»Wenn du nach Rom kommst, mach’s wie die Römer«, dieses Sprichwort habe ich in Italien gelernt. Es hilft mir in vielen Fällen. An Weihnachten mache ich außer dem Kommerz, Kitsch und Stress des Schenkens so ziemlich alles mit. So ähnlich mache ich es auch mit den Corona-Impfungen. Nützen sie oder schaden sie mehr? Wer weiß das schon. Aber wenn die Mehrheit das Impfen gut findet, mache ich mit. 

Sowohl auf der Seite der Impfbefürworter wie auf der Seite der Gegner treffe ich auf kluge Leute, die mit guten Argumenten ihre Position vertreten. Der sozialen Harmonie zuliebe gehe ich hier mit den 70 oder 80 Prozent Befürwortern und hoffe dabei, dass diese Mehrheit (in diesem Falle auch die der ’Scientific Community’) eher ein intelligenter Schwarm ist als eine Herde von Lemmingen.

Warum werden die einen zu Impfgegnern, die anderen zu ‚Durchimpfern‘? Darunter wieder einige zu Hardcore-Vertretern ihrer Richtung, die anderen zu lässig Mitschwimmenden. Mit Intelligenz und Bildung hat das nichts zu tun, davon gibt es auf beiden Seiten ungefähr gleich viel. Es muss andere Gründe geben, warum die einen auf diese Seite der gesellschaftlichen Spaltung fallen, die andere auf jene. Teils hat es mit dem Internet, den sozialen Netzwerken und der Tatsache zu tun, dass Facebook & Co an den Spaltungen und Echoblasen verdienen. Ebenso einige Politiker. Divide et impera, spalte und herrsche, das kannte man schon im alten Rom. Aber das erklärt noch nicht alles. Vielleicht wäre es mal eine Untersuchung wert, ob es in den Familien der Impfgegner, wenn man zwei oder drei Generationen zurückgeht, überproportional häufig Nazimittäter oder von Nazis Verfolgte gibt? Bei den anderen Ländern würde ich ähnliche Überlegungen anstellen; auch dort gibt es Leichen im Keller des kollektiven und individuellen Bewusstseins. Das würde dann auch erklären, warum die Ungeimpften oft das Gefühl haben, sie würden verfolgt wie einst die Juden. Na ja, ist nur eine These. Sagt mir eure besseren Thesen, wenn ihr welche wisst.

Für die hier im Blog eventuell neu Hinzugekommenen beantworte ich sicherheitshalber nochmal die Gretchenfrage: Ich bin zwar nicht getauft, aber geimpft, bin jedoch gegen eine Impfpflicht und sehe in den Coronamaßnahmen, die ja behaupten Leid zu mindern kein Zeichen der Solidarität mit denen, die das wirklich brauchen. Jedenfalls dann, wenn man Aufwand und Ertrag dieser Maßnahmen mit berücksichtigt, und das muss man. Wären diese Maßnahmen ethisch so gut, wie sie beanspruchen, gäbe es ganz anderes zu tun. 

Der Bachelor of Being

Seit Ende Oktober lebe ich mit meiner Partnerin Imke-Marie Badur, dem Playback-Theater Pädagogen Markus Hühn und 25 jungen Erwachsenen auf dem Kragenhof bei Kassel. Noch bis Mitte/Ende März werden wir hier zusammen wohnen, in diesem innovativen Orientierungs- und Bildungsprojekt, das wir Bachelor of Being nennen. 

Die ersten sieben Wochen waren spannend. Ich ‚unterrichte‘ hier fast 50 Jahre Jüngere in Meditation, Lebenskunst, Weisheit und Weltbezug. Wobei – ‚unterrichten‘ kann man das nicht nennen. Teachings sind hier unerwünscht, zumal von sehr viel Älteren. Wir können hier aber Situationen herstellen, in denen die jungen Leute sich selbst auf die Schliche kommen: Nicht Mutter oder Vater sein von den sich bildenden Identitäten in diesen Coming-of-Age Prozessen, sondern Hebamme/r, so wie einst Sokrates. Oder aber die aus unserer Sicht wichtigen Impulse von jüngeren Referenten einbringen lassen. 

Funktioniert das? In zwanzig Jahren wissen wir mehr, sagt der Skeptiker in mir. Bisher läuft es sehr gut. Schon jetzt ist dieses Winterretreat in Lebensorientierung für einige im Kurs das Beste, was sie je erlebt haben, und auch die anderen sind positiv durchgewirbelt. Trotz der hohen Anforderung an Wahrhaftigkeit gegenüber sich selbst und in der Gruppe ist bisher keiner ausgestiegen, kollabiert oder zum Außenseiter geworden. Im Januar geht es weiter, dann steht mehr der Bezug zur Außenwelt, zur Gesellschaft und Politik im Fokus.

Sich nicht verorten wollen

Für mich am verblüffendsten war, wie wenig diese fünfzehn Frauen und zehn Männer im Alter zwischen 18 und 26 sich als Frauen und Männer verstehen. Auf der Linie zwischen mehr weiblich und mehr männlich wollen sich vor allem die 19- bis 22-Jährigen mehrheitlich schlicht nicht verorten. »Ich bin dies, aber auch jenes, ich lasse mich nicht festlegen« – was für ein grandioser Start auf dem spirituellen Weg der Heldenreise durchs Leben! Dem Weg in die Nichtidentifikation, das Transpersonale, das Auch-das-bin-ich, das »tat twam asi« der Upanishaden.  

Leider geht für viele der Mut, sich in die offene Weite der Selbstverortung und des Weltbezugs zu begeben, nicht über die Weigerung hinaus, sich geschlechtlich zuordnen zu lassen. Einige der jungen Leute folgen der Bewegung der Gender Studies sogar so weit, dass sie glauben, Geschlecht sei etwas nur gesellschaftlich Bestimmtes. Sie sprechen dann statt von Frauen und Männern, von »weiblich Gelesenen« und »männliche Gelesenen«. Als wären das nur Zuordnungen von Rollen, die die so »Gelesenen« dann auf der sozialen Bühne zu spielen haben. Ich finde das eine sehr einseitige Antwort auf die alte Frage, ob nature oder nurture den Menschen bestimmt.

Die Dominanz dieser Theorie unter den uns anvertrauten jungen Leuten hat mich veranlasst, mich mit Judith Butlers Theorien zu beschäftigen. Dabei stieß ich auch auf die Philosophin Kathleen Stock, die kürzlich aus ihrer Uni in Sussex rausgemobbt wurde, weil sie zu dem Thema eine andere, viel klügere Position vertritt. Deshalb lese ich gerade ihr Buch Material Girls – why Reality Matters for Feminism. Sie wird als »transphob« beschimpft. Das ist sie mitnichten, ihre Gegner aber sind cisphob. 

Spannend finde ich auch die Bewegung des Doing Gender, die unseren eigenen Anteil an der Gender-Verortung betont. Wobei ich dies weniger »Analyse« nennen würde als Kreation: Gender-Performance verstanden als Erschaffung der eigenen (Gender-)Identität. Ich bin die Schöpferin meiner eigenen Persönlichkeit.

Cis und Trans jenseits des Gender

Die Cis-Verortung empfinde ich als genau so wichtig wie die Transverortung, und damit meine ich jetzt einen viel weiteren Cis/Trans-Begriff als den nur aufs Gender fixierten. Der eigentlich gut gemeinte Aufbruch der Gender-Bewegung beschränkt sich leider überwiegend aufs nur männlich/weiblich Binäre/Nonbinäre. 

Es gibt jedoch viel mehr an bedeutsamen Verortungen unter dem Himmel als nur die, ob ich cis- oder transsexuell bin, homo oder hetero. Bin ich ein Lebewesen, das Mitgefühl auch für Tiere hat? Auch dann darf ich sagen, dass ich ein Mensch bin (cis), erst eine Stufe weiter (trans) bin ich eines unter den Tieren. Ich bin auch ein Teil von Gaia, dem Biotop der Erde, das ist noch mehr trans als nur ein Tier zu sein, und dabei bleibe ich doch Mensch – und vielleicht auch Mann. Schließlich bin ich auch »der Geliebte« und der diesen Liebende (in theistischer Sprache: Gott), wie ihn der Sufi-Poet Rumi besingt. Jean Gebser und Ken Wilber’s Holon-Theorie klingt hier an. 

Cisphobie ist als Begriff noch neu und wird bislang nur im Kontext der Gender-Orientierung verwendet. Ich wünsche ihm eine steile Karriere auch unter den spirituell Bewegten, die sich nur in Richtung Transistan orientieren und sich nichts mehr wünschen, als dass »der Tropfen« (des Ego) »in den Ozean fällt«. 

Wie nobel, dass die Bewegung, die in Folge der Gender-Studies seit den 1990er Jahren weltweit Furore macht, die Gender-Marginalisierten einbezieht und ihnen dieselben Rechte zugesteht wie den Cis-Heteros. Wie schade, dass sie sich auf diese beschränkt. Es hätte ein wirklich spiritueller und damit auch politisch sinnvoller und wirksamer Aufbruch werden können, wenn er auch die vom Kapitalismus in die Armut Getriebenen einbezöge, die 800 Millionen Hungernden, die Tiere, die wir essen und die ganze Natur. 

Nochwas zur Sprache. Vielleicht würde mir Judith Butler zustimmen, wenn ich, der ich seit 44 Jahren Vegetarier bin, die Fleischesser Karnisten nenne. Dann bin ich nicht mehr »der andere Esser«, so wie Simone de Beauvoir einst (1949) ihn ihrem bahnbrechenden Werk über »das andere Geschlecht« geschrieben hat – Frauen (women) als »die anderen« Menschen, sondern dann sind auch die Tieresser, die anderen das Schlachten überlassen, nur eine Fraktion unter den Menschen, differenziert nach ihrer Ernährungsweise, und nicht mehr schlicht die Normalen, verstanden als: die Richtigen.

Personen sind ein Oberflächenphänomen

Die Idee des linguistischen Anthropologen Tom Boellstorff, aus dem Englischen eine Transgender-Sprache zu machen, gefällt mir. Er schlägt vor, dort – statt he, she, his und her – they, them und their zu verwenden. Das würde aus dem Englischen eine genderneutrale Sprache machen, eine epicene language (epicene in der Bedeutung von common). Ich und du sind ja bereits genderneutrale Pronomen, ebenso das Wir und das Plural-Sie. 

Ich finde, dass alle Pronomen nur Oberflächenphänomene bezeichnen. Sie beschreiben das Geschehen in der Welt der Egos. Texte in Ich-Form lassen sich ohne wesentliche Änderung ihrer Bedeutung in Du-Form oder in die dritte Person Singular oder Plural übertragen. Ich, du, er, sie, es, wir, ihr, sie bedeuten im Wesentlichen (im Transraum) dasselbe. Nur im Cisraum sind ihre Bedeutungen unterschiedlich. »Man macht das so in Rom«, »You do it like this in Rome«, bedeuten dasselbe wie: »Ich mache das so in Rom«. Denn wenn ich nach Rom komme, mache ich’s wie die Römer. Ich als Parameter, als Stellvertreter für alle, nicht ich als einzigartige Person. So wird es eine transpersonale Aussage. 

Damit wäre dann auch die Gender-Debatte gelöst. Unsere Sprachen müssen sich noch viel radikaler ändern als nur so ein bisschen wie die Rechtschreibreform des Deutschen in den 90er Jahren, oder indem wir man durch frau ersetzen oder statt Du-Botschaften Ich-Botschaften verwenden. Im Spanischen ist le, das Akkusativ-Pronomen der dritten Person Singular, nicht genderisiert wie im Deutschen, es kann ihn oder sie bedeuten. Es geht also – sogar in der Conquistadoren-Sprache Spanisch gibt es das, in der Eltern padres genannt werden.

Persönliches & Transpersonales

Weil ihr in diesen Tagen um die Jahreswende vielleicht ein bisschen mehr Zeit habt zum Lesen und Herumspazieren im Internet, hier noch ein paar Links. Zuerst zu meinen eigenen Texten. 

Die Servicelüge ist der Bericht meines Fiaskos mit Mobilcom. In einer besonderen beruflichen Situation habe ich versucht, über meinen Mobilfunkanbieter die Drosselung meines Internetzugangs aufzuheben durch Zubuchung von Datenvolumen und bin damit komplett gescheitert. Entsetzt bin ich auch generell darüber, wie verlogen große Unternehmen, oft in ähnlicher Weise auch Behörden, mit ihren Kunden umgehen – wie diese beschämt, gedemütigt und zu Untertanen gemacht werden. 

Von Bäumen und Menschen ist die Rezension einer aktuellen Doku über die Entwurzelung und Verpflanzung von Baumriesen in Georgien. Der obszön reiche Ex-Präsident des Landes kann sich sowas leisten. 

Hier noch etwas zum Trennungslos einfach da sein, eine mystische Erfahrung mitten im Alltag, wie sie jederzeit passieren kann, dir und mir und allen.

Für vom Connection-Trennungsschmerz Geplagte: Seit dem Ende meiner eigenen Zeitschrift schreibe ich regelmäßig für die Printmedien Ursache/Wirkung, Spuren und KGS Berlin. Wer Connection und meine dortigen Editorials vermisst, findet meinen Blick auf die Welt und ihre Menschen dort oder hier im Blog. Neuerdings auch auf editionlebensweise.de, in unserem neuen Verlag, in dem ich auch blogge. Bald gibt es auch wieder Neues auf bewusstseinserheiterung.info, weil mein Buch über Humortherapie und Humor als spiritueller Weg dort im März erscheint.

Meine Meinung und die einiger anderer bekannter Persönlichkeiten der spirituellen Szene über das, was bezüglich Corona und Impfung in der Welt passiert, kannst du im Online-Magazin One-Spirit nachlesen. Mein Text dort ist eine leicht gekürzte Form von Irrende Strömungen.

Veranstaltungen mit mir/uns

Mitten in der Natur des schönen Weserberglands (Zum Kellerhof 2a, 31787 Hameln) gibt es in den Praxis-Räumen von Pea Krämer Visions-Tage, in denen du dein Leben umkrempeln und neu ausrichten kannst. Geleitet von mir und Pea. Anmeldung über editionlebensweise.de: 

28.-30. Januar 2022 und 18.-20. Februar 2022. 

Seminarkosten: 330, – €, Frühbucher*innen: 295,- €.

Pro zehn Teilnehmer*innen, die zum regulären Preis gebucht haben, bieten wir für Menschen in finanzieller Not je einen ermäßigten Platz an.

Übernachtung und Verpflegung kommen noch hinzu und müssen eigens gebucht werden. Im Dorf gibt es für kleines Geld private Unterkünfte und in der näheren Umgebung Hotels in allen Preiskategorien. 

Weitere Sinnfinder-Wochenenden mit den Autoren des Buchs »Sinnfinder – dein Guide zur Lebensvision« finden am  11.-13.03., 03.-06.06., 14.-16.10. und 18.-20.11.2022 in Peas Praxis statt. 

SINNFINDER-Seminar-7Tage.png

Noch viel besser zum Neuausrichten deines Lebens ist eine ganze Woche. Zum Beispiel die Visions-Woche vom 20. bis 26. Juni 2022 in der Nature Community bei Schönsee in der Oberpfalz. Geleitet von Pea Krämer und mir. Seminarkosten: 950,-€/850,-€/699,-€ (Normalpreis/Frühbucher/Student*innen). Zzgl. U/V-Kosten, zu buchen bei der Nature Community.