Schweigen ‚die Medien‘ über ‚die Macht‘? Julian Assange sitzt im Gefängnis, Edward Snowden versteckt sich im Exil. Wer wagt es, über den Elefanten im Raum zu sprechen? Oskar Lafontaine und Sarah Wagenknecht meinen, mit dem US-Imperialismus den Elefanten im Raum gefunden zu haben und bekommen dafür viel Gegenwind. Ich bewundere sie dafür, dass sie das aushalten und sich nicht den Mehrheiten anpassen, denn auch Mehrheiten können sich irren.
Der ehemalige Financial Times Journalist und Direktor des britischen Zentrums für Investigativjournalismus Matt Kennard nennt das Verhalten der USA Wirtschaftsimperialismus. Warum steht solch eine, wie ich finde sehr fundierte Kritik, nicht in Spiegel, ZEIT, SZ und FAZ, sondern nur auf den Nachdenkseiten? Denen von den sich »seriös« nennenden Medien eine gefährliche Nähe zu Verschwörungsideologien attestiert wird, weil sie in ihren Berichten über den Ukrainekrieg und die Coronapandemie vom Mainstreamtenor abgewichen sind. Für verunsicherte Tagesschau-Gucker bedeutet diese Beurteilung: Hände weg, Augen weg, Giftkiste.
Sind wir heute ängstlicher?
Sind wir denn heute ängstlicher, gegen den Mainstream zu opponieren? Es sei in den letzten Jahren schlimmer geworden, höre ich seit ein paar Jahren in Kreisen befreundeter Journalisten immer öfter. Irren ist menschlich, das war schon immer so. Wir sind täuschbar, manipulierbar. Aber ist dieses Irren heute schlimmer denn je, obwohl wir heute mehr Informationsquellen zur Verfügung haben als je? Und wenn dieser Eindruck des »Heute ist es schlimmer« nicht täuscht: Woran liegt’s? Das Bedürfnis sich der herrschenden Masse anzupassen gab es doch schon immer.
Vielleicht ist es die Furcht vor Shitstorms im Web. Früher war ein Shitstorm im Dorf, in der Kleinstadt, im Kiez, in der Clique oder Firma nicht so schlimm; davon konnte man sich zurückziehen in ruhigere Gewässer. Wer jedoch heute einen Shitstorm auf Instagram oder Facebook bekommt, wird davon überall hin verfolgt, weil wir ja überall unser Handy mitnehmen, wir sind mit ihm enger verbunden als mit unseren Lebenspartnern.
Bellizismus, Pazifismus
Der ehemalige Militärberater von Angela Merkel, Brigadegeneral Erich Vad, nennt den Ukrainekrieg einen Abnutzungskrieg ohne klare militärische Ziele. Ähnlich wie übrigens auch Generalstabschef Mark Milley, der höchstrangige Militär der USA. Die Deutschen sind mehrheitlich gegen Waffenlieferungen, die führenden Politiker des Westens und die hiesigen Mainstream-Medien hingegen befürworten sie, was ihre Länder zu Kriegsparteien macht. Weil Erich Vad mutig dagegen hält, darf er nur in der Emma publizieren. Auch hier wieder: Das Bedürfnis mit dem Mainstream konform zu gehen, um nicht als Abweichler Shitstorms erleben zu müssen, oder Schlimmeres, scheint auch mir heute ungewöhnlich stark zu sein.
Persönlichkeiten wir Martin Luther King und Nelson Mandela werden heute gefeiert, für viele sind sie ein Vorbild. Zu ihren Lebzeiten aber war das überwiegend anders. Mandela aber saß für seine Überzeugungen 27 Jahre im Gefängnis, und Martin Luther King wurde erschossen. Nun hoffe ich, dass Erich Vad, Oskar Lafontaine, Sahrah Wagenknecht und Eugen Drewermann, die ja immerhin gehört und gelesen werden, es leichter haben werden als Mandela und King. Und dass Whistleblower wie Assange und Snowden freikommen und für ihren Mut gefeiert werden, so wie Mandela und King.
Anschlussfähigkeit
Das Mitlaufen mit der Herde wird heute gerne »Anschlussfähigkeit« genannt. Coaches raten uns ja heute generell, unsere Zielgruppen dort abzuholen, wo sie sind. Zweifellos ein kluger Rat! Wenn wir unsere Zielgruppen jedoch aus Mangel an Mut dort lassen, besteht in den Augen des Militärexperten Erich Vad Gefahr, dass wir, so wie Deutschland im Sommer 1914, wieder in einen verheerenden Krieg rutschen, dessen ‚rationale Gründe‘ danach, wenn alle ausgeblutet sind, keiner mehr verstehen kann.
Auch dieser MDR-Kommentar gegen Panzerlieferungen an die Ukraine (ein 5 min Audio, noch bis 2.2. im Netz) war für die mitteldeutsche ARD-Redaktion offenbar ein bisschen peinlich, sodass sie sich dann von ihrer Autorin distanzierte. Distanzieren musste?
Die ARD-Sendung Monitor im Feb 2019 über die Militärstrategie der USA unter Donald Trump und John Bolten hingegen zeigt unmissverständlich und ohne Distanzierung von Seiten der Redaktion, dass die USA, obwohl heute wie damals mit Abstand stärkste Militärmacht der Welt, in den letzten Jahren der Haupttreiber des Wettrüstens waren. Keine Frage, dass Russland sich umzingelt und bedroht fühlen musste. Auch der politische Falke und ehemalige Außenminister der USA Henry Kissinger wusste das und empfahl eine Abspaltung der Krim und des Donezbeckens, zusammen mit der Zusage an Russland, dass die Ukraine nicht in die Nato aufgenommen würde. Der Ukrainekrieg wäre auf diese Weise leicht zu vermeiden gewissen. Putin war übrigens, entgegen dem hiesigen Medien-Mantra, immer mal wieder durchaus bereit zu Verhandlungen und ist das vermutlich auch jetzt noch. Die Westmächte waren und sind es, die das blockierten. Beispiel: das Getreide-Abkommen mit der Türkei, das im vergangenen Jahr die Ausfuhr des ukrainischen Getreides über den Bosporus ermöglichte und das Minsker Abkommen von 2014. Aber auch eine Befragung der Bevölkerung in den mehrheitlich russischsprachigen Teilen der Ukraine (Krim und Donezbecken), abgesichert durch internationale Beobachter, wäre möglich gewesen. Der Westen war es, der das nicht wollte.
Übrigens zeigt die oben verlinkte ARD-Sendung vom Februar 2019, dass keineswegs alle großen Medien des Westens »gleichgeschaltet« sind. Es gibt sie noch, die kritischen Berichte. Sie sind nur seltener geworden, scheint mir, und die Macht der Herde, das Bedürfnis mitzuheulen mit den Wölfen – heute z.B. mit den Bellizisten – ist größer geworden.
Witzig fand ich diese Überschrift im täglichen Newsletter der SZ, der an einem Januartag in meine Mailbox fiel und mir SZ-Newsletter-Abonnenten gegenüber nicht einmal korrigiert wurde:
Fakt ist: Lula versucht gegenüber den Bolsonaro-Anhängern die Demokratie Brasiliens zu retten, nicht die Russlands. Aber Feind ist Feind, am besten man vermanscht sie alle zu einer einzigen Figur mit nur einem Gesicht: ‚Unser‘ heutiges Gesicht des großen Widersachers (»Satan« nennen ihn die Abrahamiten) ist eben Putin.
Rettet uns die Wissenschaft?
Einerseits habe ich die Hoffnung auf die Wissenschaft in ihrer Fähigkeit zwischen Fakt und Fiktion zu unterscheiden noch nicht aufgegeben. Die Wissenschaft jedoch ist weitgehend sprachblind. Sie versteht viel zu wenig, wie sehr Sprache das Dargestellte färbt und interpretiert. Und noch wichtiger als dieses Sprachblindheit ist die Auswahlblindheit: Die Auswahl dessen, was überhaupt dargestellt wird, färbt unser Weltbild noch machtvoller als der kaum vermeidliche Bias (Vorurteil) durch die Auswahl der verwendeten Begriffe.
Manche spotten deshalb schon über die »schwarzen Löcher« der Wissenschaft, in den die weitaus größte Masse der Fakten, die es überhaupt gibt, sich versteckt. Von den schwarzen Löchern im Universum dringt kein Licht nach draußen, weil die Gravitation dort so stark ist, dass sogar das Licht, verstanden als Partikel, also Masse, davon ins dunkle Zentrum der Macht eingesogen wird. Astronomen sprechen von mehr als 90 % der Masse des Universums, die sich in den schwarzen Löchern versteckt. Was wir nachts am Sternenhimmel sehen und mit unseren Teleskopen ist weniger als 10 %.
Kompetenz, Inkompetenz, Weisheit
Immerhin produziert die Wissenschaft einiges an Wissen über die schwarzen Löcher und über sowas wie den Dunning Krüger Effekt. Über diese »kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen« (dt. Wikipedia), sagt einer ihrer Erforscher: »Wenn man inkompetent ist, kann man nicht wissen, dass man inkompetent ist«, denn »die Fähigkeiten, die du benötigst, um eine richtige Antwort zu geben, sind genau die Fähigkeiten, die du benötigst, um zu erkennen, was eine richtige Antwort ist.«
Was, wenn die höchste Kompetenz dazu führt, mit Sokrates zugeben zu müssen: »Ich weiß, dass ich nichts weiß«, oder mit Buddha zu schweigen?
Ich protestiere! Denn das hieße, den Inkompetenten die Gestaltung der Welt zu überlassen.
P.S. Eine Leserin meines Facebook-Accounts, auf dem ich zu diesem Blogeintrag verlinkt hatte, verwies mich auf die leidenschaftliche Rede der Kabarettistin Lisa Fitz zum Ukrainekrieg.
Und dann fand ich soeben auf sonnenseite.com die „realpazifische Position“ von Franz Alt Wir brauchen mehr Putinversteher. Der ich insofern zustimme, als ich Selbstverteidigung generell für richtig halte, nicht aber Waffenlieferungen ohne ein Konzept zur Abrüstung. Mit Helmut Kohls Worten: „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen“, die er einst dem Slogan der Friedensbewegung „Frieden schaffen ohne Waffen entgegengesetzt hatte.
P.P.S. vom 31.1.: Ich freue mich, soeben im Berliner Tagesspiegel zu lesen, dass Scholz bei seinem Besuch in Brasilien von Lula keine Unterstützung für die Lieferung von Panzermunition bekommt. Lula sagt, er wolle in diesem Krieg nicht Partei ergreifen. Beide Seiten seien für diesen Krieg verantwortlich, und er bietet an, dass Brasilien, zusammen mit anderen Ländern, bereit sei Friedensgespräche zu moderieren. Bravo, sage ich! Scholz, Biden und die NATO schüren den Krieg, Lula lässt sich nicht darauf ein, das ist ein gutes Zeichen für den Frieden. Übrigens ergreift auch Indien meines Wissens in diesem (beinahe) ‚Weltkrieg‘ nicht Partei.
P.P.S. vom 1.2.: Noch einer, der vor Waffenlieferungen an die Ukraine warnt und darin die Gefahr einer Eskalation bis zum 2. Weltkrieg sieht, ist der im Westen sehr geschätzte Intellektuelle Noam Chomsky.
Lieber Wolf, Danke für diese tiefgehende Themensetzung. Ich muss dir allerdings rückmelden, dass ich deine Gedanken(gänge) diesmal als teils chaotisch hüpfend bzw. wenig stimmig für mich empfinde. Der Rote Faden fehlt mir. Besonders stößt mir auf, dass die ARD Redaktion entgegen deiner Allgemein-Kritik an ihr ja tatsächlich nur einen Aspekt aus dem besagten Kommentar selbstkritisch beleuchtet hat – nämlich die für „vielleicht inkompetente“ Menschen halblebige Unterstellung, Frau S.Z. wäre korrupt und käuflich – und du dies aber nicht klar so wiedergibst. Das geht einfach nicht. Beides nicht. Da steckt für mich Achtlosigkeit drin. Gehört eigentlich „verächtlich“ zur selben Wortwurzel? Da… Weiterlesen »
Lieber Markus, zu deinem für mich ein bisschen kompliziert klingenden Kommentar jetzt nur dies: Frau S.Z., damit meinst du wahrscheinlich die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des deutschen Bundestags. Ihr eine Nähe zur Rüstungsindustrie zu unterstellen ist sicherlich nicht weit hergeholt. Bei Äußerungen wie dieser, die ich gerade in der deutschen Wikipedia fand: „Was wir brauchen – das mag martialisch klingen – Sie brauchen, um aus Sicht der Bundeswehr zu agieren, ein Feindbild“. Ja, das klingt martialisch. Bei all den kriegerischen Äußerungen von ihr in den vergangenen Jahren (seit 2017 ist sie im Bundestag, seit 2021 leitet sie den Verteidigungsausschuss), ist sie… Weiterlesen »
Lieber Wolf, in meinem „Hirn“ bin ich voll bei Dir und Deinen „vermutenden Tatsachen“. Dies aber öffentlich zu behaupten, sprich ihr ohne Hard Facts zu unterstellen, zumal mit unlauteren Motiven dazu, würde ich aber persönlich unterlassen. Und ich finde, ohne Faktenlage dahinter, sollten das gerade und vor allem die Mitarbeiter*innen der ÖR in Deutschland tun. Und solange das so bleibt, kann ich auch völlig entspannt in diesem Land weiterleben. Alles andere fände ich sehr beunruhigend. Wenn diese Bastion irgendwann fallen sollte, werden wir womöglich auch in einem Land aufwachen, in dem AfD und Werteunion 40% und mehr der Wählerstimmen abgreifen.… Weiterlesen »
Wolf, ich stimme, dir einerseits zu: unbedingte Bemühung um Verhandlungen. Andererseits kuschen die Europäer seit Jahrzehnten vor der Weltmacht USA und beten Lobeshymnen zur „Demokratie“. Wir machen uns also schon lange mitschuldig an den Gewaltexzessen des Hegemon. Nachdem sich bis vor kurzem die Grünen noch „friedensbewegt“ gaben, zeigen sie in der Ampel endlich ihre bisher verborgene Seite. Hoch lebe der Krieg! Denn die Grünen haben zum Beispiel nie den Kopfschuss ihrer Friedenstaube Petra Kelly durch einen General bearbeitet. Mir ist momentan auch vieles unklar, aber vielleicht schweigen derzeit so viele von uns, weil wir/sie wissen, ihre Bequemlichkeit, unser Wohlstand ist… Weiterlesen »
Investitionen müssen sich lohnen 2014 hatte das zögerliche Verhalten der EU-Politiker fast die Investition der USA von fünf Milliarden US$ in die Destabilisierung der Uktaine gefährdet. Victoria Nuland hat das öffentlich und medienwirksam kommentiert: »Fuck the EU.« Alle Angebote von Russland an die EU, den Frieden zu wahren, wurden zurück gewiesen. Dabei sind die USA gar nicht an der Ukraine selbst interessiert, die ist »nur« ein Kollateralschaden. Ihr Ziel ist Russland, das sie nach Jelzin nicht mehr ausplündern durften. Zu Weihnachten 2022 brachte Santa noch mal 45 Milliarden US$ für die Ukraine. Kriege werden allgemein nicht durch Waffen beendet, sondern mit… Weiterlesen »
Hi, Wolf, danke für Deinen Klartext-Blog! Unsere Übereinstimmung nähert sich in diesem Fall tatsächlich der 100%-Marke. Ich darf allerdings auch daran erinnern, dass wir diesen hermetisch gleichgeschalteten Mainstream-Medien-Block ähnlich während der Covid-Maßnahmen zu spüren bekommen haben. Widerwärtige Hetze gegen Ungeimpfte, plumpe Löschexzesse und eine beispiellose Selbstgerechtigkeit waren an der Tagesordnung. Wie viele Schauspieler, singende Revoluzzer, die mal eben ihre Glaubwürdigkeit ruiniert haben, Autoren und Wissenschaftler haben sich freiwillig und ohne Not vor diesen Karren spannen lassen! Reue? Fehlanzeige. Feine Haarrisse in diesem Betonblock zeigen sich erst jetzt, nach drei Jahren, wo eigentlich eine Abrissbirne notwendig wäre. Warum finden wir das… Weiterlesen »
Diesen Leserbrief hab ich an viele mir bekannte deutschsprachigen Medien versandt: Konfliktlösung üben für den Frieden Konfliktlösungs-Möglichkeiten auch zwischen Staaten sollten in Politik und Medien mehr zu Wort kommen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, daß Konflikte zu allseitiger Zufriedenheit gelöst werden können: 1987-1996 hab ich das Ökodorf „Lebensgarten Steyerberg“ bei Hannover mit aufgebaut. Dort gibt es seit Beginn eine „Streitschule“ (genauer: Schule für Verständigung & Mediation). Gegründet von einem ehemaligen Rechtsanwalt, der keinen Sinn mehr darin sah, ständig eine Partei gegen die andere zu vertreten, sondern Konflikte wirklich lösen wollte – was sowohl innerhalb als auch außerhalb des Ökodorfs oft… Weiterlesen »