»Genug ist genug! Deserteure aller Länder, vereinigt euch!«, möchte ich hineinrufen in die kriegerische Stimmung des Jahresendes 2024.

Obwohl hier auf der Nordhalbkugel gerade der Winter beginnt und wir uns in der Mitte der Dunkelheit befinden, erinnert mich vieles in der politischen Situation an den Sommer 1914. Da begann nach einem letzten schönen Sommer – immerhin für die Oberklasse der Kolonialmächte soll er ausnehmend schön gewesen sein – die Urkatastrophe des 20. Jahrhundert, der Erste Weltkrieg. Der dann zum Aufstieg Hitlers führte und 21 Jahre nach dem Ende Ersten in den Zweiten Weltkrieg mündete. Dem wiederum der Kalte Krieg folgte. Der bis zu Gorbatschows Friedensinitiative von 1989 auch einige heiße Kriege enthielt, u.a. in Korea und Vietnam. 

Aufrüstung wie immer im Namen des Friedens

Auch heute gehen der aktuell so brenzligen Situation Jahre der Aufrüstung voraus. Deutschland hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg insbesondere mit der Ostpolitik von Willi Brandt als Friedensmacht gezeigt. Nun wird dieses Land von Parteien geführt, die den Krieg mit Russland schüren. Wie immer bei Kriegsvorbereitungen werden sie unter der Überschrift »Verteidigung« geführt. Inmitten allseits steigender Rüstungsausgaben verlangt (nun auch) der deutsche »Verteidigungsminister« Kriegstüchtigkeit. 

Deutschland rüstet jedoch nicht nur innerhalb des eigenen Landes auf, mit immer höheren Zahlungen an die Bundeswehr. Es steigen auch die deutschen Waffenexporte und helfen so anderen Ländern Kriege zu führen und sich aufzurüsten. Gerade noch vor Ende des Jahres und Beginns der heißen Phase des Wahlkampfs gab der Bundestag in seiner letzten Sitzung vor Weihnachten Rüstungsexporte frei, die sich mit den bisherigen in 2024 zu 13,2 Milliarden Euro im ganzen Jahr addieren, so viel wie nie zuvor. Die Ukraine war auch 2024 mit genehmigten Ausfuhren im Wert von 8,1 Milliarden Euro das Hauptempfängerland dieser Exporte. Es wird jedoch auch das des Genozids angeklagte Israel weiterhin mit deutschen Waffen beliefert. (Quellen: Krautreporter, Statista, Tagesschau, Deutsche Welle).

Heute wieder: Eskalationsstufe hochrot

Helmut Kohls ehemaliger Sicherheitsberater Horst Teltschik sprach hier, sichtlich bewegt, schon im Juli 2019 über Europas Abkehr von Putins Russland. Die vom Westen gewollte Eskalation gegenüber diesem europäischen Land war ihm schon damals sonnenklar und die darin verborgenen Gefahren, und so referiert er hier über die damals von Willi Brandt, Helmut Kohl und v.a. Michail Gorbatschow initiierte so umsichtige Entspannungspolitik, in der auch Russlands Sicherheitsbedürfnisse einen Stellenwert hatten. Davon ausgehend beleuchtet Stefan Nold auf Globalbridge die heute, fünfeinhalb Jahre später, höchst brisante Situation. Die Chancen von damals sind verspielt worden, heute ist ein Nuklearkrieg wieder möglich: Der nächste Krieg kennt keine Gräber.  

Ist Russland unser Feind?

Ich habe hier im Blog schon so viel geschrieben über die heutige Kriegslüsternheit v.a. des Westens, der den Niedergang seiner globalen Bedeutung nicht akzeptieren will. Wer dem im Einzelnen nachgehen will, den verweise ich hier nochmal auf Globalbridge als eine m.E. sehr vertrauenswürdige Quelle mit Hintergrundinformationen zu Russland und der Entstehung der gegenseitigen Feindbilder. 

Nach dem Vergleich der heutigen Situation mit dem Sommer 1914 möchte ich noch auf zwei weitere historische Ereignisse veweisen. Zunächst auf J.F. Kennedys Umgang mit den 1962 auf Cuba stationierten sowjetischen Mittelstreckenraketen. Für ihn war diese Stationierung das Überschreiten einer roten Linie. Unter Verweis auf die Möglichkeit der gegenseitigen atomaren Vernichtung verlangte er den Abzug der Raketen. Chruschtschow lenkte ein und erklärte sich bereit, die Raketen zu entfernen, was einen atomaren Weltkrieg verhinderte. Kennedy wird bis heute für diesen Umgang mit der heute so genannten »Kubakrise« bewundert. Putins rote Linien hingegen, die dieser verstärkt seit 2014 gegenüber einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine immer wieder geäußert hatte, weil er dann dort auf Moskau gerichtete Mittelstreckenraketen hätte in Kauf nehmen müssen, wurden vom Westen ignoriert und führten so zum Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022. 

Als drittes hier noch der Hinweis auf das heute so friedliche Miteinander zwischen Deutschland und Frankreich im Elsass. Trotz »Verlustes« dieser ursprünglich deutschsprachigen Region für Deutschland. Kein Deutscher grollt heute Frankreich für die »Annexion« des Elsass. Wie leicht hätte in ähnlicher Weise die Ukraine das mehrheitlich russischsprachige und sich Russland kulturell zugehörig fühlende Donezbecken entweder als »autonome Region« föderal in der Ukraine halten oder an Russland abgeben können. So hätte dieser Krieg leicht verhindert werden können. 

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer

Vor allem wegen der sich konsequent Waffenlieferungen in Kriegsgebiete verweigernden Sahra Wagenknecht unterstütze ich im aktuellen Wahlkampf ihre Partei, das BSW, als die aus meiner Sicht einzige in Deutschland wählbare Friedenspartei.

Es ist eine Minute vor zwölf!, sagt auch der »Appell der 38« in Alices Schwarzers Zeitschrift Emma. Die Chancen auf Frieden sind noch nicht alle vertan, und doch: Es brennt! Ein Weiter-so im Blindflug der westlichen Allianz wäre auch aus meiner Sicht fatal.

Europa als Friedensmacht?

Immerhin fast achtzig Jahre lang war der Kontinent Europa überwiegend eine Friedensmacht und auch deshalb so attraktiv für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten. Kann diese Idee wiederbelebt werden? Das jedenfalls möchte der unabhängige Konfliktforscher und interkulturelle Trainer Leo Ensel und hat dazu ein Konzept entworfen. Seine Wissensschwerpunkte sind der postsowjetische Raum sowie Mittel- und Ost-Europa. Hierzu und zu »Angst und atomare Aufrüstung« hat er einiges veröffentlicht, auch zur Sozialpsychologie der Wiedervereinigung und den Deutschlandbildern im postsowjetischen Raum. Im neuen West-Ost-Konflikt beschäftigt er sich mit der Möglichkeit einer Deeskalation und Rekonstruktion des Vertrauens. Im Interview mit Pascal Lottaz spricht er über seine Vision eines friedlichen Europa. 

Wer Youtube nicht abonniert hat und deshalb dort von Werbung belästigt wird, kann sich Leo Ensels Konzept auch im Overton-Magazin anschauen und findet weitere Texte von ih auf Globalbridge. 

Deserteure aller Länder, vereinigt euch!

Auch in Israel gibt es Deserteure, schreibt die taz. Sie wollen die rassistische Grundhaltung der IDF (Israel Defence Forces, auch hier wieder findet man »Verteidigung« im Namen eines sehr aggressiven Militärs) gegenüber den Palästinensern nicht mittragen. Das erinnert mich an das Motto »Arbeiter aller Länder, vereinigt euch« aus dem Kommunistischen Manifest von 1948, das leider im August 1914 auch unter den Sozialisten Europas nicht zum Tragen kam, sonst hätte es den Ersten Weltkrieg nicht gegeben. 

Heute wünsche ich mir eine internationale Bewegung der Kriegsdienstverweigerung aller Länder unter dem Motto »Deserteure aller Länder, vereinigt euch!«. Auch die Arbeiter in China, deren führende Partei sich immerhin »kommunistisch« nennt, könnten ja auf die Idee kommen, gemeinsam mit den Arbeitern der USA ihre jeweiligen Waffenindustrie zu bestreiken … oh, ich fange an zu träumen: Yes, I have a dream!

Und jetzt konkret: Mag jemand hier in Deutschland eine NGO für die Deserteure aller Länder gründen? Wer könnte das machen? Für das Formelle einer solchen Gründung bin ich nicht der Richtige. Aber was die Bekanntmachung anbelangt, wäre ich mit dabei als passionierter, freudiger Katalysator. Vielleicht auch das BSW?