Gesellschaften werden von Narrativen zusammengehalten und zur Kooperation befähigt. Damit das gelingt, braucht das Narrativ nicht wahr zu sein, es ist nur nötig, dass eine ausreichende Anzahl im Kollektiv daran glaubt und der Rest nicht durch seinen Unglauben die Kooperation stört. Die religiösen und nationalen Festtage sind Beispiele für solche bindenden Narrative. Auch das soeben wegen Corona weitgehend ausgefallene christliche Fest Ostern: Um dabei mitzufeiern, brauche ich nicht an die Auferstehung Christi zu glauben, und auch nicht an Osterhasen. Der Glaube daran hilft einigen beim Feiern, die anderen stört er immerhin nicht.
Nun hält sich fast ganz Deutschland an die Regeln, die von Dr. Drosten & Co ausgegeben werden, um das nationale Kollektiv vor Ansteckung durch das Corona-Virus zu schützen. Auch ich halte mich daran und sehe keinen Sinn darin, sich dem zu widersetzen. Ich bin allerdings auch in diesem Fall kein gläubiger Anhänger des bindenen Narrativs. Auch Drosten selbst versteht seine Empfehlungen anscheinend weniger als Wahrheit denn als das zur Zeit bestmögliche Verhalten zum Wohle aller. Wer würde jetzt schon in der Haut eines Chef-Virologen Deutschlands stecken wollen? Ich nicht. Falls das Virus sich als weniger gefährlich erweisen sollte als befürchtet, wird den (Über)vorsichtigen unter den Virologen doch die Schuld am entstandenen wirtschaftlichen Schaden gegeben.
Seit Februar hat sich gegen den Mainstream von Drosten & Co eine Opposition gebildet. Wolfgang Wodarg fing bei uns damit an, es kamen Stephan Hockertz, Sucharit Bhakdi, Karin Mölling, Bodo Schiffmann, John Ioannidis, Hendrik Streeck und einige andere hinzu (in welcher Reihenfolge auch immer).
Das Meta-Faktische
Wer hat recht, der Mainstream oder die Abweichler? Ich schlage vor, die Geschehnisse mal im Licht der Frage zu betrachten: »Welches Narrativ führt hier – wen, wann und wo – und wohin führt es?« Dann ist der Streit zwischen Mainstream und Opposition kein Jihad mehr um den Besitz der Wahrheit, sondern ein Disput um die angemessenste Interpretation von Fakten. Im Fall von Corona-Mainstream-Befürwortern und Corona-Lockdown-Gegnern sind ja die Thesen beider Seiten durch Fakten belegbar oder wenigstens unterfütterbar (für Donald Trumps und Jair Bolsonaros Thesen gilt das allerdings nur ausnahmsweise). Sehr unterschiedlich hingegen sind Selektion und Aufbereitung der Fakten. Beide Seiten verwenden ein gewisses Maß an Sprachmagie, was wohl (oder übel) unvermeidlich ist. Aus den Millionen verschiedener durch Fakten belegbarer Thesen lassen sich immer mit einigem Geschick ebenso viele überzeugende Narrative basteln. »Sagen, was ist«, das Grundmotiv des SPIEGEL, führt uns auch in diesem Fall nicht zu einer Lösung, denn es suggeriert, dass ein tatsächliches Geschehen nur in einem wahrhaftigen Bericht wiedergegeben werden kann, der »sagt, was ist«. Der Fall Claas Relotius hat die Anfälligkeit des SPIEGEL und vieler anderer für diesen Glauben gezeigt.
Schon im November 2016, kurz nachdem Donald Trump zum Präsidenten der USA gewählt worden war, schrieb Matthias Heine auf welt.de spöttisch über das Narrativ als einen aufkommenden Begriff, der in unserer Sprachkultur gerade boomt. Mag er ruhig spotten – ich kann diesem sich bis heute fortsetzenden Boom viele positive Seiten abgewinnen, er lässt mich hoffen.
Ursula von der Leyen möchte nun im »Kampf« gegen die Narrative der Opposition Fake News verbieten. Dieser Jihad wird nicht gelingen. Vieles, was im Netz kursiert, ist tatsächlich Fake und schadet, da hat sie recht. Der Großteil der gegen den Corona-Mainstream entstandenen Opposition bezieht sich jedoch nur auf eine andere Darlegung derselben Datenbasis. Und weil ich hier eben »Jihad« sagte: diesen Begriff aus dem Koran kann man auch – seien wir doch mal positiv auch hier – als die ewige Suche des Menschen nach der Wahrheit verstehen. Wahrheit ist eben nicht nur ein Narrativ. Ich muss wohl nicht hinzufügen, dass ich gewalttätige Jihadisten verabscheue. Aber auch Rechthaber, die nur verbale Gewalt und Einschüchterung anwenden sind eine Geißel der Menschheit.
Hier noch ein paar hilfreiche Tipps von Markus Knauff auf zeit.de über Fake- und Non-Fake-Findung auch in Corona-Zeiten.
Ich- und Wir-Kunstwerke
Der Historiker Yuval Harari zeigt sich in seinen Büchern, Interviews und Youtube-Auftritten als ein herausragender Analytiker der Macht des kulturschaffenden Narrativs. Nicht nur Demagogen und religiös geführte Menschen schaffen kulturell wirksame Narrative, folgen und erliegen ihnen, sondern auch Wissenschaftler, das schrieb ich schon im vorigen Rundbrief. Gut möglich, dass das DER große blinde Fleck der Naturwissenschaften (science) ist. Wenn ich aus meinem 40-jährigen Studium und der Praxis der asiatischen Weisheitslehren eines habe mitnehmen können, dann am ehesten das: Unsere soziale Identität ist eine Fiktion. Sie ist ein Kunstwerk. Das gilt für Ich- ebenso wie für Wir-Identitäten, für Nationen und Kollektive, Firmen und soziale Strukturen aller Art. Narrative sind das, was diese Fiktionen innerlich zusammenhält und sie äußerlich miteinander verbindet.
Politik, Spirit, Umwelt und Kunst
Auch in Corona-Zeiten gilt: Feminismus ist wichtiger denn je, sagt Franz Alt auf der sonnenseite.com. In sechs Ländern, die von Frauen regiert werden (mit ca. 100 Millionen Einwohnern), geht es den Menschen relativ gut, in sechs Ländern, die von Männern regiert werden (mit ca. zwei Milliarden Einwohnern) relativ schlecht.
Charles Eisenstein schrieb schon am 25.3. geradezu hellsichtig über den Corona-Schock. Seine Interpretationen setzen die Krise in einen größeren Kontext und helfen so, sie zu verstehen. (Am Ende der deutschen Übersetzung findet ihr den Link auf das englische Original.)
Bemerkenswert auch Juli Zehs mahnende Erinnerung an den Wert der Grundrechte auch »in Zeiten wie diesen«.
Am 20.3. ist Willigis Jäger im Alter von 95 Jahren gestorben. Dieser feinsinnige und mutige Mensch wird von der Geschichte nach uns wohl mal als Vorläufer einer transpersonalen und transreligiösen Spiritualität und Religiosität gefeiert werden, einer Religiosität, wie das 21. Jahrhundert sie braucht. In diesem Text fasst er sein Verständnis einer transkonfessionellen Spiritualität zusammen.
Was darf Humor? Er darf auch Kultfiguren durch den Kakao ziehen, meine ich und bestehe darauf, schon deshalb weil uns das vor autoritären Verirrungen sehr fundamental bewahrt. Behutsam und umsichtig die Regeln einhalten darf und sollte man nichtsdestotrotz, es gelingt dann sogar leichter.
Neben den Lungen der Covid-19-Infizierten auf den Intensivstationen sollten wir auch die Lunge von Gaia nicht vergessen: Die Abholzung am Amazonas nimmt weiterhin zu und liegt 2020 auf einem Rekordhoch.
Wann kommt die nächste Epidemie? Wenn wir weiterhin so wie bisher mit der Natur umgehen, wird die nächste bald kommen, sagen Wissenschaftler.
Der Sufi-Musiker Dieter Halbach und Sängerin Laura Büning haben eine tief berührende CD rausgebracht mit Liebesliedern aus dem KZ.
Mein Kleines Lexikon esoterischer Irrtümer gibt es jetzt endlich auch als E-Book, für 2.99 €. Bei Erscheinen 2008 gab es dazu 80 Interviews, Rezensionen oder Erwähnungen in Web, Print und Radio. Die Redaktion des Heute Journals (ZDF) wollte das Erscheinen sogar als Tagesnachricht bringen; der Chef lehnte dann aber ab, wegen mangelnder politischer Relevanz, hieß es. So saß das Buch von Anfang an zwischen den Stühlen. Den Befürwortern von Esoterik ist es zu humorvoll, den Gegnern nicht hämisch genug.
Noch eine weitere wichtige Neuerscheinung ist das Buch der ehemaligen Google-Managerin, Yoga- und Meditationslehrerin Mounira Latrache, die sich nach ihrer Zeit bei Google mit »Connected Business« selbstständig gemacht hat. Ich überredete sie, drei Jahre ist das her, zu ihrer Vision und ihrem Business ein Buch zu schreiben und begleitete sie dabei bis zum Schluss. Nun könnt ihr es bestellen: Connected Businesss – wie ich gelernt habe, mich selbst und andere zu führen. Zu verstehen, dass wir connected sind, war für uns Menschen schon immer wichtig, jetzt erst recht.
Hier noch was Persönliches: An der Nature Community (NC) gebe ich Kurse, sobald das wieder geht und fühle mich mit den Menschen dort sehr verbunden. Die NC hat jedoch, wie so viele Seminarhäuser, zur Zeit große wirtschaftliche Schwierigkeiten. In diesem Aufruf findet ihr auch Ausschnitte aus einigen meiner Kurse, die ich dort gegeben habe.
Wie geht es mir persönlich? Ich habe gerade einen Sturz und eine Woche Krankenhaus überlebt und mir dabei Notizen gemacht, wie es ist im Krankenhaus zu sein.
Veranstaltungen mit mir
Einige meiner Seminare sind wegen Corona ausgefallen, andere wurden verschoben. Hier ist der aktuelle Stand, der sich wegen der Pandemie natürlich noch ändern kann.
• Den für Anfang Mai geplanten Orgasmus-Workshop mit Stefanie Rinke und mir haben wir auf 7./8. November verschieben müssen. Standort: Berlin-Schöneberg, Preis: 135 € / 160 €.
• Anlässlich des Erleuchtungskongresses von Ludmilla und Roland im März in Berlin haben die beiden mich zur Praxis des Erwachens befragt. Der Online-Kongress zu diesem Thema findet im Mai statt. Wer sich dort anmeldet, findet dort das ganze Interview mit mir.
• Kann der Workshop Beziehungsweise – wie Beziehung gelingt von Pea Krämer und mir in der am WE 8. bis 10. Mai stattfinden? Wir wissen es noch nicht. Wenn er ausfallen sollte (oder auch sowieso) gibt es am WE 18.-20. September einen weiteren. Von Fr 20 h bis So 15 h. Für Singles kostet er 180-220 €, für Paare 300-400 € beides nach Selbsteinschätzung. Zzgl.U/Verpfl.
• Das Pfingst-Seminar von BeFree, vom 28.5. bis 1.6., ist bislang noch angekündigt. Wir hoffen, dass es stattfinden kann. Andernfalls findet ihr auf www.befree-tantra.de auch Online-Seminare und viele nützliche Infos über Tantra.
• Der Himmel auf Erden fand schon immer nur JETZT statt und nicht erst, wenn wir tot sind. Dennoch und deshalb hier ein Termin: Am 5.-7. Juli im Gästehaus Schwanenwerder am Berliner Wannsee gibt es ein Event, das so heißt und diese Wahrheit feiert: Himmel auf Erden. Mehr dazu in diesem Blogeintrag von mir.
• Einen WE-Humorworkshop mit mir gibt es erst wieder im Sommer, und zwar in der Academy of Stage Arts am WE 21.-23. August.
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Lieber Sugata, für mich geht es weniger darum, wer Recht hat, sondern was auf dem Spiel steht. Deshalb ist es für mich nicht gleich-gültig, welche Seite Recht hat. Zumal ja auch eine überwältigende Mehrheit an das Narrativ glaubt, das in vielen Facetten und Varianten fast allüberall in den offiziellen Medien zu lesen, zu sehen und zu hören ist. Gegenstimmen sind bislang leise und wenige. Und sie werden dazu meist noch als »Fake News« und »Verschwörungstheorien« diffamiert und oft zensiert. Doch unsere elementarsten bürgerlichen Freiheiten sind seit gut vier Wochen ohne eine öffentliche Diskussion und Abwägungen auf unbestimmte Zeit suspendiert worden.… Weiterlesen »
Lieber Sugata, ich erlebe Corona als Brennglas, mit dem auf viele Bereiche unseres Lebens geblickt wird. Alles Beiwerk ist weggebrannt, weggeblasen, frei liegt der Kern. Heute haben mich Freunde (70) unserer kleinen Wohnanlage am Land per Email eingeladen, mit ihnen wieder einmal auf der Terrasse zu plaudern. Wenn ich darauf wertlegen würde, dann könnten wir auch Abstand halten. Ich (60) teilte ihnen mit, dass ich im Moment meine Devise aufrecht halte, nur unvermeidliche Begegnungen wahrzunehmen. Sie haben keine Angst. Ich habe Angst, gehöre wohl zu den Übervorsichtigen. Wie wird sich meine Verhalten, meine Ablehnung ihrer Einladung, meine Konsequenz oder wie… Weiterlesen »
Hallo Sugata, Dir geht es hoffentlich nach Deinem Sturz wieder besser. Alles Gute! Auf La Palma hat sich die Gefahr zu stürzen ja verringert, weil uns Natur und Landschaft und Meer versperrt sind. Warum auch immer. Und das seit Wochen, und es soll noch mindestens zwei Wochen so weitergehen. Auch ein Narrativ, das uns wohl glauben machen möchte, wir würden durch Bäume, Steine und Wellen angesteckt werden können und umgekehrt. Ironie beiseite, obwohl mir zur Zeit immer mehr danach ist: Ich finde diese Narrative, die ja auch praktische Konsequenzen haben, oft nicht nur ausserordentlich machtförmig erdrückend, sondern schlicht und ergreifend… Weiterlesen »
Lieber Wolf/Sugata, unsere gemeinsame Vergangenheit als Starnberger/Pöckinger regt mich dazu an, hier zu posten, dass man durchaus etwas weiter ausholen könnte, als nur vom Narrativ zu sprechen. Sprachspiele, Anschlussfähigkeit, Deutungshoheiten, etymologische Felder, Lyotard, Foucault, Kuhn, Habermas … ja sogar das gute alte Wort Ideologie dürfte man hier in Erwägung ziehen. Technik und Wissenschaft als Ideologie scheint mir leider aktueller denn je. Im Sinne von einer eingeschränkten, durch die eigene Herkunft geprägten Sichtweise, die durch mangelnde Transparenz zu Herrschaft führt. Aktuell konkret meine ich, dass Statistiken und die vermeintlichen Sachzwänge intensivmedizinischer Erfordernisse bzw. Machbarkeiten rechtfertigen sollen, dass eine demokratische Willensbildung über… Weiterlesen »