Als ich den Buchtitel »All you need is less« sah und dann fand, dass sich in diesem Buch der Wachstumskritiker Nico Peach mit einem Buddhisten zusammen getan hatte, war mir klar, dass ich das Buch würde haben müssen. Ausnahmsweise, denn zum Lesen von Büchern komme ich sonst kaum. Dass es in dem von mir sehr geschätzten Ökom-Verlag erschienen war, steigerte mein Interesse noch.
Nun hab ich es in der Hand und sehe, dass Paech und Folkers ihr Wissen nicht in einen gemeinsamen Text gegossen haben, sondern jeder einen Teil des Buchs als Autor vertritt. Die Texte der beiden Einzel-Autoren werden eingerahmt von einem Vorab-Interview und einem Danach-Interview mit den beiden; die Fragen stellte dabei der Journalist und Moderator Barthel Pester aus der Zukunftswerkstatt Oldenburg.
Ein Parlament aus drei Teilen
Manfred Folkers ist seit 2009 Mitglied im Rat der Deutschen Buddhistischen Union, die auch die Zeitschrift »Buddhismus aktuell« herausgibt. Gleich zu Beginn des Buchs fällt seine Zukunftsvision einer Weltregierung auf: »Alle Menschen bewohnen diesen kleinen, aber feinen Planeten. Unsere wichtigste Aufgabe ist, das Leben auf ihm zu bewahren. Dafür wird eine Weltregierung benötigt, die von einem Parlament kontrolliert wird, in dem die zufällig gerade jetzt lebenden Menschen nicht die Mehrheit stellen dürfen. Sowohl die Erde beziehungsweise ihre Biosphäre als auch die zukünftigen Generationen sollten mitvertreten werden – vielleicht jeweils zu einem Drittel.«
Gute Idee, finde ich. »Weltregierung« ist ja ein angstbesetztes Thema, bei dem die meisten erstmal an Big Brother denken und überlegen, wohin man vor einer solchen Regierung denn noch fliehen könnte. Fliehen kann man aber auch jetzt schon nicht, und die Lösung der drängendsten heutigen Probleme lässt sich auch heute schon längst nicht mehr national lösen. Wie wär’s mit international? Die Geschichte des Völkerbundes und der daraus entstandenen UNO lassen diesbezüglich kaum Optimismus aufkommen. Und die EU? Dazu fällt mir der Brexit ein, Ungarn und Polen, seufz. Besser wäre eine transnationale Lösung. Aber dazu müssten wir Menschen mehr als bisher willens und fähig sein, über den Tellerrand unserer bisherigen Wir-Identitäten hinauszuschauen. Aufgeben sollten wir die Nationen nicht, sie sind doch aktuell die Basis unserer realen sozialen Netze, verstärkt vielleicht bald noch durch ein Grundeinkommen; sie sollten aber doch darüber hinausgehen – eben transzendieren. Eine Weltregierung, die von einer aufgeklärten Bevölkerung demokratisch kontrolliert wird, und deren Handeln gemäß der Gewaltenteilung von der Justiz überwacht wird, wäre allemal besser als so wie jetzt, da unter den Nationen der militärisch und wirtschaftlich Stärkere regiert und Kriegsdrohungen, Kriege und Waffenhandel florieren.
Grüne Inkonsequenz
Folkers Co-Autoren, dem vegan lebenden und aufs Fliegen verzichtenden Nico Peach gehen offenbar die Pseudo-Ökos auf die Nerven. Da gäbe es Kompensationsriten, schreibt er, die einem mittelalterlichen Ablasshandel ähneln: »Manche sich selbst als umweltbewusst einstufende Zeitgenossen jetten um den Planeten und ergötzen sich am kontrolliert-ökologisch erzeugten Brühwürfel, den sie heldenhaft mit dem Fahrrad nach Hause transportieren.« Klar, dass sowas nur der Gewissensberuhigung dient, nicht der Umwelt. Gut, dass es Wachstumskritiker gibt, die auch bei solcher ‚grünen Inkonsequenz‘, zuweilen ist es wohl auch Heuchelei, nicht den Mund halten. Nico Paech will kein Heiliger sein, der den ignoranten und apathischen Mehrheiten vorlebt, wie sie sich verhalten sollen, aber er lebt (und spricht) doch sichtbar und hörbar anders als der Mainstream und ist dabei mit sich zufrieden. »Suffizienz als Antithese zur modernen Wachstumsorientierung«, so überschreibt er seinen Buchabschnitt und kann mit dieser Antithese überzeugen. Mich sogar mehr als sein Co-Autor Manfred Folkers, der doch eher traditionell buddhistisch argumentiert (ein Update auf eine moderneres Buddhismus-Verständnis wäre mir lieber gewesen), und das, obwohl Paech sagt, vom Buddhismus verstünde er nichts, und er würde auch nicht meditieren.
Wachstumszwang
»Suffizienz ist die Konsequenz aus dem grandiosen Scheitern einer ökologischen Modernisierung, zuweilen auch ‚grünes Wachstum‘ genannt«, schreibt Paech, und weiter: »Vielleicht stehen wir vor noch einem größeren Scheitern, nämlich dem des modernen Zeitalters. Suffizienz kann auch als Bruch mit einer Doktrin verstanden werden, die alles einem hyperaktiven Wachstumszwang unterwirft und besinnungslos menschliche Freiheiten zu steigern verspricht. Diese Fortschrittsdoktrin behauptet: Nichts darf bleiben, wie es ist, alls muss ständig verbessert oder intensiviert werden.«
Gegen Ende seines Buchabschnitts wirkt Nico Paech noch radikaler ernüchtert: »Nie waren Menschen reicher, freier, gebildeter und gaben sich problembewusster als heute, während sie zugleich nie ökologisch verantwortungsloser lebten. Wenn Doppelmoral zum Normalzustand einer sich fortschrittlich gerierenden Gesellschaft wird, enden alle vernunftgeleiteten Zukunftsaussichten.«
Das Erbe der Steinzeit
Mit diesem Fazit hat Paech zweifellos Recht. Der Mensch ist eben kein vernunftgeleitetes Wesen, sondern ein evolutionär entstandenes Tier. An der Oberfläche sind wir Menschen durchaus manchmal beeindruckend vernünftig, eine Etage tiefer aber wirken die uns motivierenden Gefühle einer in der Steinzeit entstandenen Psyche. Wie diese in der »kognitiven Revolution« von vor 70.000 Jahren bis heute unser Zusammenleben bestimmen, beschreibt Yuval Noah Harari eindrucksvoll in Büchern wie »Eine kurze Geschichte der Menschheit« und »Homo Deus«, die man ergänzend zu Nico Paechs Kritik an der Wachstumsökonomie mit großem Gewinn lesen kann.
Insgesamt überzeugt das Buch von Nica Paech und Manfred Folkers vor allem durch seine Gegenüberstellung dessen, was zugleich innen im Menschen und außen in der Welt passieren muss, damit Homo sapiens überlebt. Das Buch ist voller einzelner Thesen und praktischer Vorschläge, Aktivisten ebenso wie Wissenschaftler können aus dieser Fülle schöpfen. Die beiden Seiten fusionieren aber kaum. Nico Paech und Manfred Folkers kennen einander seit mehr als zwanzig Jahren und haben ihr Wissen und ihre Überzeugungen in diesem Buch auf bewegende Weise nebeneinander gestellt. Die Synthese aus beidem, theoretisch wie praktisch, ist jedoch noch zu leisten.
All you need is less – eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht. Ökom Verlag im März 2020, softcover, 250 S. 20 €.