»Ein Einzelner kann nichts tun, das System muss sich ändern« seufzen wir, nicken einander mit Kassandrablick vielwissend zu, erheben uns dabei für einen Moment sogar ein bisschen aus unseren Sesseln, ehe wir darin apathisch wieder zurücksinken. Woraufhin das System einen Teufel tut sich zu ändern.  

Liegt es vielleicht nur an der Organisiertheit von »uns Einzelnen«, ob wir mit unseren Anliegen Erfolg haben? Es ist schon so oft gesagt worden: Die politisch Rechten seien einfach besser organisiert als wir Linken, obwohl sie doch in der Minderzahl sind – noch sind sie das. Der Einzelne ist jedoch ein Partikel des Ganzen, Rechts und Links sind Teile desselben Systems. Kann ein mächtiger erwachender oder von den Umständen extrem begünstigter Einzelner überhaupt je zum Katalysator einer Revolution, zum Führer einer Massenbewegung werden? Im Guten wie im Schlechten scheint das gelegentlich der Fall zu sein. Was genau muss dafür die persönliche Eignung dieser einzelnen Person sein, und wie sehr müssen die historischen Umstände dazu passen?

Erwachen?

Die Ich-Identität ist offenbar eine aus Erzählungen gebastelte Fiktion. Sie ist aus Wir-Identitäten gebaut, aus den Gefühlen von Zugehörigkeit der Einzelnen – jeder einzelnen von uns. Aus Erzählungen von »uns« speist sich unser Ich und ‚errechnet‘ sich so seine Einzigartigkeit, seine USP, sein Profil und hofft, dass es ein bisschen Bestand hat und erkennbar ist. Diese Abhängigkeit des Ich von den es konstituierenden Erzählungen und systemischen Zugehörigkeiten zu durchschauen, befreit aus der Anfälligkeit für Manipulationen, sagen die Weisen und sprechen dann von Moksha, Erwachen, Souveränität oder Freiheit – manchmal auch vom Charisma, das solch ein Mensch habe (weil sie dafür ein Resonanzkörper sind, sage ich). Das wäre dann allerdings nicht ein Erwachen zu etwas, sowas wäre doch nur eine neue Besessenheit davon. Echtes Erwachen ist ein Erwachen von etwas, eine Befreiung. Genauer: eine Befreiung von allem, wofür ich mich halte.

Und hier noch etwas für die Couch-Kartoffeln unter uns, die glauben, es sei egal, was sie tun – geschrieben von dem Historiker und Aktivisten Rutger Bregman (Jg. 88!; er hat in Davos viel Mut bewiesen; hoffentlich hören wir noch viel von ihm).

Helden und Heldinnen

Muss man ein bisschen autistisch sein, um in der Infoflut des heutigen Internetzeitalters zur Heldin zu werden? Greta Thunberg selbst vermutet das, in dem Dokumentarfilm »I am Greta«. Ja, sie ist eine Heldin, und ein bisschen mehr Autismus oder wenigstens Fokussiertheit in dem, worauf es ankommt, wünscht man sich nach dem Ansehen dieses Films auch von anderen. 

Die Verführer von heute werden anders auftreten als die von gestern. Sie werden von Liebe und Herz sprechen und von »alternativen Medien«, die angeblich besser informieren als der Mainstream der zwar ‚gebildeten‘ Profi-Journalisten, die jedoch in hohem Maß der Herde folgen. So ähnlich tönt z.B. die Webseite von Rakuna Schön. Sie ist klug und gebildet, sie informiert sich täglich aus vielen verschiedenen Quellen, und sie ist sogar humorvoll. Dennoch gruselt mich beim Zusehen: Es ist an der Zeit alle Wunden zu heilen. Oder ich lache und wende mich dann ab, weil ich ein so hohes Maß an Weltrettungskitsch, durchmischt von fröhlicher Gewaltbereitschaft kaum ertragen kann.

War das vor 80, 85 oder 90 Jahren anders, als die deutsche Jugend so hoffnungsvoll in die neue Zeit aufbrach? 

Nach einem schlecht besuchten Start in einigen Kinos lief der Dokumentarfilm I am Greta am 16.11. in der ARD und ist dort nun in der Mediathek zu sehen. Was auch immer Nörgler über Gretas PR und die Unterstützung ihrer Botschaft durch ihre Eltern sagen mögen: Für mich ist sie eine Heldin, deren unbeirrte Fixiertheit auf das Ziel einer realen Klimawende inmitten all des politischen Geschwätzes ich bewundere.

Hitler

Edgar Hofer verwies mich auf das Interview, das David Frost 1968 mit Baldur von Schirach gemacht hat. Darin spüre ich etwas von der Faszination, die Hitler auf seine Zeitgenossen ausübte. Das war durchaus nicht die Faszination des Bösen, als dessen »Goldstandard« (so wörtlich in der Financial Times) er nach dem Zweiten Weltkrieg wurde.  

Die bisherige Resonanz auf das Buch Hitler, die wenig bekannten Fakten ist stark, obwohl es noch kaum bekannt ist. Warum bewegt uns die Frage auch heute noch so sehr, wie der unbekannte Gefreite, der Anfang 1914 als nur einer unter Tausenden von Losern in München umherirrte, in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg zu DEM gefeierten Führer der Deutschen wurde? Bildet sich – z.B. in QAnon – vielleicht erneut ein mächtiger, unheilbringender Resonanzkörper, der nur darauf wartet, dass ein Einzelner, dessen Größenwahn perfekt dazu passt, sich dieses Verstärkers bedient?

Die Aufbruchstimmung damals, unter Hitler, war jedenfalls mächtig. Fotos oder Filme von damals zu sehen oder Reden von Hitler zu hören, impft mich Heutigen bei allen neuen politischen Aufbruchstimmungen gegen naive Fasziniertheit. Ich frage mich bei sowas jedes Mal, welches Narrativ uns da gerade wieder an der Nase herumführt. Eine gute Verankerung im Transnarrativen ist die beste Vorbeugung gegen solchen Wahnsinn. Das schließt einen cisnarrativen Standpunkt keinesfalls aus. Kurt Tucholsky erscheint mir in der Hinsicht noch immer als Leuchtturm, wie er in seinem Pazifismus und Kampf gegen rechts unbeugsam blieb, während sein unermesslicher Humors alles erlegte, was das Pech hatte, ihm vor die Flinte seiner spitzen Feder zu laufen.

Harari

Schon seit April 2019 ist das anderthalb Stunden lange Gespräch zwischen Yuval Noah Harari und Mark Zuckerberg in voller Länge auf Youtube anklickbar. Dort sieht man einen hoch engagierten Mark Zuckerberg sprechen, der zwar gute Ideen und Motive hat, von der ihm unerwartet zugewachsenen Macht (mehr als zwei Milliarden Kunden hat er) aber sichtlich überfordert  ist. Gegenüber ihm sitzt ein bestens informierter Historiker, der die neuen technischen Entwicklungen wie KI und die daraus resultierenden potenziellen und realen Machtkonzentrationen höchst kritisch betrachtet. Und der einfach die besseren Argumente hat und zudem viel mitfühlender ist als Zuckerberg. Was für ein Gegensatz! Obwohl mir Zuckerberg keineswegs unsympathisch ist.   

Während der heuer fast nur online stattfindenden Frankfurter Buchmesse war Harari im ZEIT-Interview »Alles gesagt« zu sehen und zu hören. Er wird dort als »vielleicht der führende Intellektuelle« unserer Zeit vorgestellt. Seine »Kurze Geschichte der Menschheit« habe sich 12 Mio mal verkauft; sein neuestes Buch »21 Lektionen für das 21. Jahrhundert« wurde in mehr als 50 Sprachen übersetzt höre und lese ich.

Was Hararis Einsicht in die Gefahren & Chancen unserer Zeit anbelangt, ist er wohl kaum zu überschätzen. Ich werde deshalb hier im Blog noch öfter auf ihn zu sprechen kommen. Gerade stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn seine »Kurze Geschichte der Menschheit« zur Pflichtlektüre auf unseren Schulen würde. Mein zehnjähriger Sohn jedenfalls hört mit mir im Auto gerne Passagen aus der »Kurzen Geschichte der Zeit«; er versteht das meiste davon, und fragt neugierig nach. Hararis neuestes Werk ist sogar ein gezeichnetes Buch, eine »Graphic Novel« über Homo sapiens in der Steinzeit; für Erwachsene; ein Buch für Kinder soll dem bald folgen. 

Tantra

Saleem Matthias Riek, der Leiter von Art of Being, dessen Texte ich in meinen Connection-Zeitschriften immer sehr gerne brachte, hat nun auch einen Roman geschrieben: Die gefährliche Unausweichlichkeit der Liebe. Das Tantranetz bringt einen kurzen Ausschnitt davon. Auf Tantranetz.de findet ihr auch den neuesten Tantra-Newsletter, diesmal zum Thema »Tantrische Rituale« mit Texten u.a. von Regina Heckert und mir. 

Erkenntnis per Cartoon

Zum Schluss dieses Rundbriefs im dunklen und von Corona geprägten Blues-Monat November noch was zum Grusel-Lachen oder immerhin still Schmunzeln: Der generell ziemlich witzige Stefan Kienzle zeigt hier einige prämierte Cartoons aus 2019, die sich mit dem bevorstehenden Exit des Homo sapiens befassen. Speziell der mit dem Strohhalmverzicht auf dem Kreuzfahrtschiff und der mit den Würmern im Raumschiff, die gerade die Erde aufgeben, weil dort so viel schief geht, finde ich mindestens so angenehm gruselig wie Halloween. Gut, dass es mich nicht direkt betrifft, äh …. oder vielleicht doch? Jedenfalls bewundere hier wieder mal, wie sehr ein Cartoon komplexe Zusammenhänge verdichten kann, die den Betrachter in einem Sekundenbruchteil erkennen lassen, worum es geht. 

Veranstaltungen mit mir  

• Tantra trotz Corona? Auch das Silvester-Retreat von BeFree wird nach aktuellem Stand stattfinden können. Es ist längst ausgebucht, mit Warteliste. Ich werde zusammen mit meiner Liebsten dort den Jahresbeginn feiern. Wir alle hoffen, dass das nächste Jahr weniger pandemiegesteuert sein wird, einsichtsvoller, aufgeklärter und friedlicher. (Möge an dem so viel gepredigten Resonanzprinzip doch wenigstens ein bisschen was dran sein, hoffe ich dabei kraft meiner unermesslichen, gutgläubigen Naivität, so dass dieser Wunsch in Erfüllung geht 😉)

• Mein Seminarplan für 2021 steht noch nicht, u.a. wegen Corona. Bei BeFree bin ich jedenfalls weiterhin dabei. Es wird mit mir auch Visionsseminare geben, Humorworkshops und Beziehungsworkshops, und im Oktober beginnt der Bachelor of Being.

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