die dieser Aufgabe ziemlich gut gerecht werden. Wer da von »Lügenpresse« spricht, ist in der Regel noch wesentlich verblendeter als die von den sogenannten »seriösen Medien« Hypnotisierten. 

Und jetzt führe ich!

Erstens: Sprache verführt immer. Ob Führung oder Verführung, das ist eine Frage der Bewertung, eine ethische Frage und nicht eine der Wahrhaftigkeit.

Zweitens: Prüfe die Quelle! Wer da »Manipulation« schreit, ist meist selbst ein Verführer.

Drittens: Die meisten der als Böse Gescholtenen sind nur ignorant. »Lüge« ist das bewusste Aussprechen einer Unwahrheit mit einem ethisch verwerflichen Ziel (in diesem Sinne sind z.B. Witze oder Späße keine Lügen, obwohl sie Unwahrheiten bewusst aussprechen). 

Viertens: In der Annahme, die eigene Aussage sei ein verlässlicher Lügendetektor, steckt immer ein gewisses Maß an Größenwahn.