Kinostart: 7. September 2017
Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“ (1932) lässt grüßen. Auch in dieser neuen Dystopie, die in bedrohlich naher Zukunft spielt, geht es um das Dilemma Transparenz versus Privatsphäre. James Ponsoldt adaptierte als Drehbuchautor und Regisseur den Bestseller „The Circle“ von Dave Eggers.
Alles fängt ganz normal an. Die 24jährige Mae Holland (Emma Watson) arbeitet in einem Call-Center und hat ein enges Verhältnis zu ihren Eltern. Ihr Vater leidet an Multipler Sklerose. Mae fährt gerne allein Kajak auf dem Meer, und zu ihrem „rückständigen“ Jugendfreund Mercer (Ellar Coltrane), der nicht dauernd online sein will, geht sie auf Distanz.
Maes Leben ändert sich, als ihre beste Freundin Annie (Karen Gillan) ihr vorschlägt, sich bei der Firma „The Circle“ zu bewerben, in der sie selbst gerade Karriere macht. Diese Firma bietet alles an, was im Bereich der Sozialen Medien und des Internets möglich ist. Gebaut wie ein riesiger Kreis, stellt sie ihren Angestellten auf dem Gelände alles zur Verfügung, was das Leben angenehm macht: Luxus-Verpflegung, Sportplätze, Freizeitvergnügungen, Konzerte, Bildungsangebote, Partys. Alle kennen sich und sind nett zueinander. Konzentriert gearbeitet wird aber auch. Und das Bewerbungsgespräch, das der Firmengründer Eamon Bailey (Tom Hanks) höchstpersönlich mit Mae führt, ist knallhart, ebenso wie später die Erfolgskontrollen.
Auf den wöchentlichen Vollversammlungen stellt der charismatische Bailey seine Pläne und Projekte vor und genießt die Begeisterung und den Applaus seiner treuen Gefolgschaft. „TruYou“ stellt jedem Benutzer, gegründet auf seinem richtigen Namen, eine Identität, ein Passwort und ein Konto zur Verfügung, eine totale Vernetzung mit allen möglichen Diensten. Ein Button für das komplette Online-Leben. Unmöglich sind Anonymität, falsche Identitäten und Datendiebstahl.
Totale Transparenz für die beste Versorgung. Und Bailey zeigt seinen neuesten Trumpf: eine winzige Kamera, billig und überall unauffällig verwendbar, die alles in ihrer Umgebung erfasst und unmittelbar an alle Nutzer sendet.
Auch Mae ist fasziniert und lässt sich auf ein Experiment ein, das Bailey und sein im Hintergrund agierender Geschäftsführer Tom Stenton (Patton Oswalt) ihr vorschlagen: Sie wird der erste Mensch sein, der, mit der Kamera ausgestattet, total transparent ist und dafür wirbt. Wird nicht jeder ein besserer Mensch sein, wenn er sich nicht verstecken kann? Gewalt und Betrug finden nicht statt, oder werden schnellstens aufgedeckt, Hilfe bekommt, wer sie braucht. Wozu Privatsphäre, wenn man ehrlich und anständig ist und nichts zu verbergen hat? Hat nicht jeder das Recht, umfassend informiert zu werden, Zugang zu jeglichem Wissen zu haben?
Mae genießt ihre Mission und die Aufmerksamkeit, die sie bekommt, bis sie die dramatischen Schattenseiten entdeckt, und ein geheimnisvoller Kollege (John Boyega) ihr die Augen öffnet.
In dieser stringent erzählten, hervorragend gespielten Geschichte geht es weniger um naheliegende kommerzielle Aspekte, etwa die Ausbeutung der Nutzerdaten für die Werbung, als vielmehr um grundsätzliche Werte: Offenheit und Transparenz, die wir alle gern im öffentlichen Leben und in der Politik anmahnen, und dem gegenüber Datenschutz, Diskretion und Privatsphäre. Wann wird Wissbegier zu Voyeurismus? Und wann ist Offenheit Verrat an mir und meinen Nächsten? Das wird hier spannend verhandelt.
Ohne den Film schon gesehen zu haben, fällt mir spontan eine Lese-Empfehlung zum Thema ein, bzw. genau genommen zwei. Vor vielen Jahren schon habe ich mit Begeisterung den Science Fiction-Roman Earth (deutscher Titel Erde) von David Brin gelesen. Da sind alle Menschen mit mobilen Kameras ausgestattet, auf die sich jeder Mensch beliebig aufschalten kann.
Brin hat einige Jahre später ein Sachbuch darüber geschrieben, The Transparent Society.
Ich bin mir nicht sicher, was ich davon halten soll, finde es jedenfalls nicht per se gruselig und abzulehnen. Es gibt ja auch seit einiger Zeit eine Sousveillance-Bewegung.