Meditation, Achtsamkeit, in sich ruhen, bei sich sein. Sati hat es der Buddha damals in seiner Sprache genannt. Können wir heute noch etwas damit anfangen? 

Auf einem Meditationstag im Oberpfälzer Intersein-Zentrum war ich einer der paar hundert Gäste, die dort auf Thich Nhat Hanh und die Nonne Chan Khong warteten. Auf dem Hintergrund der Rednerbühne stand in großen Buchstaben »Ich bin angekommen«. Was für eine schöne Art die Präsenz zu betonen! Oder als Frage: Bin ich wirklich hier, mit meiner ganzen Aufmerksamkeit?

Als ich im Frühjahr 1976 in einem buddhistischen Kloster in Thailand die Initiation zum Samanera erhielt, wurde diese Pabbajja genannt, übersetzt: Hinausgehen in die Heimatlosigkeit. Seitdem beschäftigt mich das Thema der Beheimatung. Zuerst viele Jahre lang im Sinne von Nestflucht: Hinausgehen in die offene Weite, ins Unbekannte. Ich wollte die mich beengende Schale meiner Herkunft verlassen. Dann immer mehr im Sinne von: Wo lande ich? Mit wem und in welcher Umgebung beheimate ich mich neu? Hafte ich dann dort, oder lasse ich mich nieder im Wissen um meine Vergänglichkeit? Auch das sich Einlassen auf Liebesbeziehungen ist ein sich neu Beheimaten. Ebenso das Commitment zu einem Projekt. 

In meinen aktuellen Gruppen und den Einzelcoachings mit Menschen aller Altersgruppen geht es immer darum: Wo bin ich zuhause? Bin ich wirklich da? Bei mir im Körper, in meinen Beziehungen und mit den von mir gewählten oder mir zugefallenen Aufgaben. Bin ich imstande mich dort einzunisten im Bewusstsein, dass ich mich eines Tages auch wieder ausnisten muss, spätestens bei meinem Tod?

Fokus und Weitwinkel 

Die zentrale Aufforderung der europäischen Philosophie von der Antike bis in die Renaissance ist: Mensch, erkenne dich selbst! In ihr ist die Frage nach der Heimat verborgen. Auch in »Wer bin ich?«, dieser zentralen und einzigen Frage des berühmten Weisen vom Arunachala-Berg in Südindien und auch der Sufis, der Mystiker im Islam, ist die Frage nach der Beheimatung verborgen. Vor dem Hintergrund der offenen Weite der Heimatlosigkeit verwandelt sich diese Frage in: »Wo bin ich?«. Wo bin ich jetzt gerade mit meiner Aufmerksamkeit? Das bringt mich körperlich und geistig ins Hier & Jetzt. Nebenbei fällt dann auch das sich Konzentrieren leichter. Mein sonst so wirr schweifender Geist kann mit der Frage nach dem Wo nun fokussieren. Und er kann auch zum Weitwinkel übergehen, der dann ein Objekt nicht mehr als etwas Abgesondertes, Singuläres erfasst, sondern es zusammen mit seiner Umgebung sieht, im Kontext. Oder noch weiter: ein Blick, der alles sieht, das Ganze, und darin auch mich selbst, das Subjekt. 

Heute können nicht mehr so viele Menschen mit Ramana Maharshis »Wer bin ich?« etwas anfangen. Wir lassen uns zu leicht ablenken und manipulieren, das ist eins der großen Themen unserer Zeit. Abgelenkt und infogeflutet ertrinken wir in diesen Fluten und verpassen so das Wesentliche. 

Deshalb ist das Ankommen nun der Inhalt einiger meiner nächsten Workshops geworden. Einzelheiten siehe am Schluss dieser Mail. Der schönste Ort für ein solches Ankommen ist natürlich der eigene Körper! Und drumrum? Fürs Drumrum empfehle ich das Upleven, das ehemalige Hotel Deichgraf an der Nordseeküste unweit von Bremerhaven. Als »Haus der Stille« ist es seit 2020 zu einer perfekten Kombination aus Hotel und Kloster geworden.

Tragisch oder komisch?

An so vielen Orten in der Welt erleiden Menschen Gewalt, werden aus ihrer Heimat vertrieben oder haben nicht genug zu essen. Das ist »gar nicht komisch«, da bleibt doch selbst den Humorvollsten unter uns das Lachen im Hals stecken. Auch das Weinen? Mir nicht. Lachen und Weinen liegen für mich nah beieinander. Bei Nachrichten über einen der Kriege in der Welt muss ich oft weinen. Wenn Politiker sich engherzig, eingebildet oder dumm verhalten und ich bei der Rezeption dieser Nachrichten meine Gefühle nicht zurückhalten will – oder es nicht kann –, schwanke ich oft zwischen Lachen und Weinen, oder das eine geht in das andere über. Und das gilt auch für private Konflikte und Verluste. 

Liebe, Geburt und Tod sind das, was uns am tiefsten berührt. Da sind wir zutiefst verletzlich, aber auch zu den höchsten Ekstasen fähig. Gerade hier, wo es ‚ans Eingemachte‘ geht, erscheint mir Humor als ein wunderbarer Erkenntnisweg. Vor allem Humor im Umgang mit sich selbst und den eigenen Unzulänglichkeiten. 

Selbstausdehnung

Ein ebenso wichtiger Erkenntnisweg ist die Empathie im Umgang mit den Mitmenschen. Empathie als Praxis der Selbstausdehnung, wie sie zum Beispiel Johanna Macy lehrt. Damit ist eine Art der Meditation gemeint, bei der sich das Selbst auf alles ausdehnt, a. Auf alles, wirklich alles, denn: Auch das bin ich. Diese Meditation kann sich aber auch auf des kleine Ich zurückziehen, das in diesem fragilen, sterblichen Körper wohnt und in dieser verletzlichen Psyche und sich dort manchmal schützen muss. Die Fähigkeit zu diesem Zoom auf sich selbst empfinde ich als ebenso wichtig wie die zum Weitwinkel, der alles umfasst – und beides lässt sich üben.