Das schier Unsagbare, das Wesentliche, wie lässt es sich sagen? Heute versuche ich es mal so: Ich bin im Kontinuum zuhause, das bewohne ich, das ist meine Heimat. Damit bin ich identifiziert und nicht mit der in kleine Teile zerstückelten Welt, der Welt der einzelnen Dinge, begrenzten Gehege und auf nur kleine Ausschnitte aus dem Ganzen fokussierten Wesen. 

Dabei hilft mir die Metapher des Leuchtglobus. Als ich ungefähr 9 Jahre alt war, hatten wir zuhause einen Leuchtglobus. Die Welt, wie sie ist, die dieser Globus darstellte, das interessierte mich sehr. Und dort konnte ich das Licht ein- und ausschalten. Eingeschaltet sah ich die Weltkarte als einen Fleckenteppich von Nationen in ihren verschiedenen Farben. Da war Deutschland blau, Frankreich violett und Polen grün. Ist das so? »Das ist nur so aufgemalt, damit man die Länder voneinander unterscheiden kann«, erklärte mir mein Vater. »In Wirklichkeit besteht die Welt aus Gebirgen und Ebenen, mit Flüssen und Städten, Wäldern, Steppen und Wüsten. Das siehst du, wenn du das Licht des Globus ausschaltest«, sagte er. 

Als ich zum ersten Mal mit meinen Eltern über eine Landesgrenze fuhr, staunte ich. Von Garmisch fuhren wir über Mittenwald südwärts nach Seefeld in Tirol. An der Landesgrenze standen zwar Menschen in Uniform, die irgendwas zu bewachen oder zu kontrollieren schienen, aber die Welt sah jenseits der Grenze fast genau so aus wie bei uns. In Österreich waren die Mittelstreifen auf den Straßen gelb, in Deutschland waren sie weiß, sonst aber war es wie bei uns: Die Bäume waren Bäume, die Berge Berge, und auch die Menschen waren wie bei uns. 

Meine Lösung für die Probleme der Welt ist deshalb die folgende: Schalte ab ab zu mal deinen Leuchtglobus aus. Schalte die Strukturen, die zwischen dir und den anderen, diesem und jenem Land eine Grenze ziehen, mal probeweise aus. Für diesen Akt brauchst du in der Faktenwelt nichts zu tun. Es genügt eine Änderung deiner Perspektive, ein anderer Blick auf dasselbe.

Frieden in der Ukraine

Der Ukrainekrieg hätte gar nicht entstehen müssen, hätten die Bewohner der Krim und die der Rest-Ukraine mal ab und zu ihren inneren Leuchtglobus ausgeschaltet. Dann hätten sie sehen können, dass die Zugehörigkeit der Halbinsel Krim zur Festland-Ukraine etwas Künstliches ist, etwas Menschengemachtes. Ebenso die Zuschauer und Akteure in den anderen Ländern, die ein wesentlicher Teil des heutigen Kriegsgeschehens sind, hätten ihre Perspektive ändern können durch Ausschalten ihres inneren Leuchtglobus. Eine solche Änderung des Blicks würde uns Bewohnern der Erde ermöglichen, unsere Grenzen so zu ziehen, wie es für uns gut ist. Sei es aufgrund unserer Sprachen (auf der Krim sprechen 90% der Menschen russisch), sei es aufgrund von Ethnien oder Bioregionen.

Grenzziehungen wären dann eher wie ein Spiel zwischen Kindern im Sandkasten oder wie zwischen ihrer Kreativität bewussten, klugen Erwachsenen: Mal ziehen wir die Grenze so, mal anders. Die tiefere Wirklichkeit, das Bleibende ist der Sand, in dem wir als Kinder spielen, nicht der darin mit dem Stock gezogene Strich. Die Erde, wie wir sie auf dem Globus bei ausgeschaltetem Licht sehen, ist die tiefere Wirklichkeit. Dass da zwei Subjekte oder politischen Parteien miteinander spielen, streiten oder kämpfend ihre Welt gestalten ist das Bleibende und nicht, wo sie gerade ihre Grenzen ziehen.

So ähnlich lassen sich auch Konflikte zwischen Individuen und zwischen Kollektiven jedweder Art verstehen und dann auf dieser Basis befrieden. Wenn du die beiden Seiten als ein Ganzes erkennst, ist die Grenze zwischen ihnen wie ein Seil, das du auf den Boden deines Wohnzimmers legst und dann sagst: Diese ist die gute Seite, die andere die schlechte. Dies ist meins, das andere deins. Oder umgekehrt. Einen Konflikt zu haben, in dem sich zwei Seiten gegenüber stehen ist spannend! Wir suchen ja auch Spannung. „Wie geht’s dir gerade“ – „Oh, das Leben ist gerade sehr spannend!“, very exciting, danke der Nachfrage. Aber wir suchen auch Entspannung. In der Ukraine bekommen wir durch die Medien gerade ein spannendes Drama geboten, aufregender als die besten Horrorfilme. Das erregt unsere Gemüter, erhöht die Einschaltquoten und nützt den Medienmachern. Andererseits würden die meisten von uns doch eine Entspannung in dieser Region der Erde (und anderswo) bevorzugen. Vom dadurch drastisch verminderten Leiden hier mal gerade nicht zu sprechen.

Wollen wir diesen Konflikt lösen? Damit meine ich auch uns Zuschauer dieses Konfliktes, von denen die meisten lieber einem taffen Kämpfer zujubeln, der behauptet uns zu schützen als einem versöhnlichen Führer. Da sich ein Konflikt auf der Ebene, auf der er entstanden ist, jedoch nicht lösen lässt, wie Einstein sagte, müssen wir, wenn wir ihn lösen wollen, uns auf eine andere Ebene begeben. Auf eine Metaebene und von dort darauf schauen. 

Dinge und Objekte

Eine detaillierte Betrachtung der Angemessenheit solcher Metaphern (Leuchtglobus, Grenzen ziehen im Sand, das Seil im Wohnzimmer) unterscheidet zwischen Dingen und wahrnehmenden Wesen. Dinge tragen in sich keine Weltbilder. Wir wahrnehmenden Wesen hingegen können in unserem Weltbild den Blick, der uns die Welt als aus Partikeln bestehend zeigt – in der Metapher das Licht des Leuchtglobus –, ab und zu ausschalten. Dann sind wir fähig das Ganze zu sehen. Die Dinge hingegen sind einfach nur Objekte, sie sind nicht so wie wir wahrnehmenden Wesen zugleich auch Subjekte. 

Der trennende Blick sieht überall nur Teile, im Extremfall ohne Kontext. Die Teile im Kontext zu sehen, ist schon mal ein Schritt hin zur Wahrnehmung des Ganzen. Noch genauer hingeschaut, siehst du »das Systemische«. Dann siehst du die Teile, die du gerade wahrnimmst, wie bei einem Puzzlespiel als herausgeschnitten aus einem Ganzen, in das sie auch wieder einfügbar sind. Zudem sind die Teile Holons, das heißt, sie sind auch selbst wieder Ganzheiten, die für den trennenden Blick aus Teilen bestehen.

Kämpfende Narrative

Zurück zum Krieg. Der vorsokratische Mystiker Heraklit nannte ihn den »Vater aller Dinge«, was wohl heißen soll: den Schöpfer alles Trennenden. Die Brüsseler Militärexpertin Florence Gaub ist nun zu diesem heißen Thema von Harald Welzer interviewt worden, veröffentlicht in der taz, und sie zeigt dabei ungewöhnlich tief gehende Einsichten. Sie erklärt das Kriegsgeschehen als Ergebnis von miteinander kämpfenden Narrativen. Ja, auch Menschen mit Waffen in der Hand kämpfen da, aber diese werden von Narrativen gesteuert, von Erzählungen, an die sie glauben. Ehe ein Mensch zur Waffe greift, um einen anderen Menschen zu töten, muss erstmal in ihm ein Narrativ die Oberhand gewonnen haben, das dies gutheißt. 

Ohne Othering kein Krieg

Nochmal zurück zum Kontinuum. Die Welt ist ein Ganzes, in bin ein Teil davon. Um mich von dem unterscheiden zu können, was ich nicht bin, muss ich (oder sonst ein Agent) erstmal eine Grenze ziehen zwischen mit und dem Anderen. Damit bin ich ein Partikel geworden. Hier bin ich, außerhalb von mir ist »das andere«. Soziologen nennen diesen Akt der Psyche neuerdings »Othering«. 

Als Sinnsuchender, der sich und die Welt verstehen will, brauche ich nun, nach der Partikularisierung des Kontinuums, eine Geschichte, ein Narrativ, das mir erklärt, wer ich bin und was ich in der Welt bedeute. Und dann auch: was all die anderen Dinge bedeuten. 

Geht es auch ohne eine solche Sinngebung? Das hält kaum jemand aus, stelle ich fest, wenn ich mich so umschaue. Zudem finden wir Menschen »einen Sinn« meist nicht selbst, sondern wir sind faszinierbar. Das heißt, der Sinn wird uns von Anderen (Dingen und Wesen) zugewiesen. Wir lassen uns sagen und zeigen, wer wir sind und was die Dinge und Wesen um uns herum bedeuten.

Schöpfer sein oder Stimmvieh

Dass wir faszinierbare Sinnsucher sind, ist an sich noch keine Tragödie. Faszinierter zu sein, hat auch sehr schöne Seiten! Tragisch wird es erst, wenn wir dabei vergessen, dass wir selbst auch Subjekte sind. Als solche sind wir die Schöpfer unserer Weltbilder, die Schöpfer dessen, was wir auf die Leinwand der Welt projizieren. Als Faszinierbare sind wir andererseits fast unvermeidlich auch Erschaffene, aber auch dessen können wir uns bewusst werden. Die Souveränität eines nicht beliebig beeinflussbaren Wesens erlangen zu dürfen gehört zur Menschenwürde und ist übrigens auch Voraussetzung für Demokratie. Denn wie sollte das Volk der Souverän sein können, das ist ja die Grundforderung der Demokratie in den Worten der Aufklärer des 18. Jahrhunderts, wenn die einzelnen Bürger nicht souverän sind, wenn sie nicht ihrer selbst und ihrer Gestaltungskraft bewusste Schöpfer sind, sondern nur Stimmvieh. 

Von der Omni-Krise zum »Erwachen«?

Fast hätte ch den Rundbrief von Matthias Horx über die Omni-Krise für diesen Blog-Eintrag als Einstieg genommen. Denn darin zitiert er gleich zu Anfang Bernhard Pörksen: »Geht die Welt gerade wirklich unter, oder will sie uns nur etwas mitteilen?« Und noch verheißungsvoller Walter Benjamin: »Jede Epoche träumt ja nicht nur die nächste. Sondern träumend drängt sie auf das Erwachen hin.« 

Das Erwachen? Ist der berühmte Zukunftsforscher Matthias Horx inzwischen zum Buddhismus übergetreten oder zu einem Newagie geworden? Nein, das glaube ich nicht. Sondern dass er diesmal wirklich auf eine tiefe Art den Zeitgeist erspürt. Worauf auch der von mir bewunderte Siegfried Essen in seinem Quellenbrief Nr. 16 hinweist. 

In diesem sehr lesenswerten Essay zum Zeitgeist verweist Matthias Horx u.a. auch auf den »Terrorismus der Aufmerksamkeiten«, den man (in Worten der Weltsprache) wohl auch terror of attention seekers nennen könnte. Wir sind umzingelt von Zeitdieben, die um unsere Aufmerksamkeit buhlen, weil sie uns irgendwas verkaufen oder beweisen wollen, fast immer Unwesentliches. Solcher Terror hält uns davon ab, uns dem zu widmen, worum es wirklich geht: die Liebe, das Bewussttsein, die Balance zwischen Cis und Trans, den Blick über den Tellerrand hinaus – die Fähigkeit, den Leuchtglobus des Partikularen auch mal auszuschalten und das Ganze zu sehen.

Witze erklären?

Nach diesen ernsten Betrachtungen über den Zeitgeist und unsere von einem Blick aufs Ganze leider weitgehend unberührte Welt nun noch drei kurze Filme zum Lachen. Sie zeigen, wie Humor heilen kann, und nicht nur heilen, der Humor soll ja auch ein Weg der Transzendenz sein, wie ein gewisser Wolf Schneider immer wieder behauptet: der Phobie-Workshop (2 min). Stop it (6 min) und It’s not about the nail (2 min).

Ist das lustig? Wenn ja, warum, und wenn nein, warum nicht? Als lebenslanger Humorforscher interessiert bin ich immer noch fasziniert von den Fragen: Wann sind wir Menschen stur und rechthaberisch und wann lustig, humor- und liebevoll? Und warum! Sodass wir das im Falle der Humor- und Lieblosigkeit dann auch ändern können. Deshalb bin ich diesen Fragen nachgegangen, theoretisch wie praktisch, und auch der Frage, wie weit man als tabubrechener Narr dabei gehen darf. Mein Fazit dieser Forschungen ist das Buch Sei dir selbst ein Witz. Kauf es!!! Das bessert nicht nur den Kontostand eines armen Autoren auf, sondern, was viel wichtiger ist – falls du es liest und nicht nur kaufst –, es wird dein Leben ändern. Zum Positiven. Und wenn du es verschenkst: auch das Leben deiner humorlosen Nachbarn, Mitbewohner und Schwiegereltern. 

Und falls zu zu denen gehörst, die denken, Witze dürfe man nicht erklären, schau dir diesen wunderbaren Film an, in dem die Dirigentin Mallwitz das Närrische in der 7. Sinfonie von Beethoven erklärt (30 min). Für seine Zeitgenossen war Beethoven manchmal ein Landstreicher, ein Verrückter, in familiären Angelegenheiten ein Versager. Bei der 7. Sinfonie dachten einige, er sei nun total durchgedreht. Ist er aber nicht. Diese Sinfonie ist eines der größten Musikwerke unter dem Himmel, und hier wird dieses Meisterstück von Joanna Mallwitz aufs Schönste erklärt, mit erspielten Beispielen aus dem Werk.

Veranstaltungen mit mir

Diesen Sommer gibt es noch zwei der zweiwöchigen BoB-Camps der Orientierungszeiten gGmbH. Ohne Teilnahmekosten! Weil die DKJS (Deutsche Kinder- und Jugendstiftung) uns unterstützt. Das nächste Camp findet vom 4. bis 17. Juni im Findhof bei Lindlar statt, nicht weit von Köln. Das letzte dieses Jahr vom 15. bis 28. August im Alten Forsthaus Germerode bei Kassel.

Ende Juli besuche ich zusammen mit meinem 12-jährigen Sohn das Sommerfestival des Ökodorfs Sieben Linden (23.-31. Juli) und gebe dort drei kurze Humorworkshops. Einen speziell für Paare, die sich für ihre Beziehung mehr Leichtigkeit wünschen, einen für Teenager und einen für junge Erwachsene. Dort kannst du auch mein Buch „Sei dir selbst ein Witz“ erwerben – wenn du willst signiere ich es für dich, damit du nicht weiter unter Humorlosigkeit leiden musst.

Vom 31. August bis 4. September bin ich mit Regina Heckert im BeFree-Tantra Sommerfestival und vom 29. September bis 4. Oktober im BeFree Herbstseminar. 

Vom 7. bis 9. Oktober gibt es wieder einen WE-Humorworkshop mit mir, diesmal im schönen Luzern am Vierwaldstätter See in der Schweiz. Er beginnt am Fr Abend, 9. Oktober und geht bis So Nachmittag 9. Oktober. Anmeldung über Marita Capol, kontakt@werkraum-rhythmik.ch oder marita.capol@bluewin.ch. Veranstaltungsort ist Brigittas Werkraum Rhythmik.