So viele haben schon gerätselt, was das Phänomen Trump ausmacht. Warum wurde er von so vielen gewählt? Warum kann er sich trotz seiner politischen Stümperei halten? Wie so oft in der Politik, lässt sich die Ursache diesmal nicht in der Wirtschaft finden, und auch nicht in irgendwelchen verschwörerischen Seilschaften. Sondern in seiner Persönlichkeit.

Donald Trump ist emotional, deshalb fühlt sich seine Anhängerschaft von ihm verstanden, bei ihm aufgehoben und bindet sich persönlich an ihn. Seine Anhänger binden sich nicht an seine Werte oder verbinden sich mit seinem Programm oder seinen Überzeugungen, die ja ebenso wenig konstant sind wie seine so oft widersprüchlichen Botschaften oder seine kaum vorhandene Vision. Politisch-ökonomisch schadet er dem Gros seiner Anhängerschaft sogar, in dem er die Reichen steuerlich entlastet und Umwelt, Sozialsysteme und den internationalen Handel schädigt und nützliche Allianzen zerbricht. Obwohl er rüde und uncharmant ist, eine viel primitivere Persönlichkeit als sein Vorgänger Obama, ist seiner Anhängerschaft ihm loyal ergeben und folgt ihm durch dick und dünn, trotz Frauenbeleidigungen, Minderheitenverachtung, Impeachment und was noch. Wir wollen als Führer und Vorbilder eben keine Heiligen, keine perfekten Persönlichkeiten, sondern Menschen wie du und ich, die auch mal ausrasten, Fehler machen, unzuverlässig sind und vor allem: die emotional sind. 

Emotionalität ist der Schlüssel zu diesem Phänomen, meine ich. Die vermeintlich aufgeklärte Gesellschaft missachtet noch immer den Wert der Gefühle und Emotionen, worauf unter vielen anderen auch Vivian Dittmar in ihren Vorträgen und Schriften immer wieder sehr klug fokussiert. Unser Verstand liefert uns nur die Strukturen, Strategien und Werkzeuge, die Ziele setzen unsere Gefühle, im Volksmund »das Herz« genannt. Das »Herz« als Tausendsassa und Wieselwort will ich an dieser Stelle nicht weiter beleuchten, das tue ich an anderer Stelle. Hier nur mal so viel: Was unsere Gefühle wollen, unsere Persönlichkeit, das Ich, das ist für unseren Antrieb das Entscheidende. 

Trump zeigt sein Ich so krass deutlich wie kaum jemand sonst unter den Politikern, die sich sonst eher um eine gesittetes Verhalten bemühen, auch wenn ihnen das oft nicht gelingt. Trump versucht es nicht einmal. Einige imitieren ihn darin – Jair Bolsonaro zum Beispiel, mit ebenso großem Schaden für Brasilien wie Trump für die USA, und beide für die ganze Welt. 

Was können wir daraus lernen? Die tägliche Reality-Show der politischen Nachrichten mit Trump als Protagonisten ist zwar unterhaltsam und bietet Stoff für Empörungen aller Art, so wie einst Shakespeares Dramen, später die bürgerlichen Theaterbühnen und heute die Regenbogenpresse. Zu Lösungen führen diese Dramen nicht. Besser, wir schauen uns mal das heute geltende Menschenbild an, das in der Wissenschaft und unter Bildungsbürgern noch immer das Bild eines in sich ruhenden, wenigstens nach außen hin unemotionalen Menschen ist.

Mein Wunschbild einer Persönlichkeit ist ein anderes. Es ist das einer gereiften Persönlichkeit. Um hier mal bei der Politik zu bleiben und aus diesem Feld ein paar Figuren zu nennen: so reif wie Obama, so emotional wie Trump und dabei so transpersonal ausgerichtet wie Dag Hammarskjöld oder der Dalai Lama. Das heißt, eine in diesem Sinne vorbildliche Person muss in aller Öffentlichkeit emotional sein dürfen, leidenschaftlich für ihre Ziele eintreten, als Persönlichkeit erkennbar sein, Partei ergreifen (also nicht so wie Angela Merkel) und dabei im grenzenlosen Bewusstsein verankert sein, in der Mystik, im Bezug zum Ganzen, so wie Dag Hammarskjöld es war und der Dalai Lama es ist.