Im April 1933 schrieb Kurt Tucholsky aus Schweden an seinen Freund Walter Hasenclever: »Dass unsere Welt in Deutschland zu existieren aufgehört hat, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Und daher: Werde ich erst amal das Maul halten. Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.«

Seit der Wahl von Trump zum Präsidenten der USA muss ich oft an Tucholsky denken, an sein Schweigen nach 1933 und seinen Freitod in Schweden kurz danach. In einer Welt der Trumps, Erdogans und Orbans, Nigel Farages und Geert Wilders’, in der Marine Le Pen gute Chancen, im Frühjahr die nächste Präsidentin von Frankreich zu werden, gruselt es mich vor der Zukunft. Heute könnte in Österreich Norbert Hofer zum Präsidenten gewählt werden. Selbst wenn er es nicht wird, neigt sich die Stimmung in der Welt gerade nicht dem Frieden und einem guten Umgang miteinander zu. Kann man gegen den Ozean des Rechtspopulismus anpfeifen? Ich tue es, weil ich mir geschworen habe, an einem solchen Punkt wie der, an dem Tucholsky (er ist immer eine Art Vorbild für mich gewesen) damals vor dem so triumphal aufkommenden Faschismus eingeknickt ist, nie aufzugeben. Klar ist wie Welt heute anders und der heutige Faschismus trägt andere Gewänder, aber die politische Situation gibt zur Zeit nicht viel Anlass zur Hoffnung. 

Rückschritte nach rechts

Wer nun einwendet, Trump würde wenigstens etwas verändern, mit Hillary wäre es Business as usual gewesen, in einer abgekackten Welt, sage ich: Mit Trump wird es schlimmer. Trump ist noch unehrlicher und egoistischer als Hillary und das mit ihr verbündete Ancien régime. Er ist eine Provokation, aber keine gute. Er hat seine Wahl durch die Wutbürger Amerikas gewonnen, die das Establishment von Washington und den oberen zehn Tausend hassen, aber er wird noch weniger demokratisch regieren als Hillarys obere zehn Tausend. Er ist ein Verächter der Nichtchristen, Nichtweißen, Ausländer und fast aller Randgruppen, von Frauen und von allen, die anders sind als das weiße von sich selbst und der eigenen Größe erfüllte Amerika. Mit Trump soll es weniger Kriege geben als bisher, weil er sich mit Putin so gut versteht? Dass ich nicht lache …

Dabei verstehe ich, dass meine syrischen Freunde sich über Trump gefreut haben. Und jetzt freuen sie sich, dass Assad Aleppo eingenommen hat. Sie hassen Saudi-Arabien, das den IS unterstützt und von Deutschland Waffen bekommt. Verständlich. Die alte Welt ist unerträglich geworden, aber mit den Rechtspopulisten wird es noch schlimmer.

Wutbürger aller Länder …

Und noch ein Wort zum Thema Medienmanipulation und Verschwörungen: Die da meinen »das System« (der neoliberalen Weltherrschaft) durchschaut zu haben, sind mehrheitlich noch größeren, raffinierteren und von einer heilsamen Selbsterkenntnis noch weiter entfernten Manipulatoren auf den Leim gegangen. 

Ich erwarte nicht, dass der Erfolg des Rechtspopulismus nun endlich die guten Kräfte aus ihrer Lethargie befreit. Ich glaube andererseits auch nicht, dass er zum Terminator des weltbeherrschenden neoliberalen Geschäftsmodells wird – im Gegenteil, die im Rechtspopulismus vereinigten »Wutbürger aller Länder« werden es noch schlimmer machen. Wir brauchen in der Politik kein sensationsgeiles Gepöbel, sondern eine intelligente Antwort auf die Naturzerstörung und Menschenverachtung des herrschenden Weltwirtschafts- und Finanzsystems. 

Damit beschäftigt sich das Buch How soon is now von Daniel Pinchbeck, das ich gerade übersetze. Es gibt eine kluge, radikale und praktikable Antwort auf die Probleme der Welt. Die werden dort zunächst schonungslos und einsichtsvoll beschrieben, dann gibt Pinchbeck eine Anleitung, was wir tun können. Darüber bald mehr. 

Das Monster Bürokratie

Im Connectionhaus ist es zur Zeit erfreulich ruhig. Meine ausländischen Mitbewohner sind fast alle in Integrationsmaßnahmen und Sprachkursen oder haben einen Ausbildungsplatz. Die Probleme vor Ort sind immer noch dieselben: Es fehlt eine gute Busverbindung nach Neumarkt und Mühldorf, die fehlt aber nicht nur den Flüchtlingen, sondern auch anderen Dorfbewohnern. Und über das Monster Bürokratie wollte ich schon längst mal ausführlich schreiben, hier immerhin jetzt mal ein kleiner Hinweis auf einen Artikel in unserer Lokalzeitung, dem Neumarkter Anzeiger. Josef Enzinger vom Mühldorfer Anzeiger hatte mich besucht und eine Stunde lang ausgefragt über die Probleme, die wir ehrenamtlichen Helfer hier vor Ort haben, speziell im Umgang mit den Behörden. 

Meditation und Wissenschaft

Am 25./26. November war ich auf der Konferenz »Meditation und Wissenschaft« in Berlin. Trotz hoher Eintrittspreise (über 449 € für anderthalb Tage) war sie schon lange vorab voll ausgebucht. Sie widmete sich der wissenschaftlichen Bearbeitung der uralten spirituellen Praxis der Meditation, dieses Mal mit Schwerpunkt auf MBSR (mindfullness based stress reduction). Diese Art der Anwendung der Kernidee von Buddhas Achtsamkeit (auf Pali: sati) wurde von John Kabat Zinn vor mehr als 35 Jahren begründet. Sie erlangte weltweit großen Erfolg vor allem wegen ihres wissenschaftlichen, ‚religionsfreien‘ Ansatzes und trug wesentlich zum Boom des Begriffs ‚Achtsamkeit‘ bei, der inzwischen auch für alles verwendet wird, was irgendwer irgenwie optimieren will. Auch mit diesen ‚Missbräuchen‘ befasste sich die Konferenz, teils wenig überzeugend (die Podiumsdiskussion hierzu), teils überzeugend (Kabat-Zinn). Das Highlight der Konferenz war der Auftritt von John Kabat Zinn per Videoeinspielung, seine Präsenz, Einfachheit und Menschenliebe hinterließ den ganzen Saal in einer Glückstrance. Zweitens auch Tania Singer vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig mit den Ergebnissen ihrer Empathieforschung. Sie führte anhand der Wirkung auf eine Gruppe von Depressiven sehr genau aus, dass fokussierte Aufmerksamkeit auf irgendein Objekt (z.B. den Atem) ganz andere Ergebnisse bringt als etwa die Metta-Meditation, die das Mitgefühl für alle empfindenen Wesen übt. 

Termine

Für den 11. 1. habe ich nun meinen La Palma Flug gebucht. Endlich mal wieder auf dieser schönen, wasserreichen Insel der Kanaren! Ich habe sie schon sehr vermisst. Mein Plan ist, bis Anfang April dort zu bleiben. Gleich nach dem Rückflug am 7.-9. April bin ich auf der Become Love in Berlin, dann auf dem Osterfestival des Befree Instituts auf Gut Frohberg bei Meißen. Viele weitere Termine für 2017 stehen schon fest, mehr dazu demnächst. 

Aber jetzt erstmal muss ich das Buch von Daniel Pinchbeck fertig übersetzen – die Weltrettung hat Priorität, denn es ist fünf vor zwölf, wir werden auf dem Deck der Titanic vielleicht nicht mehr lange weitertanzen können. 

Vom 28. Dezember bis 2. Januar bin ich wieder auf Gut Frohberg, auf dem Silvester-Festival des BeFree Instituts, wie schon die letzten Male sowohl als Mitgestalter wie auch als Teilnehmer.

Feierabend

Weil der Anfang meines Rundbriefs so düster war, hier der Link auf einen Klassiker, den viele schon kennen und mögen: Der (3:40 min) Kurzfilm von Loriot zeigt die Schwierigkeiten in einem Ehealltag meditativ zu sein. 

Mit herzlichem Gruß

Wolf

schneider@connection.de