Ein wissenschaftliches Erklärungsmodell, das »Unbegreifliches« enthält, landet irgendwann auf der Deponie überholter Ideen. Bei den Theorien der Geschichtswissenschaften zur Person von Adolf Hitler scheint dieser Zeitpunkt jetzt gekommen zu sein.

Zu den jeweiligen Jahrestagen berichten wichtige deutsche Medien wie etwa Der Spiegel gerne in groß aufgemachten Artikeln über die Herrschaft Adolf Hitlers. Kommt der Bericht auf den Führer selbst zu sprechen, so wird der Ton spätestens hier abschätzig bis sarkastisch. Diesen Mann kann man nicht ernst nehmen, wird dem Leser vermittelt. Der Adlerblick, mit dem der Artikelschreiber die Ereignisse von damals durchschaut, erkennt auch aus großer Entfernung wie lächerlich und grotesk dieser Hitler gewesen ist. Gleichzeitig erfährt man, dass ausgerechnet dieser Politclown in der Lage war, Dinge anzurichten, die alles in den Schatten stellen, woran sich die Menschheit erinnern kann. Und das in nur zwölf Jahren Regierungszeit. Ein Wort darf dabei niemals fehlen: »unbegreiflich«.

An dieses Wort sind wir im Zusammenhang mit Hitler inzwischen derart gewöhnt, dass uns das nicht mehr auffällt. Ja, es erscheint geradezu geboten zu sein. Kommt das Gespräch auf Hitler, dann ist ein ungläubiges Kopfschütteln die gesellschaftlich allgemein akzeptierte Reaktion. Wenn Fachhistoriker bei einschlägigen TV-Dokus zu Hitlers Person Stellung nehmen sollen, verdrehen sie oft die Augen oder zucken mit den Schultern. Als Wissenschaftler haben sie eigentlich die Aufgabe, Unbegreifliches begreifbar zu machen. Das haben die Historiker in der Vergangenheit auch unermüdlich versucht, und sie versuchen es bis zum heutigen Tag. Doch die Aufrichtigen unter ihnen müssen eingestehen, dass ihr Erklärungsmodell gravierende Widersprüche enthält, und dass Hitler letztlich eben doch »unbegreiflich« bleibt.

Würde die Sonne morgens an derselben Stelle aufgehen, an der sie am Abend zuvor untergegangen ist, dann wäre das ebenfalls unbegreiflich, solange die Lehrmeinung der Astronomen besagt, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Natürlich würden die Astronomen versuchen, ihre Theorie der Himmelsmechanik mit den empirisch gesammelten Daten in Einklang zu bringen. Ihr Erklärungsmodell würden sie zu stützen versuchen, indem sie zusätzliche Hypothesen, Behauptungen und Spekulationen einführen. Diesen Weg ist die Hitlerforschung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges gegangen und hat so versucht, »das Unbegreifliche« aus dem Weg zu räumen. Aber mehr als ein Übertünchen ist dabei nicht herausgekommen. Das Unbegreifliche weigerte sich hartnäckig zu verschwinden. Was bleibt, ist, eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Diese wäre das eigentlich wissenschaftliche Vorgehen: Man untersucht vorrangig die beobachtete Anomalie, diesmal ohne Kopfschütteln, und kommt auf dieser Grundlage zu einem neuen Erklärungsmodell.

Das Buch Hitler – die wenig bekannten Fakten von Claus Hant tut genau das: Hier steht »das Unbegreifliche« im Zentrum. Ausgangspunkt sind die von den Geschichtswissenschaften gesammelten Daten und Fakten. Diese werden aus einer neuen und ungewohnten Perspektive hinterfragt, bewertet und zueinander in Beziehung gesetzt. Dadurch erhellen sich Zusammenhänge, die bislang nicht zu erkennen waren, und in Bezug auf Hitlers Persönlichkeit entsteht ein neues Narrativ. Die Frage »Warum ausgerechnet er?« verwandelt sich in die Gewissheit, dass »nur er und kein anderer« in der Lage gewesen ist, all das auszulösen und zu bewirken, was sich heute mit dem Namen Adolf Hitler verbindet. Die Ereignisse und ihre Entwicklung lassen einem zwar immer noch das Blut in den Adern gefrieren, aber »unbegreiflich« erscheinen sie nach der Lektüre des Buches nicht mehr.