Militärische Lösungen scheinen manchmal einfach und verlockend wirkungsvoll – aber auch nur auf den allerersten Blick. In den letzten Wochen wurden in Syrien im Kampf gegen den IS ca. 1000 Tanklastzüge bombardiert und zerstört. Zunächst vor allem durch die russische Luftwaffe. Die Amerikaner zogen dann wohl nach. Das Ziel dieses Bombensturms bestand darin, den Verkauf von Erdöl durch den IS vor allem in den Irak – und wohl auch in die Türkei – zu verhindern. Die Millionen- und Milliardengewinne sollten dem IS genommen werden, um ihn finanziell auszutrocknen. Das hört sich zunächst verlockend effektiv an. Zumindest dann, wenn man den Tod der LKW-Fahrer und der sich in der Nähe eines explodierende Tanklastwagens aufhaltenden Zivilisten sofort ganz ausblendet. Tatsächlich sollen Fahrer zumindest bei den amerikanischen Angriffen vorher durch Flugblätter gewarnt worden sein. Wenn das tatsächlich geschehen ist, wäre das eine menschliche Geste. Bei ihren mörderischen Drohnenangriffen, bei denen in etwa 6000 Todesopfer seit 9/11 2001 zu bedauern sind, war das US-Militär nicht gar so „menschenfreundlich“. Doch wieviele der Fahrer und Zivilisten haben diese Warnungen ernst genommen? Oder wie viele wurden durch IS Kämpfer doch gezwungen, in den fahrenden Todesfallen sitzen zu bleiben?

Trinkwasser für 18 Jahre weg

Viel schädlicher wird sich aber vermutlich ein ganz anderer Sachverhalt auswirken, von dem ich in den Medien noch kein einziges Wort gehört habe. Man stelle sich das nur vor: 1000 Tanklastwagen, die der IS intensiv benutzte. Wie viele von denen waren mit Öl beladen? Hat man darauf Rücksicht genommen? Davon habe ich in den Berichten nichts gehört. Unter militärischen Gesichtspunkten greift man diese wahrscheinlich an, sobald man die Chance dazu hat, ohne zu prüfen, ob der Wagen gerade leer ist oder vielleicht doch 10.000 Liter Öl geladen hat. Egal. Bombe drauf. Buuum. Fertig.

Nehmen wir nur mal an, dass von den 1000 LKWs die Hälfte mit Öl beladen war. In der Fahrschule lernt man, dass ein Tropfen Öl, der ins Grundwasser gelangt, 600 Liter Trinkwasser ungenießbar macht. Um die Umweltschäden allein schon nur in Bezug auf die Vernichtung von Trinkwasserreserven einzuschätzen, recherchierte ich noch ein wenig: Ein Liter Öl setzt sich aus ca. 350 Tropfen zusammen. Ein mittelgroßer Tanklastwagen kann ca. 13.000 Liter Öl transportieren. Also  nahm ich die Taschenrechner-App meines Handys und tippte die Rechnung ein.

        500 bombardierte, beladene Tanklastwagen

X 13.000 Liter Fassungsvermögen eines Wagens

X      350 Tropfen Öl in einem Liter Öl

X      600 Liter durch einen Öltropfen vergiftetes Trinkwassers

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=      1365.000.000.000 Liter ungenießbares Trinkwasser

Das sind 1365 Milliarden Liter. Die Alster – der schöne Stadtsee Hamburgs – hat ca. 3,4 Milliarden Liter Wasser. Das bedeutet mit diesen „sauberen Angriffen“ wird ein Vergiftungspotential erzeugt, das Trinkwasser in der 400fache Menge der Alster unbrauchbar machen könnte. Eine weitere Rechung: Mit dieser Menge könnte man die gesamte Bevölkerung Deutschlands ca. 18 Jahre lang mit ausreichend Trinkwasser versorgen.

Sollen die Öl trinken?

Es ist mir schon klar, dass die Errechung der obigen Zahl mit heißer Nadel gestrickt ist. Ein Teil des Öls verbrennt bei den Explosionen. Soll man sagen: „Gott sei Dank?“ Und auch, wie sich die Menge Öl in dieser Region ganz genau auf die Grundwasserverhältnisse und die Trinkwasserversorgung auswirkt, ist schwer abzuschätzen. Worauf die obigen Zahlen aber hinweisen: Auch neben den schon beklagenswerten Verletzen und Todesopfern eines Militärschlages gibt es andere verheerende Langzeitfolgen. Die Bomben zerstören nicht nur Leben. Sie zerstören auch Lebensgrundlagen! Und dann erwarten wir, dass die Syrer doch bitte in diesen zerstörten, von Öl verseuchten Regionen bleiben oder dorthin nach dem „Sieg über den IS“ zurückkehren sollten? Wollen wir, dass die Erdöl zum Essen trinken?

Gab und gibt es nicht auch ganz andere politische Mittel, dem IS die Gewinne aus dem Ölverkauf zu entziehen? Hätte man nicht jene Länder, die dieses Öl kaufen politisch unter Druck setzen können? Oder finanzielle Anreize für jene Handelsstrukturen  setzten können, die es schmackhaft gemacht hätten, auf den Handel mit dem IS zu verzichten? Anstatt intensiv nach solchen Lösungen zu suchen, sind wieder mal Bomben das schnelle Mittel der Wahl. Die Rüstungsindustrie frohlockt. Hat man aus den Destabilisierungen des Iraks, Afghanistans und Libyens nicht genug gelernt, welche Auswirkungen das hat? Der IS ist ja gerade auch durch die verheerende Zerstörung der irakischen Lebensverhältnisse in Folge der Militärinterventionen des Westens groß geworden.

In 77 Minuten in den Krieg

Frau von der Leyen spricht davon, Syrien nach dem Sieg über den IS wieder aufzubauen. Aber welche Kosten hat es, die von Öl verschmutzten Landschaften wieder zu reinigen oder die Menschen, die dort wieder leben sollen, über Jahrzehnte mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Wer macht sich Gedanken über solche Dinge? Stattdessen peitscht der Bundestag die Zustimmung zum Militäreinsatz mit einer Debatte durch, für die man gerade mal 77 Minuten eingeplant hat. Sogar das recht bombwütige britische Parlament hat sich dafür immerhin 10 Stunden Zeit genommen. Aber müsste es nicht bei solch schwerwiegenden Entscheidungen eine viel längere und bedächtigere Vorlaufzeit geben? Müsste man nicht haargenau durchdenken welches – wenn überhaupt sinnvolles – militärische Vorgehen, genau welche Folgen hat?

Weisheit bedeutet auch Weitsicht. Davon sehe ich bei dieser Entscheidung im Bundestag quasi nichts. Es macht mich schon betroffen genug, dass Deutschland überhaupt wieder in den Krieg zieht. Doch dass dies noch auf diese dumme, übereilte, unüberlegte, kurzsichtige Weise geschieht, finde ich unter aller Sau. Ich würde mir wünschen, dass Gott mal ein kleines Wunder bewirkt und sich beim nächsten Anstoßen der Kabinettsmitglieder der Sekt in ihren Gläsern in Erdöl verwandelt. Dann prost auf den Krieg!