Vor ein paar Tagen war ich auf dem »unterspirituellen Gemeinschaften Festival« des Ökodorf-Instituts. Diese Festivals finden seit vielen Jahren zweimal im Jahr statt, an wechselnden Orten, einmal in der warmen Jahreszeit (zur Zeit ist da Pfingsten die bevorzugte Zeit), und einmal an Silvester. Diesmal trafen sich die Fans des Gemeinschaftslebens am 13. bis 19. Mai in der Gemeinschaft Maibacher Schweiz. Das Festival geht über sechs Tage. Ich war nur für knapp drei Tage dort, als einer der Anbieter im Programm dieses sehr reichhaltigen Festivals. 

Alles ist eins

Der erste der drei Punkte, für die ich dort eingeladen war, ist mein Esoterik-Kabarett-Stück »Alles ist eins – und noch eins drauf«. Das Stück ist vor circa fünf Jahren als Satire auf mein Verlegerdasein entstanden. Da es den Connection-Verlag seit Ende 2015 nicht mehr gibt und ich nun nicht mehr Verleger bin, habe ich den Stoff auf die spirituelle Suche im Allgemeinen abgewandelt. Ich spiele das Stück weiterhin je nach Zielgruppe immer ein bisschen anders. Der Text ist sowieso immer spontan gesprochen und mit Ausnahme der orwellschen Nachrichten aus der Zukunft ohne schriftliche Vorlage. Nur die Reihenfolge der Sketche bleibt einigermaßen gleich und der rote Faden, der durch das Stück führt. Einige der Sketche entstehen sowieso immer in Interaktion mit dem Publikum, dazu gehören das Channeling und der Satsang, dort beantworten ich bzw. das von mir gechannelte Wesen Fragen aus dem Publikum.

In der zentralen Szene des Stücks zeige ich mich als Küchenhexe Holofee, mit Rothaarperücke und Schürze, und »vereine« mit einem Pürierstab eine Kartoffel mit einem Brokkoli, denn »Alles ist eins«. Die Kartoffel denkt zwar, sie sei eine Kartoffel, aber »das ist nur ihr Ego«. Ebenso der Brokkoli, der glaubt, so schön grün und buschig zu sein, besser als die gelbliche, unförmige Kartoffel, aber auch das ist nur sein Ego, der Pürierstab bereitet dieser Eitelkeit kurzerhand ein Ende.

Das Publikum nahm meine Späße, Anspielungen, Gags und Seitenhiebe überwiegend enthusiastisch auf. Es ist unvergleichlich viel leichter vor solch einem emotional offenen Festival-Publikum zu spielen als in einem Theater irgendeiner Großstadt, in das die die Zuschauer aus ihrem Berufs- oder Familien-Alltag am Abend hingehen und dann vom Kabarettisten eine Gag-Kaskade erwarten – der Zuschauer als Kunde, der Kabarettist als Lieferant, der die in ihn gesteckten Erwartungen zu erfüllen hat, der Besucher hat doch dafür bezahlt, erheitert zu werden.

Für immer nur Randgruppe?

Am Tag nach dem Kabarett bot ich einen Vortrag über das Connectionhaus an und mein Fazit aus 30 Jahren Leben in mehr als sieben verschiedenen Gemeinschaften, von denen ich zwei selbst gegründet und geleitet hatte, plus ein Blick auf meine heutige Hausgemeinschaft mit Flüchtlingen. Gut gelaunt schaffte ich es durch Einzelansprache vier der anwesenden 70 Festivalbesucher für meinen Vortrag in die Jurte zu locken, es gab ja noch zwei Alternativen im Programm des Festivals. Es macht mir persönlich nicht viel aus, wenn nur Wenige kommen, denn die Gespräche in Kleingruppen gehen oft viel tiefer als in den großen. Auch die Pausengespräche auf Konferenzen und Festivals bringen mir meist mehr als das eigentliche Programm. Es bleibt bei mir jedoch der Eindruck hängen, dass die Gemeinschaften-Szene, der ich ja seit Jahrzehnten in gewisser Hinsicht angehöre, an einer Untersuchung ihrer eigenen Grundlagen nur wenig interessiert ist. 

Diese Szene fühlt sich seit je als Avantgarde, das heißt als Subkultur, die irgendwann mal zur Kultur werden soll. Sie ist aber in den Jahrzehnten, die ich sie als In- und Outsider beobachte, immer Randgruppe geblieben, in zahlenmäßig ungefähr derselben Größe – es sind so wenige, da kennt man mit der Zeit die Schlüsselfiguren – und sie hat es in der Zeit nicht geschafft, dem Mainstream merkbare Impulse zu geben. Der Trend zum Veganen, zur Permakultur, zum Urban Gardening und viele andere Strömungen, vor allem auch die Vergemeinschaftung in virtuellen sozialen Netzwerken wie Facebook haben den Mainstream viel mehr bewegt als die Subkultur der »intentional communities«. Im Gegensatz zu anderen Teilen der inzwischen sehr stark verbreiterten (leider auch verflachten) spirituellen Szene hat sich die Gemeinschaften-Szene verjüngt, sie ist dabei jedoch unverändert klein und gesellschaftlich eher irrelevant geblieben. Das hat ein paar Gründe, meine ich, von denen ich einige hier nennen möchte.

Die Hierarchieverweigerung

Einer der Gründe für die gesellschaftliche Irrelevanz und notorische Geldnot dieser Szene ist ihre Hierarchieverweigerung. Wir Menschen sind alle gleich, keiner ist besser als ein anderer, niemand sollte über andere herrschen, wir müssen uns auf Augenhöhe begegnen – so weit, so gut. Das gehört ja heute als ethischer Grundsatz zum globalen Mainstream und insofern zur politischen Korrektheit unserer Tage. In dieser Szene werden diese edlen Grundsätze jedoch zur Hierarchieverweigerung benutzt. Rangunterschiede werden als Herrschaftsinstrument interpretiert. Nur dort, wo es gar nicht anders geht, etwa beim Herrschen der Eltern über das Wohlbefinden und den Schutz ihrer Kinder, ignoriert man per common sense diese Verweigerung, ohne jedoch damit den Grundsatz »Hierarchie ist schlecht« in Frage zu stellen. Eine Ausnahme hiervon ist die Subkultur der systemischen Aufsteller und ihrer Kunden. Bert Hellinger hat dort auf die ihm eigene, patriarchale Art die Würdigung von Hierarchien eingeführt. Man muss es nicht wie Hellinger machen, es geht auch anders, aber es bleibt davon das Fazit, dass Hierarchien wertvoll sind. Wer darauf verzichtet oder sogar sie bekämpft, der verdrängt etwas Wertvolles und schadet damit sich selbst und der eigenen sozialen Umgebung.

Die Lösung wäre, Hierarchie als nützliche soziale Form zu akzeptieren und dabei den Grundsatz der Gleichrangigkeit des Menschen an sich zu erhalten. Wenn ich solche Fälle coache, gehe ich damit so um: Ich gebe bei der Hierarchiebildung die Bauanleitung mit. Ich zeige, wie man’s macht, eine Rangstruktur zu installieren. Das geschieht rituell. Jeder, der weiß, wie’s geht, kann es selbst machen. Mit dieser Methode kann man bei entsprechender sozialer Resonanz auch vorgefundene Hierarchien deinstallieren. 

Was ist eine Gemeinschaft?

Ein zweiter Grund für das Scheitern der meisten dieser Gemeinschaften an ihren eigenen Ansprüchen (vor allem an den wirtschaftlichen, oft aber auch an den menschlichen) ist die fehlende Definition von »Gemeinschaft«, also das Fehlen des zentralen Begriffs dieser Szene. Man praktiziert hier das Urteil: Vereinzelung ist schlecht, Gemeinschaft ist gut. Daran schmiegt sich die Wertung: Nähe ist gut, Distanz ist schlecht. Das Herz ist gut, der Kopf ist schlecht. Unter Herz wird dabei alles stark Gefühlige verstanden, auch Sentimentales, Gefühlsduseliges, Romantisches, Euphorisches, bis hin zu einer tiefen, emphatischen Herzlichkeit, die auch hier, gerade hier, so wunderbar oft praktiziert wird. Kurioser Weise gelten Famlien nicht als Gemeinschaften im Sinne dieser Szene, und auch nicht das, was in der bundesdeutschen Politik »die Kommune« heißt. Auch nicht die Nation, das Volk, das Land, die Etnie oder Kultur, die Fangemeinden von Sportclubs oder Musikbands, erst die Menschheit als Ganzes oder die den Planeten bewohnenden (im weiteren Sinne alle fühlenden) Lebewesen gelten dann wieder als Gemeinschaft, in der »alles mit allem zusammenhängt«.

Die Lösung wäre, den eigenen Gemeinschaftsbegriff zu überarbeiten. Man könnte ihn so elitär belassen, wie er jetzt oft gehandhabt wird, aber dann präzise fordernd, so wie einst die besten der buddhistischen oder christlichen Klöster. Oder man weitet ihn aus und akzeptiert dann, dass wir alle, auch die allein lebenden Singles, immer Gemeinschafswesen sind und in diverse Gemeinschaften eingebunden. Je unpräziser der Gemeinschaftbegriff dieser intentional communities ist, um so mehr ziehen sie »Flüchtlinge« an, die die Gründe ihrer Flucht mitbringen – die Gründe für ihre Flucht aus Beziehungen (= Zweiergemeinschaften), Herkunftsfamilien, aus geografischen, beruflichen und anderen Heimaten.

Das romantisierte Wir

Diese Szene romantisiert das Wir. Es ist aber nicht jedes Wir gut. Ebenso wie Ich-Strukturen brauchen auch Wir-Strukturen eine ethische Betrachtung. Ich-Strukturen können schlecht sein: Psychopathen, Sadisten, zwanghafte Lügner und die viel gescholtenen Narzissten. Das gilt aber ebenso für Wir-Strukturen: rassistische Verbände, terroristische Vereinigungen, Militär, Milizen, Mafias und mafiös strukturierte Traffiker von Drogen oder Sex-Sklaven. 

Typisch für diese das Wir verherrlichende Szene ist die Namensgebung »Ein neues Wir«. So nennt sich die Gemeinschaft, die auf dem Festival von Micha Steinhauer und Lothar Klee vorgestellt wurde. Micha ist ein warmherziger Musiker und Liederpoet, der hier auf liebevoll anregende und kreative Weise Lieder vortrug. Er kam mit dem versierten Salsa-Tänzer und Tanzlehrer Lothar, anscheinend einer zentralen Figur dieser Gemeinschaft, der hier für seine Gemeinschaft warb. Den Begriff »Das neue Wir« gibt es auch anderswo, nicht nur hier. Er ist der Titel eines Films über Gemeinschaften und wird von vielen in der Szene als passend empfunden zu einer gewissen Aufbruchstimmung, die diese Szene seit je kennzeichnet. Es ist jedoch »Das alte Ich« nicht grundsätzlich schlechter als irgend ein neues Wir. Auch jede neue Verliebtheit schafft ein neues Wir und ebenso jede neue Komplizenschaft und Mittäterschaft mit Schurken. Das Wort »wir« besagt ja nur, dass eine neue soziale Struktur entstanden ist, die den darin eingebundenen Ichs ein Gefühl der Zugehörigkeit gibt. 

Ähnlich illusorisch anspruchsvoll wie diese neuen Wir-Gemeinschaften war auch die Zeitschrift »Wir«, die kürzlich auf der Wir-Welle der Spiri-Szene mitschwamm – ein kurzes Leben voller Hoffnung lang, bis sie mangels Finanzierung eingestellt wurde.

Ausgebrannte, Träumtänzer und Wiederauferstandene

Ich liebe diese Szene. Zum einen, weil ich so viele Menschen darin kenne, die ich mag. Wenn ich sie leiden sehe an Ursachen, die ich für behebbar halte, macht mir das was aus. Da gibt es Gründer, die nicht geehrt werden. Leiter, die sich zurückziehen wollen, aber keinen Nachfolger finden. Am Finanziellen Scheiternde. Organisatoren, die sich an der Chaosverliebtheit der Szene aufarbeiten. Ausgebrannte, die nach Jahren der Selbstausbeutung für ihre großen Ziele nicht mehr können. Traumtänzer ohne Bodenhaftung. Flüchtlinge vor sich selbst – alles das findet man dort, und dabei, mitten unter diesen, auch Gestalten, die in phänomenaler Weise über sich selbst hinauswachsen. Liebende, die den Spagat zwischen Spontanität (»hier und jetzt«) und Treue (zu sich selbst und anderen) wagen. Spirituell Abgehobene, die sich keine Landeerlaubnis geben und den Nestbau verweigern, weil Nestbau ja Anhaftung bedeutet und Anhaftung Ego. Alles das findet man dort, im Garten des Menschlichen. 

Liebesräusche

Die Gemeinschaften-Szene versteht es immer wieder, auf solchen Festivals einen Rausch der Liebe und Verbundenheit herzustellen. Wenn das Hauptproblem ihrer Zielgruppe Einsamkeit und Vereinzelung ist und das Bewusstsein zu sehr isoliert zu sein und insofern ‚idiotisch‘ (von griechisch idotes, dem einzelnen, nicht der Polis angeschlossenen), dann macht sie das gut. Sie macht es mit Musik, Mantren, positivem Denken (und Reden und Fühlen), mit Wertschätzung auch für skurrile Individuen und mit hingebungsvoller, oft unbezahlter Arbeit als »sichtbar gemachte Liebe«. 

Um sich in diese Liebesräusche zu begeben, in den Rausch der Gemeinsamkeit, des Wir, dafür wird gerne hie und da das Weltbild auf der Faktenebene ein bisschen zurechtgebogen. Das ist verzeihlich, wenn man dafür Liebe bekommt, das höchste aller Güter. Ich Unverbesserlicher meine jedoch, dass auf den Faktenbezug dafür gar nicht verzichtet werden muss. Liebe ist realistisch! Aber dafür muss man sich mit ein paar Themen konfrontieren, die auch in der Gemeinschaftenszene bisher überwiegend im Schatten bleiben.