Heute vor 29 Jahren ist Osho gestorben. Er „hat seinen Körper verlassen“, sagt man in spirituellen Kreisen, aber ich mag diese Ausdrucksweise nicht. Was sollte denn da sein, dass da einen Körper verlässt?

Schon seit langem will ich mal wieder über ihn schreiben, hat er doch mein Leben stark geprägt, und heute werde ich immer wieder nach ihm gefragt, vor allem von Jüngeren (nicht Jüngern): Du hast ihn doch noch selbst gesprochen, wow, damals, was waren das für Zeiten!? 

Ja, es waren andere Zeiten. Die 70er Jahre in Poona waren anders als die Jahre 1981 bis 1985, als er auf „der Ranch“ in Oregon residierte und dort trotz Schweigephase seine Leute zum Aufbau einer öko-spirituellen Kommune anleitete, die dann aufgrund innerer Konflikte, die auch mit der Person Oshos zu tun hatten, in einem viel publizierten Eklat in sich zusammenfiel und sich auflöste. 

Drei Quellen

Osho ist eine der drei spirituellen Quellen, die mich in meinem Leben am stärksten geprägt haben. Die erste ist Buddha (und der Buddhismus), die zweite er, der für mich ein lebender Buddha war (und seine Sannyas-Bewegung, die mich emotional und sozial reifen ließ). Die dritte ist Ramana Maharshi und der Advaita Vedanta, der in den 90er Jahren und danach vor allem durch die Satsang-Bewegung bekannt wurde.

Es gibt auch andere stark wirkende geistige Quellen in meinem Leben, denen ich mich verbunden fühle – politische und wissenschaftliche – aber unter den spirituellen sind es für mich vor allem diese drei. Daneben auch noch der Sufismus und die Mystik im Allgemeinen, die es ja auch in anderen Traditionen gibt. 

 

Der misslungene PR-Coup

Viele Jahre lang war Osho, damals „Bhagwan Shree Rajneesh“ als der Sexguru mit den Rolls-Royces verschrieen. „Sexguru“ war damals kein Ehrentitel, sondern schmeckte eher nach Obsession und Verführung. Noch viel weniger verkündete „der mit den Rolls Royces“ irgendeine Noblesse oder auch nur ein Minimum an „spiritueller Kompetenz“, wie man das heute vielleicht nennen würde. Osho selbst bezeichnete seinen (indirekten) Besitz dieser Autos als ein Provokation an die materialistische Gesellschaft, in der Autos Statussymbole sind und trieb diese Provokation so gut er konnte auf die Spitze. Viele der eher weniger kritischen seiner Schüler finden bis heute, dass dieser Coup gelungen sei, weil er die Idioten von ihm fern gehalten habe.

Mitnichten hat er das, ist meine Meinung davon. Das Gegenteil ist der Fall. Das Rolls Royce Image hat Scharen hochintelligenter Menschen davon abhalten, sich auch nur wenigstens ein bisschen mit dem zu beschäftigen, was dieser Mensch zu sagen hat. Schade drum. Und er hat auch nicht alle Idioten von ihm abgehalten. Der Coup ging nach hinten los. Ebenso wie die Provokationen an „die Oregonier“ in den Jahren 1981-85. Als Quellcode hinter diesem Fiasko muss man sich Oshos Lust am Provozieren ansehen. Bei aller Liebe und Hochachtung für diesen Menschen, der für mich 13 Jahre lang mein spiritueller Lehrer oder Meister war, sage ich das. Er hat so seine Macken, seine Ecken und Kanten, wie jeder Mensch. Auch er, der Erleuchtete.

Unsere Aufgabe als Schüler dieses Meisters war es, nicht nur Meditation zu erlernen, in die Mystik einzutauchen, die Philosophie perennis und Hingabe zu üben, Egolosigkeit, sondern auch uns selbst dabei zu finden – und nicht ihn, den Meister. Der hatte sich ja schon selbst gefunden. Buddha war kein Buddhist, Jesus kein Christ und auch Osho verdient es nicht, Nachahmer und Gefolgsleute („follower“) in seinem Kielwasser hinter sich her zu ziehen, sondern Menschen dazu zu verhelfen, zu sich zu kommen.

 

Crazy Wisdom

Ist ihm das gelungen? Was mich betrifft mögen das andere beurteilen. Jedenfalls bezeichne ich mich selbst nicht als erwacht oder erleuchtet. Ich betrachte allerdings auch jeden anderen, der sich so nennt und damit sozial positioniert als vor allem das: sozial positioniert, also in seiner Identität inszeniert. Was ja jedermensch Recht ist, man kann eine solche Selbstinszenierung sogar als höchste Form der Kreation bezeichnen, deren ein Mensch als Souverän seiner selbst fähig ist. 

Die Jahre mit Osho (1977 bis 1990) haben mich immerhin von jeglicher Autoritätsgläubigkeit befreit. Immerhin das – das ist doch auch schon mal was. Nie wieder nach dieser Zeit habe ich eine Autorität außerhalb von mir selbst als Bestimmter über mein Leben akzeptiert – keine Person und auch keine Lehre, keine Weltanschauung oder Philosophie. So ähnlich hätte das vielleicht auch Jiddu Krishnamurti ausgedrückt, der leider nicht so viele Anhänger hatte wie Osho – aber er wollte ja auch keine „Anhänger“, insofern war das folgerichtig. Womit wir mitten in der Paradoxie dieses Crazy Wisdom Masters wären. Was alles schon ausgiebig beschrieben wurde, deshalb will ich dem hier nichts mehr hinzufügen.

 

Buddha folgen

Anstatt euch nicht mit dem zu langweilen, was man woanders schon sehr gut nachlesen kann, will ich euch etwas aus meinen Leben erzählen, was meinen Weg und meine Identität geprägt hat. Das ist mein Leben als „Dissident“. In meinem jungen Jahren, vom ersten Aufwachen meiner Rebellion (1969) bis zu meiner Zeit als buddhistischer Mönch in Thailand (1976) war ich radikal antiautoritär eingestellt. Nachdem ich im Frühjahr 1976 aber im Südosten von Thailand eine tiefe Meditationserfahrung hatte, wollte ich erstmal „nur noch erleuchtet“ werden; alles andere war für mich sekundär. Buddha hatte etwas erfahren, was ich noch nicht kannte, und das erschien mit als höchst attraktiv. Also setzte ich alles auf diese Karte, um auch dorthin zu kommen, wo er war, der Erleuchtete.

Was mich dann dort wieder aussteigen ließ, waren nicht etwa die Mängel der buddhistischen Lehre im engeren Sinne, die gibt es durchaus, sondern dass diese Lehre in der Gesellschaft Thailands diverse Kompromisse eingegangen war, die ich nicht hinnehmen wollte. Man könnte es Diplomatie nenne, weltliche Klugheit, auch Schläue – oder schlicht Korruption. Für mich Wahrheitssucher war das unerträglich, deshalb stieg ich dort aus und suchte weiter. Mit hohem Respekt vor dem Zen, auf den ich in unserer Kloster-Bibliothek gestoßen war, als Blüte oder Crème de la Crème des Buddhismus. 

 

Durchgeknallt oder erleuchtet?

Ein gutes halbes Jahr später kam ich über Südindien nach Poona, das damals als „Esalen des Ostens“ bekannt war, mit seinem Renommée als vielleicht weltbestes Zentrum der ganzheitlichen Therapien und jedenfalls der Verbindung westlicher Psychologien und Psychotherapien mit östlichen Weisheitslehren. Was mich dort anzog, war zunächst mal die Aussage eines Sannyasins, den ich im Januar 1977 im malayischen Penang getroffen hatte. Dort hatte er mir anvertraut, dass es in Poona, bei seinem Meister, Vipassanagruppen gäbe (oh, absolut mein Ding), Bioenergetik (wow, unglaublich, sowas im prüden Indien), Sufi-Tanz (waaas? In einem indischen Ashram?) und Encountergruppen (in denen „alles sein darf“, ich hatte an einer solchen mal in München-Schwabing teilgenommen). Wenn das wahr ist, sagte ich mir, dann ist der Typ entweder komplett durchgeknallt oder erleuchtet. Ich hoffte, dass das zweite der Fall sein würde.

Nach einigen Wochen der Verweigerung (Gespräch mit Osho, Mitarbeit im Ashram, Beobachten der für mich sehr weltlichen Szene dort) ließ ich mir von ihm schließlich die Mala umhängen. Kann ja nichts schaden, sagte ich mir, ich hab doch nichts zu verlieren. Ich hatte dabei das Gefühl, das würde „meine letzte Inkarnation“, im Sinne von: danach brauche ich keine weitere Identifizierung mit irgendeiner sozialen oder politischen oder spirituellen Gruppe mehr, die mich als irgendwie anders oder besser kennzeichnet. Danach bin ich nur noch Mensch.

 

Dissidenz

Dazu gäbe es noch viel zu sagen, aber möchte heute zum Thema meiner „Dissident“ zurückkehren, das mich in den vergangenen paar Jahren stärker beschäftigt hat. Mein Abweichlertum und damit auch meine Gefühle von Zugehörigkeit oder eben dem, nicht dazu zu gehören und meinen eigenen Weg zu gehen. 

Noch zu Lebzeiten von Osho habe ich ja „mein eigenes Ding“ gemacht, die Zeitschrift Connection. Irgendwie basierte die auf Osho, aber nicht nur auf ihm, sondern auf auch Buddha, Tucholsky, meiner 68er Rebellion, Wilhelm Reich, Lao Tse und manch anderem. Es war eben ‚mein eigenes Ding‘, meine Botschaft an die Welt, die ich als in Bewegung befindlich verstand (deshalb Zeitschrift statt Buch) und als kokreatives Projekt. Nicht einmal die Inhalte wollte ich dort allein bestimmen, sondern mit anderen zusammen. Am liebsten hätte ich auch den Verlag zusammen mit gleichrangigen anderen getragen.

Die Sannyas-Szene beäugte mich in der Zeit kritisch. Die einen jubelten mir zu, weil ich offen, witzig, einfallsreich und nicht linientreu war, die anderen (ungefähr die Hälfte ‚der Bewegung‘) hielt mich für eigenwillig, selbstgefällig, wenig hingabebereit und „im Ego“, sonst hätte ich mich mit meinen Talenten doch der offiziellen Rajneesh Times (so hieß sie damals) angeschlossen. Dieses Pro und Contra, das ich aus ‚der Bewegung‘ als Feedback erhielt, kulminierte, als ich einmal eine Anweisung von Oshos Sekretärin (es könnte so um 1987 gewesen sein), damals war das Manisha, öffentlich gemacht hatte, indem ich ihren gesamten Brief abdruckte, der an alle osho-nahen Stellen geschickt worden war, und dazu Stellung nahm. Dazu hatte ich eine Schafherde abgebildet, ohne Worte unter dem Bild, aber indirekt sehr wohl verständlich. Es resultierte ein Sturm von Leserbriefen, wie ich ihn nie vorher und auch danach nicht mehr erlebt habe. Es schrieben mir auch „höchste Kreise“, wie etwa Oshos Arzt, sein Zahnarzt, sein Finanzchef und natürlich Manisha selbst – und lasen mir die Leviten. Ich druckte das alles ab. Der Sturm hörte nicht auf, ich hatte mit meiner Veröffentlichung offenbar einen Nerv getroffen, war in ein Fettnäpfchen getreten, ein Wespennest. Journalistisch gesehen war es ein Scoop. Jubel und Kritik hielten sich ungefähr die Waage. Als ehemaliger Leiter von Encountergruppen wusste ich, dass ich damit ins Schwarze getroffen hatte. 

Erst Jahre später erfuhr ich, wie sehr ich danach von ‚den Autoritäten‘ der Sannyasbewegung genauestens beobachtet wurde. Mich überkam dabei ein leichtes Gruseln, waren doch inzwischen (nach der Wende von 1989) die Machenschaften der Stasi immer genauer bekannt geworden, wen sie alles beobachtet hatte und über wie viele Bürger dort Dokumentationen angelegt worden waren. Ob solche Dokumentationen auch über mich existierten, auf Seiten der Sannyas-Bewegung, das weiß ich nicht. Das war wohl auch kaum nötig, denn ich war ja als Macher der Zeitschrift eine öffentliche Person, und ich hielt auch nach diesem Ereignis nicht den Mund. 

 

Ohne Antwort

Eine für mich wichtige Sache in der Zeit war auch noch, dass ich von Osho selbst eine Antwort auf meine Tun haben wollte. Sah er in mir sowas wie den Schriftsteller Tom Robbins? Den verehrte er (und Robbins ihn), obwohl dieser öffentlich erklärt hätte, dass er null Bock auf Sannyas habe, obwohl (oder weil) Osho in seinen Augen ein großartiger, provozierender Wirbelwind war, der sich vor nichts beugte und alles in Frage stellte.

Jedenfalls erhielt ich von Osho auf das, was ich mit meiner Zeitschrift in die Welt brachte nie auch nur ein Sterbenswörtchen Feedback. Sind denn alle meine Briefe an ihn in seinem Sekretariat abgeblockt und vernichtet worden? Mag sein. Oder dachte sich der Meister, dass ich eine Antwort nicht nötig hätte, weil ich ja nun auf eigenen Füßen stand und eine Vaterfigur, die mir auf die Schulter klopfte oder mir liebevoll die Richtung wies, die wollte er nicht sein? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich von ihm keine Antwort erhalten habe, obwohl ich sogar mal mit Sheela in einer Live TV Sendung aufgetreten bin, nachdem sie aus dem Gefängnis gekommen war; er muss also durch seine Leute über mein Tun sehr wohl informiert worden sein. 

 

Dankbarkeit

Heute empfinde ich dieses Ausbleiben einer Antwort nicht mehr als Manko. Ich betrachte es heute weder als Beweis meiner spirituellen Reife noch als Zeichen, dass ich ihm egal war. Die Wirkung war, dass ich in der Führung meiner Zeitschrift weiterhin meiner eigenen Nase folgte, soweit die wirtschaftlichen Gegebenheiten das zuließen, und niemand anders. Gut so. Und ich lernte, dass ein spiritueller Meister nichts vom Zeitschriftenmachen verstehen muss und sich auch sonst in vieler Hinsicht irren durfte: medizinisch, historisch, psychologisch und in manch anderem. Alle diese Gebiete lehrte er ja nicht, er streifte sie nur. Wer Oshos Einschätzung auf diesen Gebieten for Top-Expertise hielt, war selbst schuld. 

In Sachen Mystik, Meditation und Selbstfindung aber halte ich ihn nach wie vor top und jedenfalls einzigartig in dem, wie er sehr verschiedene Gebiete miteinander zu verknüpfen imstande war. Auch was die ganzheitlichen Therapien des Growth Movement anbelangt, ist er mit seiner Weisheit eine Quelle, die man kaum hoch genug einschätzen kann. Dafür und für das, was er aus mir gemacht hat – vom mönchischen Einzelgänger zum sozialkompetenten, bindungsfähigen Menschen – bin ich ich ihm reuelos dankbar. Heute, 29 Jahre nach seinem Tod. Ohne ihn wäre ich ein anderer.