Heute, am 2. März 2021, wird Michail Gorbatschow 90 Jahre alt. 1995 habe ich ihn zusammen mit seiner Frau Raissa auf dem State of the World Forum in San Francisco getroffen und habe dort von Raissa die Zusage bekommen, sie interviewen zu dürfen. 

Das war sechs Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges und fünf Jahre vor dem Beginn des 21. Jahrhunderts. Zwei der Gründer des Esalen-Instituts hatten diese Konferenz initiiert, sie lief unter dem Vorsitz von Michael Gorbatschow und war beflügelt von großem Optimismus. Wir waren insgesamt etwa tausend Optimisten aus allen Bereichen der Gesellschaft, die hofften, auf diese Weise Einfluss nehmen zu können auf die Zivilisation des 21. Jahrhundert, um sie zu einer friedlicheren zu machen als das zurückliegende 20. Jahrhundert es war.

Wir brauchen eine globale Glasnost

Immerhin nahmen Koryphäen wie Thich Nhat Hanh, John Naisbitt (der Autor des Weltbestsellers Megatrends), Ted Turner (der Gründer von CNN), Deepak Chopra, Jane Goodall und Tony Robbins (u.a. Coach von Bill Clinton) und World Leaders wie Thabo Mbeki (der Vize von Nelson Mandela), George Bush und Margaret Thatcher daran teil. Ich sprach mit Tony Robbins, Fridjof Capra, Stan Grof und Michail Gorbatschow. Ich interviewte Jane Goodall und Kurt Biedenkopf. Das Interview mit Raissa kam aufgrund äußerer Umstände leider nicht zustande. 

An alles das erinnerte mich der Geburtstagsgruß von Franz Alt auf sonnenseite.com, wo er schreibt: »Wir können und müssen von Michail Gorbatschow lernen. Heute brauchen wir eine globale Glasnost und eine globale Perestroika. Und keine Atombomben.«

Weise alte Männer

Franz Alt (82 Jahre) macht Bücher zusammen mit Michail Gorbatschow (jetzt 90) und dem Dalai Lama (84), zwei ebenfalls (weisen?) alten Männern, von denen man inzwischen nicht mehr viel hört. Gorbatschow scheint entmutigt – wenn man sich seine Rezeption in Russland ansieht, hat er allen Grund dazu. Der Dalai Lama hat sich 2011 aus seiner politischen Rolle zurückgezogen; ob seine Nachfolger so friedlich bleiben wie er, steht in Frage. Alle drei dieser alten Männer geben nicht auf, obwohl sie allen Grund dazu hätten, ebenso wie Nelson Mandela, der 2013 im Alter von 95 Jahren gestorben ist und dessen Nach-Apartheit-Südafrika nicht so wurde wie in seiner großartigen Vision. Wo sind die Jungen? Und wo sind die Frauen?

Schon damals wollte »der Mainstream« solche Veranstaltungen wie das State of The World Forum (1995 war das erste) nicht zur Kenntnis nehmen. Als ich nach der Rückkehr von dieser Konferenz in Deutschland meinen ausführlichen Bericht, zusammen mit eigenen Fotos von etlichen der Koryphäen, der SZ, ZEIT und dem SPIEGEL anbot, erhielt ich auf mein Angebot nicht einmal eine Antwort. Keine Zusage, keine Ablehnung, nichts. Nur Stillschweigen.

Keines der drei sogenannten seriösen Medien Deutschlands hatte einen Berichterstatter vor Ort. Der Spiegel erwähnte in einer Kurzmeldung das Gespräch zwischen Margaret Thatcher und George Bush senior, das an einem anderen Ort in San Francisco stattfand, nicht in dem Hotel, wo das State of the World Forum tagte. Offenbar war es auch dem SPIEGEL nicht wert, den Menschen zu interviewen, der quasi eigenhändig den Kalten Krieg beendet hatte, oder einen Korrespondenten zu der Konferenz unter seinem Vorsitz zu schicken, welche die Atomwaffen abschaffen und den Ökozid verhindern wollte. Sie hätten auch meinen Bericht haben können, ebenso wie SZ und ZEIT. Und auch der Tagesschau und dem ZDF heute Journal waren andere Themen wichtiger.

»Seriöse« Medien?

Wenn heute über den Mainstream als Bollwerk gegen alternative, auch kluge alternative Bewegungen, gesprochen wird, muss ich oft an die Situation von damals denken. Ja, es gibt »irre« unter den »Alternativen«. Es ist nicht schwer, sich ein paar dieser Irren raus zu picken, wenn sie etwa mit einer Reichsflagge in der Hand die Treppen zum Reichstag hochstürmen. Aber warum pickt man sich nicht die Klugen unter den Alternativen heraus? Diejenigen, die wirklich lebbare Alternativen zu den düstersten der vorherrschenden Zeitströmungen bieten. Es gibt sie, und es wäre auch heute die Aufgabe der Medien, sich denen zu widmen. Vor allem die Medien, die sich so gerne »seriös« nennen lassen, meine ich hier. Seriosität im Sinne von Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit, das ist ja nichts Schlechtes. Humorlosigkeit ist mit diesem Begriff hier nicht gemeint.

Frauen an die Macht

Der Frauenanteil unter den Spitzenpolitikern ist seit 1989/95 nur wenig gestiegen. Unter den großen Weltfirmen sogar noch weniger. Laut catalyst.org betrug der Frauenanteil unter den CEOs der großen Firmen 2019 nur 17%. Auch, wie sehr Beziehungen für die Einzelnen eine Rolle spielen, wird durchweg unterschätzt. Das können Beziehungen in Netzwerken sein – Vernetzung muss ja nicht immer Verfilzung bedeuten. Und es können Paarbeziehungen sein, wie die zwischen Michail und Raissa Gorbatschow. 

Raissa Gorbatschowa

1996 fragte Franz Alt Gorbatschow in einem ARD-Interview, woher er die Kraft nähme für seine umstrittenen Reformen und nennt seine Antwort: »Lachend deutet er auf seine Frau, die hinter der Kamera stand. ‚Sie ist die Kraft‘, sagte er.« 

Das war auch für mich spürbar, als ich die beiden 1995 in San Francisco traf. Gorbatschow war ein Beziehungsmensch. Auch deshalb wollte ich damals Raissa interviewen, nicht ihn. Ich wollte die Frau befragen, die hinter dem Mann stand, der 1989 den Kalten Krieg beendet hatte und dadurch die deutsche Wiedervereinigung ermöglichte, um zu erfahren, wie sehr die Beziehung der beiden Michail beeinflusst hatte. Keines der drei genannten »seriösen« Medien interessierte sich dafür.

Die Macht von Beziehungen

Diese Beziehungsaffinität oder Bezogenheit war es wohl auch, was Michail Gorbatschow, den damals trotz Glasnost und Perestroika unstürzbar mächtigsten Mann an der Spitze der Weltmacht Sowjetunion, befähigte, zu sehen, wie sehr die beiden mit Atomwaffen bis an die Zähne bewaffneten Weltmächte einander bedingten und jeder die friedliche Gesinnung des Gegners für den eigenen Frieden und Wohlstand brauchte.

Der NATO fehlte diese Gesinnung, damals und in den Jahren danach bis heute. Und so ruft NATO-Generalsekretär Stoltenberg heute die NATO-Länder wieder streng dazu auf, ihre Militäretats zu erhöhen. Unsere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer befürwortet das, wie auch schon ihre Vorgängerin Ursula von der Leyen. Es hilft eben nicht immer, Frauen an die Spitze zu setzen, um Krieg zu vermeiden. Das hat auch Margaret Thatcher schon bewiesen, die 1982 Großbritanniens Falklandkrieg gegen Argentinien führte.