Seit fast zwei Jahren wohne ich nun mit Flüchtlingen zusammen. Es kommt mir vor wie die Verdichtung dessen, was auf der Welt geschieht, ein Abbild davon, hier in meiner WG, im Connectionhaus, einem Mikrokosmos des Makrokosmos.

Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und Somalia wohnen hier, haben hier gewohnt oder wollen hier wohnen, teils lebe ich mit ihnen zusammen und lese währenddessen die Nachrichten aus aller Welt: dass im Südsudan noch immer Krieg ist, ebenso im Jemen und in Afghanistan. Auch in Syrien ist der Krieg noch nicht zu Ende, und der Konflikt der Weltreligionen untereinander hört nicht auf – nicht im ‚Heiligen Land‘, nicht in den USA, nicht einmal im buddhistischen Myanmar. Überall Bigotterie, Verblendung, wirtschaftliche Not, nur ab und an ein Schimmer von Bewusstheit, Einsicht, liebevollem Umgang miteinander, sich ausdehnend über kleinste Kreise hinaus in größere hinein, die Nationen, Regionen und Kontinente umfassen, die Menschheit als Ganzes und die uns beheimatende Natur. 

Wendezeit

Schön länger möchte ich das Connectionhaus in neue Hände übergeben. In den vergangen Wochen habe ich mich gefragt, warum das noch nicht geschehen ist. Am Preis des Hauses kann es nicht liegen, der gilt Insidern eher als Schnäppchen. Gibt es innere Gründe, in mir oder »in der Seele des Hauses«, die eine Übergabe in neue Hände bisher verhindert haben? 

Ein Grund könnte sein, dass etwas in mir das Haus nicht »geschlachtet« haben will. Obwohl ich formell damit einverstanden wäre, dass ein kluger Immobilienmensch – es muss ja kein Hai sein, ein Immobilien-Delphin wäre mir auch recht – daraus sechs oder acht Wohnungen macht, die ab Herbst 2019 sogar für Pendler nach München (nur 40 min Fahrt) ein kuscheliges Zuhause böten. Ist es der »der Geist des Hauses«, der es doch lieber in gemeinschaftlichere Hände geben will? Vielleicht Hände, die mehr mit Tantra, Osho, Buddha und radikalem Humor was anfangen können, mehr als ich diese vier Bereiche ‚meiner Identität‘ bisher praktisch ausgelebt habe (und nicht nur als Autor & Publizist)?

Wenn du dazu etwas beitragen willst, rühr’ dich. Mit Ratschlägen bin ich, grins, schon reichlich beschenkt und geschlagen worden. Sehr willkommen wäre nun mal ein ein echtes Engagement. Besser noch ein persönliches Interesse an der Mitnutzung des Hauses. Wer das hat, schreib’ mich an! Es gibt echte, investitionsbereite Interessenten am Haus, aber bisher noch keine Gruppe, die groß oder stark genug wäre, das Projekt allein zu stemmen. 

Es gab ab und an Menschen, die zu mir gesagt hatten: »Ich nehm’s, wenn du mit dabei bist!« Damals habe ich Nein gesagt. Jedoch, wer weiß … vielleicht will da ‚etwas Größeres‘ durch mich agieren und etwas verwirklichen, das hier noch sozusagen ansteht. Auch wenn ich das mich weichen Knien sage und in aller Unsicherheit: Ich bin ich wieder offen für das, was da vielleicht aus dem Haus heraus mich und uns ruft.  

Somalia

Seit Mai gibt es eine Somali-WG im Connectionhaus. Najib ist einer von ihnen. Er hatte in seinem Land zwei Semester Chemie studiert und spricht recht gut Englisch, inzwischen auch Deutsch. Nun durfte seine Frau im Rahmen des Familiennachzugs zu ihm kommen. Seit Oktober wohnen sie direkt neben mir, in dem Zimmer, wo früher das Satzstudio des Connection-Verlages war. Beide kommen aus einem Land, in dem etwa 98 % der Frauen genital beschnitten sind (laut UNICEF, 2016, nachzulesen in der dt. Wikipedia). Gruselig. Für mich ist es ist viel zu früh, das Thema ihnen gegenüber anzusprechen. May aus Syrien hat sich in ihrem Land für Frauenrechte stark gemacht. Wie sieht es in Somalia damit aus? Vielleicht später mal mehr dazu. Vertrauen muss wachsen, bei so intimen Themen umso mehr, ebenso das Bewusstsein, dass ein interreligiöses und internationales Zusammenleben noch keine Frieden schaffende Antwort ist: Wir brauchen eine transnationale und transreligiöse Zivilisation, ein Miteinander auf einer neuen Ebene. 

Aufbruch nach Transistan

Die aktuelle religiöse Lagermentalität ist für die ganze Welt ein Desaster. Kaum zu glauben: »Katholisch« (vom griechischen katholikós)‚ bedeutet übersetzt »allumfassend«. Wo ist das Allumfassende, alles Menschliche umarmende bei den heutigen religiösen Bewegungen? Es fehlt nicht nur bei den Katholiken. Am ehesten noch finde ich es bei einigen Buddhisten (aber nicht bei allen) und in der modernen ’säkularen Religiosität‘. Der materialistische Atheismus alten Stils weiß keine Lösung – er ist zwar wunderbar religionskritisch, meinen inneren Voltaire bringt das zum Jubeln, aber auch er hat keine Antwort auf die Frage, wie denn das Bewusstsein in die Welt gekommen ist. Für Dawkins&Co gibt es keine Transzendenz. Ohne einen Begriff von Seele komme ich recht gut aus, die Psyche reicht mir eigentlich, aber nicht ohne Transzendenz. Albert Einstein ist noch immer mein Lieblingsbeispiel für postmaterielle Transzendenz: »Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.«

Sind wir echt?

Manchmal denke ich, wir sind doch alle nur Fakes. Auf der Bühne des Lebens spielen wir unseren Akt. Sind wir dabei echt? Ich meine, unseren Akt gut zu spielen, das ist es bereits, echter geht es nicht. Wir sollten keine Scheu davor haben, dass das, was wir da spielen, vielleicht nur eine Rolle ist

Oder bist du ein Sucher? Echt? Dann spring am besten gleich in diesen Workshop rein, der deine Echtheit auf Herz und Nieren prüft. Es ist der Film von meinem Humorworkshop auf dem Erleuchtungskongress Anfang September in Berlin. Sorry, der Film geht über eine Stunde, das tut mir schrecklich leid, schluchz, aber diesmal lohnt es sich – sogar ich selbst, mein gnadenlos strengster Kritiker, findet diesen Auftritt gut. 

Der Schauspieler Jim Carrey bringt die Botschaft allerdings viel kürzer als ich auf den Punkt (Neid, Neid), er braucht dafür nur vier Minuten

Ist alles gut?

Die Gurus des positiven Denkens versichern uns immer wieder, dass alles gut ist. Nein, das ist nicht wahr, ich protestiere! Die Fähigkeit zu kritischem Denken ist sehr wertvoll, für mich ist sie die Schwester des utopischen Denkens, des Erfindens einer lebenswerten Zukunft. Mit meinem »Alles ist gut« umarme ich, von der Meta-Ebene aus, auch die Kritik am Bestehenden, die manchmal sogar als brennende Wut auftritt. 

Wer ohne rosarote Brille hinschaut, sieht die Weltzivilisation auf einem Weg der Selbstzerstörung. Die heutige globale Wirtschaft zerstört die äußere Natur, unseren Biotop, den wir bewohnen, aber auch unsere innere Natur, unsere Gefühle, die Psyche. 

Bei all dem Jammer über unsere politische und ökologische Lage gibt es jedoch auch Positives zu berichten: Wir können uns die herrlichste Musik übers Internet ins Haus holen, ebenso Bücher und Filme, alles mit ein paar Klicks. Wir können uns leichter denn je mit Freunden vernetzen und unsere Eingebundenheit ins Ganze auch auf diese Weise feiern. Nie hatten wir soviel Kultur so nahe und leicht erreichbar, zudem die Möglichkeit, uns darüber mit anderen Menschen auszutauschen, innig und vielfältig. Es könnte einen zerreißen, dieses Schlaraffenland von fast allem, was Menschen an physischer und geistiger Nahrung  je begehrt haben, so nahe greifbar zu haben – und dann die Welt um uns herum so zerstritten zu erleben und so sehr ihre eigenen Grundlagen zerstörend. Wie soll man das ohne Selbstbetrug und Verdrängung aushalten? Nur ein Meditierender, Liebender, Sterbender kann das, die anderen stumpfen ab.

Links

Auf kgs-berlin.de steht immer mein aktueller monatlicher Artikel, diesmal der Novembertext »Ich bin sehr berührt« (da bin ich ein bisschen spöttisch, aber auch versöhnlich; bald dort auch als Audio).

Am 15.-17. September 2017 war ich wieder bei den Lisberg Fireside Talks, einem kleinen Think-tank aus Wissenschaftlern (& Consultants und Industriellen), die die Welt verbessern wollen, weil sie wissen, dass es so nicht weitergeht. Diesmal war unser Thema Leadership in einer transkulturellen Welt.

Über Silvester bin ich wieder auf Gut Frohberg, im BeFree-Silvester-Retreat. Da geht es um Liebe & Sex und darum, ob Mann und Frau einander verstehen können. Wieder mit einem Humorworkshop von mir und eventuell einem Update meines Kabarettstücks »Alles ist eins – und noch eins drauf«, das ich ein paar Jahre lang auf kleinen Theaterbühnen gespielt habe.

Können Mann&Frau einander verstehen? In einem weniger als zwei Minuten langen Film (wow!) zeigt der Filmemacher Jason Headley, dass es nicht geht 😇 (oder vielleicht doch?) und trifft damit wahrlich den Nagel auf den Kopf. 

Auch der Heiler und Komiker JP Sears, dessen Buch »How to be ultraspiritual« ich gerade übersetze, ist sehr komisch. Hier erklärt er in vier Minuten die Essenz der Ultraspiritualität

Zum Abschluss zwei Rumi-Lieder zum Schweben, vor Freude Weinen und Dahinschmelzen. Das erste ein Gedicht von ihm über seinen Lehrer Shams Tabrizi: Mein Weg zu Gott, gesungen von Natacha Atlas. Das zweite sein Gedicht der Atome, komponiert von Armand Amar, gesungen von Haroun Taboul & Salar Aghili.