»Nie wieder Krieg!«
Wenn wir das wirklich wollen, müssen wir entsprechend handeln. Nicht nur im Bereich von Politik und Wirtschaft, also in der Außenwelt, sondern wir müssen auch uns selbst, die Agenten und Mitläufer berücksichtigen, unsere Innenwelten. Wir müssen radikal sein, das heißt bis an die Wurzel gehen, an den Ort in unserer Seele, wo Kriege entstehen. Der Ort, wo unsere Bereitschaft wurzelt, uns als Soldaten für Kriege einspannen zu lassen – oder auch, heute noch wichtiger – unsere Bereitschaft, uns als IT-Fachleute dafür einspannen zu lassen, Kriege vorzubereiten und sie dann von Robotern und Drohnen durchführen zu lassen. So wie Chelsea Manning und Edward Snowden sich hatten einspannen lassen, bis in ihnen Zweifel aufkamen an ihrem Job und sie schließlich – dem Himmel sei Dank – zu Whistleblowern wurden.
Ein weltweites Verbot von Waffen und Waffenhandel ist bitter nötig, heute mehr denn je, denn die heutigen Waffen sind tödlicher denn je und zudem umweltzerstörend, was letztlich auf die Selbsttötung unserer Spezies hinausläuft. Da sich Gewalt unter Menschen nicht ganz verhindern lässt, sollte es eine Polizei geben, eine u.a. in GfK bestausgebildete, nicht korrupte Polizei. Sie müsste gerade mal besser gerüstet sein, als die stärkste Mafia, aber auch nicht mehr. Kein Militär mehr, weltweit, so wie es Costa Rica schon jetzt uns vormacht. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir Pazifisten es immer wieder politisch einfordern, das ist der äußere Teil. Der innere Teil ist die psychische Arbeit, in diesem Falle die Konfrontation mit der in uns wohnenden Bereitschaft, uns auf so etwas Schreckliches wie einen Krieg einzulassen.
Wie soll das gehen?
Ich weiß wie, denn ich habe den »Auszug der Männer« erlebt.
Jahrtausende haben uns geprägt
In den von Regina Heckert geleiteten Tantra-Workshops gibt es eine Struktur, die wir den »Auszug der Männer« nennen. Für mindestens 24 Stunden trennen sich dort die Frauen und Männer. Sie verbringen ihre Zeit in verschiedenen Räumen, sprechen nicht miteinander und berühren einander nicht. Manchmal nennen wir diese Zeit der Trennung den Klostertag. Er symbolisiert aber nicht nur eine Einkehr ins Kloster, in die Stille und in die Welt des eigenen Geschlechts, sondern noch viele andere Vorgänge, die unsere Vorfahren in den Jahrzehntausenden unserer Kulturgeschichte erfahren haben, die in unserer Psyche bis heute gespeichert sind. Besonders der Beginn dieser Zeit der Trennung, der »Auszug der Männer« rührt mich jedes Mal zu Tränen.
55 Männer und 55 Frauen füllen den großen Raum auf Gut Frohberg, wo wir meistens unsere Tantra-Seminare abhalten. 110 erwachsene Männer und Frauen, von denen sich viele so gut kennen, wie vielleicht vor Jahrtausenden die Menschen in einem Stamm von dieser Größe. Mit einigen haben wir nur flüchtigen Kontakt gehabt, andere haben wir näher kennengelernt, in gemeinsamen Meditationen oder tantrischen Ritualen, einige waren oder sind Lovers oder Menschen, mit denen wir uns noch viel mehr Intimität und Liebe vorstellen können als sich bisher im Zusammensein ergab. Nun stehen die Frauen in einem äußeren Kreis, die Körper und Augen nach innen gewandt, die Männer stehen in einem inneren Kreis, Augen und Körper nach außen gewandt.
Es ist Abend. Wir sind auf diese Zeit der Trennung vorbereitet worden durch Worte, Musik, Meditation und vielleicht noch einige ‚letzte‘ Umarmungen am Nachmittag vor dieser Zeit der Praxis des Verzichts. Auch wenn es nur 24 Stunden sind, die wir aufeinander verzichten müssen, und obwohl die Zeit der Männer unter Männern und der Frauen unter Frauen eine ebenfalls sehr intime, meist überraschend erfüllende ist – die Trennung ist ein Verzicht, und ihr ritueller Beginn ist emotional aufgeladen. Es ist still im Raum. Vielleicht spielt leise eine uns sehr berührende Musik Lieder der Liebe, der Trennung, der Sehnsucht. Die Frauen stehen still, einander an Händen gefasst. Die Männer gehen langsam Schritt für Schritt voran, schweigend, so dass jeder Mann nochmal in die Augen von jeder der Frauen sehen kann, die er nun verlassen muss.
Damals …
Erinnerungen kommen auf aus Vorzeiten, in denen wir in den Krieg ziehen mussten. Wir Männer mussten unsere Mütter und Schwestern, Kinder, Frauen und Geliebte, unseren ganzen Stamm verlassen, weil unser Volk bedroht war durch eine feindliche Kraft oder weil ein mächtiger Herrscher das von uns verlangte. Vielleicht auch, weil wir es als unsere männliche Pflicht empfanden, Heldenmut zu zeigen, unser Volk zu schützen, oder weil ein Raubzug für den Stamm oder unser Volk große Gewinne versprach. Oder weil der Häuptling oder König allen, die sich diesem Aufruf entziehen würden, mit dem Tod gedroht hatte. Wir Männer müssen gehen, wir lassen unsere Frauen zurück, und keiner von uns weiß, ob er lebend zurückkommen wird. Vielleicht ist dies das letzte Mal, dass du in diese schönen Augen schaust, diesen Menschen siehst, den du liebst, geliebt hast oder gerne lieben würdest, der dich in seinem Schoß geborgen hat oder durch dich in die Welt kam oder mit dir im selben Nest aufgewachsen ist.
Wessen Herz nicht aus Stein ist, muss in einer solchen Situation weinen. Manche Männer halten ihre Tränen zurück, andere sind am Schluchzen, keiner ist unberührt. Ebenso die Frauen. Sie sehen ihre Männer gehen, ihre Geliebten, Kinder oder Brüder, ihre Väter, Onkel und Cousins. Alle müssen gehen, sie können sie nicht zurückhalten, und vielleicht werden sie sie nie wiedersehen. Vielleicht singen die Männer dabei oder summen nur und gehen langsam, einer nach dem anderen, aus dem Raum.
Heilung
Wer diesen Auszug der Männer mitgemacht hat, kann nicht mehr in den Krieg ziehen und auch kein Militär mehr unterstützen. Ein tiefer Widerwille, eine Abscheu gegen alles Martialische, gegen jedes Kriegsgeschrei und die Dämonisierung oder Entmenschlichung von Feinden verbleibt in denen, die solch ein Ritual mitgemacht haben. Es ist ja nicht nur ein Ritual, das irgendeine vielleicht geniale Seminarleiterin entworfen hat, die uns damit in tiefe Gefühle bringen will. Es ist das Erbe aus Jahrtausenden, das wir noch in uns tragen, so als hätten unsere Zellen es gespeichert und jede persönliche Trennung, aber auch jeder absurde politische Aufruf zur Rettung des Vaterlandes würde das in uns wachrufen können. Das Ritual kann es wachrufen, bewusst machen und heilen. Es kann uns davor bewahren, die Dummheiten von Jahrtausenden zu wiederholen und so auch unseren Kindern und Kindeskindern dieselbe zerrissene Welt zu hinterlassen, vergiftet von entwürdigenden Vorurteilen, zerteilt in Fraktionen, Parteien, Staaten und religiöse oder ideologische Lager.
Wir müssen damit Schluss machen, damit es nie wieder Krieg gibt. Erst wenn keiner mehr hingeht, gibt es keinen Krieg mehr. Erst wenn keiner mehr sich durch nationalistische Aufrufe mehr fanatisieren lässt, gibt es keinen Krieg mehr. Erst wenn ausreichend viele von uns in einem Ritual wie diesem Auszug der Männer so tief emotional erschüttert wurden, dass die Konsequenzen daraus auch unseren Verstand erreicht haben und unser politisches Handeln, wird es keinen Krieg mehr geben.
Was soll ich sagen? Es wäre schön, wenn’s so einfach ginge. Doch die Konditionierung von kleinen Jungen zu späteren Kampfmaschinen beginnt noch vor der Geburt, wenn unsere Eltern entscheiden, wer wir sein werden. Dann kommen Erziehung, soziales Umfeld, Schule, Beruf, Wettbewerb. Da wird das Fundament gelegt. Ein langer Prozess sozialer und psychologischer Deformierung. Die geistige Verwüstung ist Voraussetzung für die potenzielle Verwüstung der Außenwelt. Außerdem hat Kriegsführung heute einen völlig anderen Charakter. Cyber-Angriffe und präzise Drohnen-Schläge machen Armeen überflüssig. Außerdem ist es naheliegend, in dem, was Lehrpläne, Internet, Pharmaindustrie, digitale Killerspiele, Kommerz-TV, materielle Verelendung oder Modeindustrie anrichten, eine pervertierte Form… Weiterlesen »
Lieber ReinO, danke für deinen so genauen, ausführlichen und meinen Blogeintrag gut ergänzenden Kommentar. Auch wenn es „nicht so einfach“ ist, müssen wir doch vereinfachen, meine ich, immer wieder. „Make love, not war“, erscheint mir in der Hinsicht immer noch als eine gute Devise. Krieg ist heute anders, aber nicht völlig anders. Auch heute noch kann man mit Hetze und Parolen Menschen umdrehen – siehe die USA, den Kongo, Kamerun, die arabischen Länder, die Türkei, Brasilien, die Philippinen, und so weiter. Roland D. Laing schätze ich sehr. Das Zitat von ihm, das du da anbringst, ist gut formuliert, wenn auch im… Weiterlesen »
Schöner, berührender Ansatz.
Weitergefühlt…
Wir sollten ein bundesweit koordinierten „Wachstums“-Moratorium Tag ausrufen und alle Erwachsenen auffordern, ihren kriegerisch-zerstörerischen Beitrag zur „kapitalistischen Maschinerie“ einen ersten Tag ruhen zu lassen. Radikal, gegen alle mammon-gemachten Gesetze, Vorschriften und Androhungen.
Es sind ja nicht die paar mit Waffen ausgerüsteten Soldaten, sondern es ist die „soldatisch“ anmutende Masse des globalen Kriegsheeres gegen die gesunde Zukunft aller!“
Wer ist dabei?