Wo man auch hinschaut: hier ein GAU und dort ein GIN, alles voll davon. Die Fälle des Größten Anzunehmenden Unsinns aka Greatest Imaginable Nonsense sind Legion. Vor allem in den spirituellen und Gutmenschen-Szenen findet man massenhaft Kämpfer gegen das Ego. Auch in der milden Form des Kämpfens, dem Streben, das vermaledeite Ego zu überwinden oder aus einem Schlechtmenschen einen Gutmenschen zu machen, ist es Unsinn. 

Aus einem Schlechtmenschen kann man keinen Gutmenschen machen, aus einem Egoisten keinen Altruisten, aus einem Sünder keinen Heiligen. Jedenfalls nicht durch Ermahnungen und Verleumdung des Ego als Ich-Gefängnis und Mutter allen Übels. Die Transformation des Charakters geht nur durch Einsicht, nicht durch Moral, das haben Jahrtausende von Predigten und Missionen gezeigt, sogar Höllendrohungen haben nicht geholfen. Oder sind die Christen, Juden und Moslems mit ihrem Verbot des Tötens etwa weniger mörderisch als Nicht-Abrahamiten? Manch Kannibalenstamm steht ihnen gegenüber im Vergleich ziemlich gut da. Und auch die Hindus und Buddhisten sind keine Gutmenschen, sondern Menschen mit Wünschen und Befürchtungen, was zu allerlei Vorteilnahmen und unfairen Ablehnungen führt. Und Atheisten und Sozialisten sind auch nicht anders.

Schweinisch gut

Jetzt komme ich und habe die Lösung: Lasse das Ego Ego sein. Lass deine Ich-Figur erstmal so, wie sie jetzt ist. Versuche nicht, sie abzuschaffen oder zu verbessern, sondern mache aus ihr eine Witzfigur. Das Ego bekämpfen, das geht nicht. Da würde nur der eine innere Schweinehund den anderen bekämpfen oder moralisch zu verbessern versuchen. Egobekämpfung ist die innere Abspaltung des vermeintlich guten Teils vom vermeintlich schlechten. Da kann keiner gewinnen. Zudem ist diese bevormundende Spaltung arrogant, und ein gespaltener Mensch ist nicht integer.

Übrigens sind nicht nur Hunde, sondern auch Schweine hochintelligente Tiere, die leider von uns Menschen in großer Anzahl unter schrecklichen Bedingungen industriell gehalten und dann gegessen werden. Warum machen wir das nicht auch mit Hunden? Genügt uns für diese Großzügigkeit schon ein bisschen Schwanzwedeln? Unsere schlechte Behandlung von Schweinen ist jedoch kein Ergebnis unseres Schlechtmenschentums, sondern – wie so vieles – ein Ergebnis unserer Dummheit. (Viel) Fleisch zu essen ist ungesund, erst recht das Fleisch aus solchen KZs. Das würde auch für Fleisch aus Hunde-KZs gelten. Es ruiniert unseren Biotop, und zu wissen, dass Millionen von Tieren dabei schrecklich leiden, schlägt sich zudem auf die eine oder andere Weise in unserer Psyche nieder. 

Egoisten und Altruisten

Es ist nicht moralisch besser, sondern schlicht klüger gut zu sein als schlecht. Altruisten sind die Klügeren unter den Egoisten, das ist auch schon alles. Mehr an Predigt braucht es nicht. Für Klugheit kann man werben und hat dabei, wenn man auf die Vorteile der Klugheit hinweist, wenigstens ein bisschen Erfolgschancen. Führung per Moral hingegen ist Führung per Zuckerbrot und Peitsche, Lob und Bestrafung; das macht die Gelobten oder Kritisierten abhängig, schuldbewusst und zu Heuchlern. Pädagogisch erfolgversprechender ist ein Hinweis auf die Interdependenz, die gegenseitige Abhängigkeit von allem. Die gilt im Materiellen, aber auch im Geistigen – es gibt auch eine Ökologie des Geistigen. Darin lohnt insbesondere die Betrachtung der Interdependenz aller Ich- und Wir-Identitäten, diese sind nämlich Teile eines weitverzweigten Gewebes. In diesem Gewebe wirken auch Lob und Tadel, Belohnung durch Geld und Verdienstkreuze sowie Bestrafung durch Bußgelder und Gefängnis; oberflächlich können diese Methoden gutes Verhalten bewirken, aber sie korrumpieren und ängstigen, und Angst vergiftet das Sozialklima. Nachhaltig besser ist Güte aufgrund von Einsicht.

Schau hin und erkenne

Zurück zum Ego, Ich und Selbst, der Persönlichkeit, dem Charakter und Individuellen, was alles Varianten desselben sind. Sie unterscheiden sich durch die Haltung des erzählenden Betrachters, nicht oder nur kaum durch das damit gemeinte Objekt. Dieses ist zunächst einmal einfach so, wie es ist und harrt einer vorurteilsfreien Betrachtung. Schau hin und erkenne. Nimm hin, was du nicht ändern kannst und ändere …. aber kann man denn überhaupt etwas ändern? Ja, denn das Ich ist eine fiktive Gestalt. Egal, ob wir es gerade Ego nennen, weil wir nicht gut damit zurecht kommen, oder höheres Selbst, weil wir das Bedürfnis haben es zu adeln – es ist eine Fiktion. Eine gestaltbare Fiktion.

Gibt es einen freien Willen?

Auf den oft geäußerten Einwand, es gäbe ja gar keinen freien Willen, sage ich, dass das eine Sache der Perspektive ist. Vom Subjekt aus gesehen gibt es sehr wohl Wahlmöglichkeiten und etwas zu entscheiden. Von einem perfekt informierten Metabetrachter aus hingegen gibt es das nicht, sondern von dort aus könnte vorhergesagt werden, wie es kommen wird. Da es den perfekt informierten Betrachter jedoch nicht gibt und es ihn quantenphysikalisch gesehen auch gar nicht geben kann, weil der Betrachter immer auf das Betrachtete rückwirkt, gibt es dann doch wieder Freiheit, Unvorhersagbarkeit, Zufall, Offenheit und somit einen Unterschied zwischen Zukunft und Vergangenheit.

Tragik und Komik

Wenn die Ich-Gestalt sich selbst eher tragisch findet, weil man »ihr etwas angetan« hat, wird sie sich kaum ändern, denn es sind ja die anderen schuld. Sie ist das Opfer, sie kann nichts dafür, dass es so ist, wie es ist. Hält sie sich jedoch für eminent wichtig, gar unveränderlich und beharrt darauf, dabei auch noch authentisch zu sein, ist sie komisch. Dann ist ihr Scheitern kein Drama, sondern ein Witz und Anlass zu Lachen und Applaus. Ein Komiker ist jemand, der es geschafft hat, sein eigenes Scheitern so zu reframen, so dass es aussieht wie ein Erfolg: Das Publikum applaudiert ihm anstatt ihn zu verachten oder zu verteufeln. 

»Sei dir selbst ein Witz, dann hast du immer was zu lachen«, hat der Crazy Wisdom Master und Meister-Komiker Osho einst als Devise ausgegeben. Da haben wir endlich die Lösung aus der Ego-Falle! Sich für jemanden zu halten ist nämlich eine Falle. Genauer: Die Ich-Identität für etwas Faktisches zu halten ist eine Falle. In Wahrheit ist sie eine Fiktion. Eine wirkmächtige Fiktion zwar, aber immer noch eine Fiktion, so wie alle die Einbildungen, mit denen die Gestalten der faktischen Welt herumlaufen und die auch unsere Mythen bevölkern, unsere Literaturen, Religionen und Filmkunstwerke. Wer ist die Autorin dieser Gestalt, wer ist ihr kreativer Schöpfer? Du selbst bist das, du selbst als Teil im Gewebe deiner ganzen sozialen Umgebung, als Teil des ganzen Systems, das diese Figur gestaltet hat. 

Die Individuation

Bin ich der Schöpfer von der Gestalt, mit der ich durchs Leben gehe? Nur insoweit ich imstande bin, die Muster zu erkennen, die mein Handeln bestimmen, kann ich sie verändern. Und was ist ein Muster? Alles, was sich wiederholt. Unsere Charaktere und Persönlichkeiten sind Gewebe aus Mustern und als solche Teil des Gewebes der ganzen Gesellschaft. Auch als Rebell bist du Teil dieses Gewebes, ebenso als Außenseiter. Der Mainstream ist der Strom der großen Schafherde, ein Schwarm, eine Masse aus Mitläufern, die sich ihrer selbst nicht bewusst sind. Aber auch die am Rande, die Außenseiter sind Teil des großen Gewebes, das die Gesellschaft ausmacht. Wir alle sind Figuren einer großen Erzählung, in der es Haupt- und Nebenfiguren gibt. So wie es in den frühen Dramen der europäischen Neuzeit nicht nur Adelige mit Namen und Persönlichkeit gab, sondern auch namenlose Figuren, die nur mit ihrem Beruf oder Verwandtschaftsgrad bezeichnet wurden: der Bauer, der Knecht, die Zofe, die Mutter. 

Um dir deiner selbst bewusst zu werden, werde erstmal zu einer Figur mit Namen, einem Individuum, einem Charakter. Im Bewusstsein deiner Einzigartigkeit sind dir auch deine Grenzen bewusst, deine Endlichkeit und vielfache Bezogenheit. Wenn du dich damit zeigen kannst, im Spiegel vor dir selbst und vor anderen, wirst du transparent. Dann kann das Licht durch dich hindurchscheinen und deine Gestalt wird vor ihrem Hintergrund sichtbar, sie hebt sich von ihm ab wie das Yang vom Yin in diesem alten Symbol, das aus China bekannt ist, viel früher aber auch schon bei den Kelten (dort zuerst) und Römern. Eine solche Figur, die sich ihrer eigenen Gestalt, aber auch der damit existenziell verbundenen Gegengestalt, ihres Hintergrundes, bewusst ist – also des anderen bewusst ist, das sie oberflächlich „nicht ist“ –, wäre dann ein erwachtes, sich seiner selbst bewusstes Individuum.