Vor zwei Monaten habe ich für die Schweizer Zeitschrift »Spuren« einen Bericht geschrieben über ein Erlebnis, dass ich hier im Haus hatte, wo ich mit Flüchtlingen aus Kriegsgebieten zusammenlebe. Da die – insbesondere männliche – Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zur Zeit überall Thema ist, bringe ich den Text nun hier, leicht aktualisiert, auch in meinem Blog.

Der Mitbewohner, über den ich hier schon mehrfach geschrieben habe, wurde schon vor vielen Wochen vom Landratsamt woanders hin versetzt. Wir sind erleichtert, dass wir ihn nun los sind, befürchten aber zugleich, dass er dort seine Art, mit Menschen umzugehen, fortsetzt.

Außen: der ehemalige Frontpolizist

Damals, das ist jetzt gut zwei Monate her, waren wir deswegen zur der Polizei gegangen. Er hatte nämlich seinen Mitbewohnern angedroht, Gewalt anzuwenden, wenn sie ihn nicht als Boss in ihrer achtköpfigen WG akzeptieren würden. Wir hatten ihn mehrfach ermahnt, damit aufzuhören, trotzdem hatte er so weitergemacht und war gegenüber dreien in der WG sogar tätlich geworden, angefangen beim Schwächsten, einem Blinden. Ebenso wie seine (damals) sieben Mitbewohner war er aus Afghanistan nach Deutschland geflohen, das erschwerte die Situation noch, und ebenso, dass er in Afghanistan Polizist gewesen war und dort in einem von den Amis ausgebildeten Sondereinsatzkommando (»Special Forces«) selbst Gewalt ausgesetzt war und Gewalt angewandt hatte. Zusammen mit dreien derer, die er bedroht hatte, haben wir den Fall schließlich der Polizei berichtet. 

Innen: Dschingis Khan

Einen Tag später unternahm ich mit Besuchern unseres Seminarhauses eine Bewusstseinsreise in die Tiefen meines eigenen Innern. Dort traf ich auf Dschingis Khan, über den ich mich ein paar Tage vorher auf Wikipedia informiert hatte, weil ich wissen wollte, woher die patriarchalen Strukturen meiner syrischen und afghanischen Mitbewohner kommen. Jahrtausende lang sind die Randgebiete Eurasiens von innerasiatischen Reiterhorden überrannt worden. Dazu gehören auch die arischen Einwanderer in Nordindien im zweiten Jahrtausend v.u.Z., ebenso die Hunnen, Dschingis Khan und andere. Das größte Bauwerk der Erde, die Chinesische Mauer, wurde zum Schutz vor diesen Horden gebaut, und noch vieles andere in diesem größten Kontinent der Erde ist erklärbar aus der Bedrohung durch diese militärisch überlegenen Horden. 

Und nun kam aus meinem eigenen Innern in jener Nacht Dschingis Khan über mich. Ich spürte in den Verspannungen meines eigenen Gesichtes die Fratze des Gewaltherrschers und sah in mir die Pose der chinesischen Kaiser, wie sie in konfuzianischen Gemälden über die Jahrtausende immer wieder abgebildet waren: diese unerbittliche männliche Kraft und die Bereitschaft jeden, der sich ihr widersetzen würde, kurzerhand zu beseitigen. Meine Hände formten sich zu Krallen, und so gewiss wie das Zucken in meinen Muskeln war ich mir, dass auch in mir, wie in jedem Menschen, mehr noch in jedem Mann, die Bereitschaft zu töten schlummerte. Und sogar das schlummerte in mir: die Lust am Töten, die Ekstase der Gewalt. Es steckt ein Berserker in uns, ein im Rausch der Gewalt lustvoll Zerstörender.

Update des Selbstbildes

Und das in mir, dem kompromisslosen Pazifisten! Dem Feind des Militärs und Freund diplomatischer Lösungen. Dem Verfechter der gewaltfreien Kommunikation und eines intelligenten Feminismus. Dem egalitär denkenden Linken und Alt-68er. 

Auf einmal wurde mir bewusst, warum Obama gescheitert ist, bei dessen Wahl zum Präsidenten ich innerlich jubiliert hatte. Warum hat er Guantanamo nicht geschlossen, die Isrealis nicht in Schranken verwiesen, den militärisch-industriellen Komplex nicht zähmen können? Nun ist der Rechtspopulismus weltweit erstarkt und ein Donald Trump könnte sein Nachfolger werden. Obama hat seinem inneren Dschingis Khan nicht Reverenz erwiesen, er hat seine eigene männliche Kraft, seinen Durchsetzungwillen nicht integriert. Zu sehr hat er versucht ein Guter zu sein und wurde dadurch kein wirklich Guter.

Obamas Versagen

Auch wenn ich weiß, dass diese Behauptung sehr vereinfacht ist, gewagt und unverschämt: Mir scheint, dieser so um Güte bemühte, erste schwarze Präsident der USA hat seine dunkle Seite nicht in dem Maße integriert, wie ein Mensch in dieser Position es eigentlich müsste. Die Stockholmer vom Nobel-Institut haben ihm den Friedensnobelpreis verliehen in der Hoffnung, dass er es schafft, ein Nelson Mandela am Steuer der USA zu werden.

Das war er leider nicht. Immer wieder ist er eingeknickt an Stellen, wo er mal mit der Faust hätte auf den Tisch hauen müssen. Zum Beispiel diesen Idioten von der Tea Party gegenüber hätte er sagen müssen: Jetzt reicht’s! Guantanamo wird geschlossen, die Gesundheitsreform ziehen wir durch und die Israelis werden mal an die Kandare genommen. Aber nichts da, immer wieder lenkte er ein und machte Kompromisse. So wurden seine Pläne bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht.

»Das System« hat ihn vereinnahmt, ’sie‘ haben ihn sich einverleibt und zu einem Teil der ihren gemacht. Weil er diesen dunklen Teil in sich nicht wirklich integriert hat. So dass ihm nun in Donald Trump (und anderen) die Fratze seiner Nemesis entgegenblickt.