Warum beschäftigen sich spirituelle Sucher vor allem mit dem Ich und der Ich-Transzendenz, der Überwindung des Ego? Warum räumen sie nicht gleich mit allem auf, was die Personalpronomen bedeuten, mit ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie? Das ist doch derselbe Haufen, dieselbe Ebene. 

Auch Ken Wilber mit seinem Vier-Quadranten-Modell hat damit noch nicht aufgeräumt. Zum einen gibt es in seinem Model kein Du, kein persönliches Gegenüber, was ich bei Martin Buber so geschätzt habe. Zum andern unterscheidet er darin im Äußeren (bei den rechten beiden Quadranten) nicht zwischen einerseits dem Unbelebten Es und andererseits dem belebten Er/Sie und dem Plural-Sie, so wie die Personalpronomen der meisten Sprachen es tun. 

Ich und Du

Wenn die Kern-Idee von Transzendenz die Überwindung der Ich-Illusion ist, dann muss das zugleich auch eine Überwindung der Täuschung durch die anderen Personalpronomen sein. Wenn das Ich eine Illusion ist, kann das Du nicht die Wahrheit sein, denn es ist das Ich dessen, der mir gerade gegenübersteht. (Die Unterscheidung zwischen Selbstbild und Fremdbild, beim Ich ebenso wie beim Du, hebt das Unlogische der ontologischen Du-Präferenz nicht auf.)

Im Weltlichen Gefangen

Einerseits will, soll, muss die Ebene Personalpronomen respektiert und beachtet werden, andererseits hält sie uns im Weltlichen gefangen. Das Du hält uns genauso gefangen wie das Ich. Und auch das Wir ist nicht himmlischer als das Ich, es hält uns in einer Art kollektivem Ego gefangen, das potenziell noch viel monströser ist als das individuelle Ego – siehe die Massenhypnosen, das Militär, das Monströse am Genozid gegenüber einem individuellen Mord. Und auch das Bild, das wir uns von einem anderen machen, von einer dritten Person (im Singular) oder im Plural von ihnen, denen, den anderen, ist noch etwas sehr Weltliches. Entgegen dem populären Glauben ist das Handeln für ein Du oder ein Wir nicht ethisch besser als das für ein Ich.

Das Geistige, Fiktive

Die Personalpronommen bezeichnen die kulturelle, soziale Wirklichkeit, das Geistige, und dieses Geistige ist ein Gewebe aus Fiktionen. Unsere Kultur ist gegenüber der Natur ein Gewebe aus Fiktionen mit ihrem faktischen Auswirkungen; das macht ihren Charme, ihre Stärke und Größe aus. Auch im Faktischen wirksame Fiktionen sind immer noch Fiktionen. Gebäude, Schiffe, Städte sind von Fiktionen erschaffene Fakten; Vulkane und Meere sind das nicht. Ein Ich mag beim Erschaffen kultureller Fakten weniger mächtig sein als ein Wir, fiktiv sind sie beide, ebenso wie jedes Du.

Survival of the Dummies

Das Ich als Ego zu beschimpfen, während das Du in einer Liebeserklärung angehimmelt wird, ist spiritueller Kitsch und entbehrt jeglicher Weisheit. Warum konnte die Ego-Beschimpfung sich dennoch so weitreichend durchsetzen? Weil Menschen mit schlechtem Gewissen besser führbar und leichter wirtschaftlich ausbeutbar sind. Evolutionsbiologisch sind die per Ego-Scham und Ego-Beschimpfung hierarisch geführten Kollektive gegenüber Ansammlungen glücklicher, sich selbst achtenden Individuen im Vorteil – sie können sie beherrschen, und die glücklichen Individuen sterben aus.